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Es gibt diese Typen, die einen nachts um halb2 auf der Straße anquatschen und fragen, ob man mit ihnen auf einen Kaffee geht. Seit jeher frage ich mich, ob die eigentlich nicht merken, dass sich Tageszeiten auf die Sinnhaftigkeit von Anmachsprüchen auswirken. Sei’s drum, es ist schon länger her, eben diese Situation. Ich möchte nur noch heim, winke auf den Boden schauend ab, der Typ, nennen wir ihn A, bleibt dran und quatscht mich also weiter an. Woraufhin ich A’s Hand nehme, mich vor ihm in die Augen schauend hinknie und frage, ob er mich heiraten möchte. Ich glaube, es war weder der Blick noch der Inhalt meiner Worte, es war meine lustvolle Berührung, die ihn zum Gehen veranlasst hat. 2019, in einem Wiener Tanzcafé. Freundin und ich sitzen auf einer Bank mit dunkelrot bezogenem Samt, Erinnerung an den Puff, der hier einmal war. Auch heute noch so etwas Ähnliches, nur ohne Bezahlung – denkt sich auch B, der neben uns Platz nimmt. Freundin warnt vor: Armlänge Abstand. Sprechen verboten. B setzt sich viel zu nahe und starrt. Uns. An. Mir reicht’s, ich zücke meine verbale Kanone und schieße. B erwidert: „Du verstehst mi ned, du verstehst mi ned“ von We Ambros in der österreichischen Version von „Grease“. Währenddessen füllt sich die Szenerie mit Komparsen. Plötzlich schaut mich B an – Spotlight, Close-Up – und singt: „Bist du Monica Bellucci, oder was?“. Von hinten ruft ein junger Tänzer mit Tolle „Bist du Hannah Arendt, oder was?“ – „Oder Laurie Penny? You better shape up ’cause I need a man“, erwidere ich frohlockend. B wird von seinem Kumpel abgeführt und setzt fort: „Des kann doch ned sein, dass es immer so weitergeht, du miasast doch froh sein, dass überhaupt nur irgendwer auf di steht“. Ich lasse mich von C mit dem Auto heimbringen – schwere Tasche, kein Bock zu gehen & so. Eventuell blöd, denke ich später. Er parkt und fragt, ob er noch auf’s Klo dürfe. Und sich durch die Hintertür bei mir einladen, mich vergewaltigen und mir danach die Kehle durchtrennen. Ich stimme im Wissen darüber zu, dass er die Rechnung ohne mein Außenklo gemacht hat. Vorm Klo verabschiede ich mich mit den üblichen Floskeln und verschwinde in meine Wohnung. Dann SMS – SMS – SMS: Er wollte mich gar nicht umbringen, nur reden. – Wenn ich das gewusst hätte, retourniere ich. LG. Nächster Tag, halb11: Nur um keine Missverständnisse auf – kommen zu lassen, er wäre auf Sex aus gewesen. Aber eine Beziehung hätte er sich auch vorstellen können. Ich denke mir: Schon wieder die Situation völlig falsch eingeschätzt. Ich frage mich nachts um halb2, wie viele Buchstaben, Selbstlaute und Sonderzeichen wir noch brauchen. Diese Geschichten sind nur in ihrer Summe wahrnehmbar – wie eine Bettwanzen kolonie aus Anbratmissverständnissen (kann ja vorkommen). Seit 100 Jahren habe ich also eine Stimme, die ich in eine Urne werfen kann. Ich kann mich theoretisch kleiden und hingehen, wie und wo und mit wem ich will, ich bekomme den Job, den ich will, aber nicht das Gehalt. Ich habe eine Stimme, die laut ist. Aber auch Stimmen, die laut sind, müssen Gehör finden. Und solange dieses Gehör taub ist, solange werden Väter* ihren Töchtern* Pfeffersprays mit auf ihren Lebensweg geben.

Veronika Merklein ist bildende Künstlerin sowie Aktivistin und lebt und arbeitet hauptsächlich in Wien. Sie arbeitet in verschiedenen Medien mit dem Schwerpunkt Performancekunst. Körperpolitiken bestimmen aktuell ihr Werk.