senior artist im Buch

Am Ende sind es ein paar Gemeinsamkeiten, die all die älter gewordenen Aktivist*innen vereint, die in Rhezi Mahlzahns rührendem Buch zu Wort kommen. Ausgehend von der Beobachtung, dass die meisten derjenigen, die sich im Alter zwischen 20 und 30 politisch engagieren, nicht dabei bleiben, hat Mahlzahn Dabeigebliebene verschiedener Altersstufen und unterschiedlicher biografischer Verläufe interviewt. Sich nicht zu opfern, nicht zu viel Frust abzuholen, ein positives Konzept von Liebe, eine einigermaßen stabile politische Haltung, konkrete Anknüpfungspunkte für soziale Kämpfe – das sind nur einige derjenigen Aspekte, die Paul und Astrid und Ben und wie die Alt-Aktivist*innen alle heißen, miteinander teilen. Dem Altern im kulturellen Feld geht die Broschüre des Deutschen Kulturrats nach. Interviews mit Kulturschaffenden zeigen die unterschiedlichen Bedeutungen von Alterungsprozessen in den verschiedenen Sparten wie Tanz und Fernsehen, Print und Performance auf, vermitteln aber auch Gemeinsamkeiten von Leid an gesellschaftlichen Normen und Widerstand dagegen. Bereits im 15. Jahrhundert werden die Weichen für die bildgestützten Vorstellungen vom Alter(n) gestellt, die bis heute wirksam sind, meint die Kunsthistorikerin Andrea von Hülsen-Esch. Albrecht Dürers Allegorie des Geizes (1507) aus dem Kunsthistorischen Museum in Wien bildet den Einstieg in eine Auseinandersetzung mit der Verknüpfung von Geschlechternormen und Alter in der Kunst seit der Renaissance. Es sind unterm Strich eher negative Konnotationen, die dem Alter(n) zugeschrieben werden, wovon „die Kurzsichtigkeit oder die zunehmende Unbeweglichkeit“ sicherlich noch zu den harmloseren gehören. Insgesamt geht der Sammelband Alternde Gesellschaft im Wandel in leicht disparat erscheinenden Themenfeldern – neben der Kunstgeschichte auch Armutsforschung, Recht, Technik, Schulbücher u.a. – „Möglichkeiten und Bedingungen des ‚guten Alterns‘ in einer Gesellschaft des langen Lebens“ nach. Während die Popmusik immer auch Jugendkultur und das würdige Altern trotz Rolling Stones kaum vorgesehen ist, spannt sich die allgemeine Populärkultur etwas weiter auf: In Film und Fernsehen gibt es den väterlichen Kommissar und die alte Hexe, den alternden Westernhelden und die verrückte Großmutter als akzeptierte Altersfiguren. Einige davon werden in Alter(n) in der Populärkultur genau seziert und ausführlich besprochen. Dass Alter neben dem Zuwachs an Weisheit, Reife, Erfahrung usw. auch manche Diskriminierung mit sich bringt, die einschränkt und ausgrenzt, kommt in dem gut gelaunten, Cultural Studies-inspirierten Band zuweilen etwas zu kurz. Die geschlechterpolitische Dimension des Alterns hat die Journalistin Bascha Mika in ihrem Buch Mutprobe durchgespielt. Ein „doppelter Standard“ beherrsche das Älterwerden, durch den das Altern von Männern und Frauen sehr unterschiedlich bewertet werde. Wo Frauen wie Waren behandelt werden, deren Wert sich in körperlichen Merkmalen misst, wird der Alterungsprozess zur Bedrohung. Denn mit zunehmendem Alter geht ein brutaler Wertverlust einher, der zu Ausgrenzung und Unsichtbarmachung führe. Frauen sind in dieser patriarchalen Logik nicht nur Opfer, sondern sie inszenieren sich darin laut Mika auch selbst. Die öffentlichen Darstellungen gehen mit Leiden einher, das „heimlich, still und leise“ im Privaten geschehe.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und ­unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien. www.jenspetzkastner.de


Literatur:

Anna Genske, Anna Janhsen, Marcel Mertz, Christiane Woopen (Hg.): Alternde Gesellschaft im Wandel. Zur Gestaltung einer Gesellschaft des langen Lebens. Wiesbaden 2020 (Springer VS).

Henriette Herwig / Mara Stuhlfauth-Trabert (Hg.): Alter(n) in der Populärkultur. Bielefeld 2022 (Transcript Verlag).

Deutscher Kulturrat: Von 0 auf 100. Dossier „Älterwerden als Kulturschaffende“. Berlin 2018 (Deutscher Kulturrat). www.kulturrat.de/wp-content/uploads/2018/08/Dossier_Aelterwerden.pdf

Rhiza Malzahn: dabei geblieben. Aktivist_innen erzählen vom Älter­werden und Weiterkämpfen. Münster 2016 (Unrast Verlag), 2. Aufl.

Bascha Mika: Mutprobe. Frauen und das höllische Spiel mit dem Älterwerden. München 2015 (btb).