„… generationenübergreifend lernen, wie viel uns verbindet …“

senior artist im Gespräch mit Heidi Ambrosch und Xenia Hausner

Bildpunkt: Alter ist einerseits eine Kategorie, entlang derer Diskriminierung stattfindet, es ist aber zuweilen auch positiv konnotiert, etwa mit Erfahrung und Reife. Haben es Menschen in bildender Kunst und Aktivismus mit zunehmendem Alter schwerer? Wie erleben Sie das Älterwerden?

X.H.: Gelassen. Für eine Malerin ist es vielleicht leichter, „alterslos“ zu sein, als für eine Aktivistin, die ihren Körper stärker als künstlerisches Instrument einsetzt. Aber das stimmt eigentlich auch nicht, wie man am Beispiel von Marina Abramovic sehen kann. Auch wahr ist, dass junge, interessant aussehende Künstlerinnen zu allen Zeiten in der Kunstszene ein Magnet waren, egal wie nachhaltig ihr künstlerisches Schaffen war. Aber es gibt auch Louise Bourgeoise – spät entdeckt und alles andere als unsichtbar.

H.A.: Ich würde gern wie früher auf allen aktivistischen Hochzeiten tanzen, aber muss mich immer mehr auf eine Zuschauerinnenrolle beschränken. Dank Digitalisierung – mit all den Schattenseiten auch eine Möglichkeit –, kann ich aber zumindest virtuell dabei zu sein.

Bildpunkt: Heidi Ambrosch, sie engagieren sich seit langen Jahren in feministisch-marxistischen Kontexten, in vielen Kampagnen sozialer Bewegungen und nicht zuletzt in der Kommunistischen Partei Österreichs. Anders als viele Aktivist*innen, die ihr Engagement häufig mit Ende 20 oder Anfang dreißig einschränken oder ganz aufgeben, sind Sie dabeigeblieben. Was motiviert Sie nach wie vor?

H.A.: Mich motiviert meine Weltanschauung und darin mein Menschenbild, dass wir einander brauchen, um uns selbst zu erkennen und somit weiterentwickeln können. Dass es Menschen sind, die Geschichte machen, auch wenn es leider in den Geschichtsbüchern verfälscht auf die Geschichte der kriegerischen Herrschenden reduziert wird. In den Bewegungen lerne ich immer wieder neu und generationenübergreifend, wie viel uns verbindet und was dem entgegensteht, und es macht oft sehr viel Spaß, unsere Anliegen lustvoll auf die Straße zu bringen. Das Engagement von Künstlerinnen bei den Aktionen ist dabei unschätzbar wichtig.

Bildpunkt: Xenia Hausner, sie sind erst relativ spät, mit Anfang 40, vom Bühnenbild zur Malerei gewechselt. Heute gehören Sie zu den erfolgreichsten Malerinnen in Österreich. Hat der späte Einstieg sich letztlich als Vorteil erwiesen?

X.H.: Ja und nein. Rückblickend hätte ich gern schon mit vierzig einen bestimmten Punkt erreicht, an den ich erst mit sechzig gelangen konnte. Auf der anderen Seite habe ich einen großen Fundus an Material angesammelt, den ich die Möglichkeit habe, jetzt künstlerisch auszuloten. Das hält im Kopf und im Gemüt frisch.

Bildpunkt: Hat das Altern ihre eigene Arbeit beeinflusst, vielleicht inhaltlich in der Politik und formal in der Kunst?

H.A.: Ich denke, ich bin zuhörender und geduldiger geworden. Die jungen Frauen haben neue Fragen, neben den vielen, die ich auch schon hatte und weiterhin habe. Viele neue Bewegungsmomente wie die ökologische Krise, die Sprache der Subalternen, die Diskussion um fluide Identitäten, LGBTQIA+. Ich lerne dabei auch heute noch gern dazu. Vieles spielt sich im Netz ab und manchmal komme ich da nicht nach. Dann lehne ich mich auch öfters zurück und denke, da müssen jetzt die Nachkommenden ran.

Bildpunkt: Altern kann sowohl als Ressource als auch als Diskriminierungsanlass fungieren. In welchen Situationen erleben Sie das Alter(n) als Fundus und Stärke und wann als etwas zu Erleidendes?

X.H.: Ich erleide das Altern seltsamerweise nicht, ich bin da irgendwie imprägniert. Es ist halt immer zweischneidig – viele Einfälle wären mir mit dreißig gar nicht gekommen und manch Jugend bewegtes Werk ist mir dafür nicht gelungen.

H.A.: Früher verspürte ich immer einen Druck, mich „beweisen“ zu müssen, das ist heute völlig weg. Das Wissen und die vielen Erfahrungen, die ich im Laufe der Jahre gesammelt habe, bilden ein Fundament der Sicherheit. Zweifel ist immer angebracht und ein Brecht‘sches Muss, aber dieses Fundament lässt mich nicht ver-zweifeln. Zu erleiden ist die Wahrnehmung des gebrechlichen Werdens, dass man eben nicht mehr so kann wie früher, dass Arztbesuche häufiger werden. Und selbstverständlich macht man sich Gedanken über die Endlichkeit, da immer häufiger der Verlust von Weggefährtinnen zu verzeichnen ist.

Bildpunkt: Die feministische Journalistin Bascha Mika hat in ihrem Buch über das Altern beschrieben, wie Frauen mit zunehmendem Alter unsichtbar werden, nicht zuletzt, weil sich ihre soziale Wertschätzung häufig immer noch an körperliche Merkmale knüpft. Gilt das auch in der bildenden Kunst und im politischen Aktivismus?

H.A.: Prinzipiell stimme ich Bascha Mika zu, aber denke nicht, dass es für den politischen Aktivismus gilt. Da spielen körperliche Merkmale keine ausschlaggebende Rolle für die soziale Wertschätzung. In Österreich z.B. hat sich vor einigen Jahren die Gruppe Omas gegen Rechts gegründet. Sie sind sehr gefragt bei ANTIFA-Aktionen und vor allem auch sehr engagiert in allen antirassistischen Zusammenhängen. Ihr Erkennungszeichen sind selber – nur mäßig kleidsame – gestrickte Mützen. 

X.H.: Ich glaube, da hat sich in letzter Zeit viel geändert. Der Verfall des männlichen Körpers wird inzwischen von Frauen ganz genau wahrgenommen und nicht jeder 50jährige mit einer „Wampen“ behält seinen erotischen Zauber selbstverständlich. Die Gefahr, dass er unsichtbar wird, ist ebenfalls groß! Oder es muss schon eine Menge Geist dazu kommen… Denn im Gegensatz zu Männern sind Frauen auch über den Geist verführbar.


Heidi Ambrosch ist Frauensprecherin der KPÖ und Aktivistin u.a. bei der Plattform 20.000frauen, http://zwanzigtausendfrauen.at

Xenia Hausner ist Malerin und lebt in Wien, www.xeniahausner.com

Das „Gespräch“ wurde von Jens Kastner und Sophie Schasiepen im September 2022 per E-Mail geführt.