„Die Toilette“, schrieb Honoré de Balzac, „ist der Ausdruck der Gesellschaft“. Der Schriftsteller nahm damit schon 1830 den zentralen Gedanken vorweg, den die Soziologen Thorstein Veblen (mit seiner Theorie der feinen Leute) und später Pierre Bourdieu in Die feinen Unterschiede systematisierten: Mode spiegelt gesellschaftliche Verhältnisse wider – und wirkt ihrerseits auf sie zurück. Die Toilette, so Balzac in Physiologie des eleganten Lebens, „beherbergt unsere Ansichten“. Sie ist zugleich „eine Wissenschaft, eine Kunst, eine Gewohnheit, eine Gefühlssache“. Und Balzac macht auch schon darauf aufmerksam, wie wichtig der Aspekt der Praxis dabei ist: Es komme nicht allein darauf an, bestimmte Kleidungsstücke zu besitzen, sondern die Toilette habe viel mehr „mit einer gewissen Art, sie zu tragen“ zu tun. Was Balzac über die Pariser Boulevards und das Großbürgertum schreibt, klingt auch noch bei der Cultural Studies-Theoretikerin Angela McRobbie und ihrer Schilderung der „Horden von Punk-Touristen“ nach, die Ende der 1980er Jahre durch Camden Lock in London strömen. „Wer jung ist, geht dorthin“, schreibt McRobbie 1989, „um zu sehen und um gesehen zu werden, und sei es nur aus einem einzigen Grund, dass Klamotten getragen besser aussehen, als wenn sie auf der Stange oder im Schaufenster hängen“.

Während bei Balzac die Reproduktion der herrschenden Klasse und ihrer Blickregime dominiert, scheint für McRobbie in der Modepraxis auch Widerstand und Subversion auf. Im Gebrauch sind damit vielleicht die beiden Extrempole benannt. Die Ebene der Produktion ist damit noch gar nicht angesprochen. Die Ausbeutung der Näherinnen in Bangladesh und der Maquiladora-Arbeiterinnen in Mexiko, der ökologische Fußabdruck einer Jeans und überhaupt die Inwertsetzung durch verarbeitete Stoffe und Substanzen: Das Bekleidungsunternehmen H&M setzte im Jahr 2018 in Deutschland laut der Datenplattform Statista rund 3,1 Milliarden Euro um, das sind etwa eine Milliarde mehr als der gesamte nationale Kunstmarkt im gleichen Zeitraum. Anziehen muss man sich natürlich, aber rund 2,8 Millionen Euro wurden auch für sogenannte „Prestige- Kosmetik & -düfte“ ausgegeben, die nicht unter die 17,4 Milliarden für die 2018 für Kosmetik und Körperpflege im Einzelhandel ausgegebenen Euro fallen. Die Toilette ist halt Ausdruck der Gesellschaft.

In der Kunst schließlich ist die Mode in all diesen angeschnittenen Aspekten schon lange Thema. Mehr noch, es gibt einige Strukturähnlichkeiten, die Bourdieu schon Anfang der 1970er Jahre benannt hatte („Haute Couture und Haute Culture“) und die sich seitdem sicherlich ausgeweitet haben. Das „elegante Leben“, wusste schon Balzac, ist sehr voraussetzungsreich – Bildung, Klassenherkunft, Geschlecht, Wohnort, Haltung, Verhalten, all das muss stimmen bzw. stimmig sein. Gilt es hier anzusetzen oder anzugreifen? Ist „resistance through rituals“ (Stuart Hall u.a.) noch eine Option oder ist die Modeindustrie nur Massenbetrug? Um stilvolle Antworten zwischen Kunstpraxis, sozialer Bewegung und Kulturtheorie bemüht, präsentiert sich die vorliegende Ausgabe zum Modethema Mode.

Jens Kastner, koordinierender Redakteur