Tanzquartier Wien, erste Reihe. Mein Herz pulsiert. Während des gesamten Stückes wird eine Person niemals die Bühne verlassen, ein Fake Fatty im Fat Suit. Danach werde ich erst einmal zwei Wodkas exen und dann werde ich Mies Warlup eine lange Email schreiben, die auch an das Tanzquartier geht und keine Antwort erhalten. Erhält man eine Antwort auf die Nutzung von Fat Suits wie im Falle der Eatkaruswerbung von Edeka 2017 oder Barbara Schönbergers diesjähriges Cover im gleichnamigen Magazin, wird es eine Aneinanderreihung von war-nicht-so-gemeint-und-sei-nicht-so-empfindlich sein. Ich bin demnach wahrlich keine Advokatin für die „Gut-oder-gar-nicht-gedacht-jedenfalls-nicht-gut-gemacht“-Fraktion. Ich habe die Einverleibung meines Fettes nämlich gründlich satt. Ich würde wohl die Nutzung eines Fat Suits fast immer als etwas werten, das überflüssig und verletzend ist und zu einer Watschenroadshow ansetzen. Danach würde ich siegessicher argumentieren, dass man Rollen ebenso gut mit tatsächlich unterrepräsentierten Gruppen besetzen könnte und oder Schmerzensgeld zahlt. Trotzdem ist nicht alles so wie es scheint. Wenn Tyra Banks einen Selbstversuch im Fat Suit wagt und in Flagshipstores eines beliebigen Boulevards angewidert ignoriert wird, applaudiere ich für ein gelungenes Sozialexperiment. Wenn Ferdinand Botero mit seinen gemalten dicken Subjekten und Objekten in der Dickencommunity für sein fettpositives Körperbild über den Klee gelobt wird, dann muss ich sagen: Sechs, setzen! Wenn man die Zwillinge in Alice im Wunderland in einem Realfilm in Fat Suits stecken würde, dann wären diese Figuren in ihrer Überzeichnung vielleicht nicht nett, aber glaubhaft. Die Aneignung eines Merkmals auf der einen Seite spaziert meistens mit dem Trauma auf der anderen Seite Hand in Hand spiralförmig ins Unbehagen und führt letztlich auf beiden Seiten zu Unverständnis. Ich glaube nämlich tatsächlich, dass Aneignung in den häufigsten Fällen nicht so gemeint ist oder unter Umständen missverstanden wird. Ich verstehe, dass die Kritik daran in eine Defensive drängt, in der man zu einem Verständnis gezwungen wird, das man nicht versteht. Wer allerdings Trauma (wieder)erlebt, in diesem Falle durch die ins Lächerliche führende Okkupierung eines körperlichen Merkmals, der ist nicht in der Defensive, der wandert durch den Hades und beißt zielsicher und fest, um den Raum wieder einzunehmen, der vom Gegenüber beständig als Fata Morgana abgetan wird. Die Vehemenz des traumagebeutelten Menschen scheint also nur vermeintlich dominant, denn dieser kann Emotion und Schmerz nicht einfach wie ein Kleidungsstück abstreifen. Das Gegenüber wiederum bellt, beißt und taumelt umher, unbeholfen überrumpelt oder wahlweise ignorant, kann sich aber am Ende des Tages viel einfacher aus der hitzigen Debatte befreien, um sich für das nächste Mal eines zu merken: Im richtigen Moment einfach zu verstummen. Wenn allerdings beide Seiten nur beißen, führt das genau genommen zu nichts anderem als zu emotionalen Bisswunden. Deshalb versuche ich persönlich Vielleichts zuzulassen und dem Verstummen dieser Auseinandersetzungen entgegen zu wirken, indem ich erst zuhöre und dann beiße.
Veronika Merklein ist bildende Kunstlerin sowie Dickenaktivistin und lebt und arbeitet hauptsächlich in Wien. Sie arbeitet in verschiedenen Medien mit dem Schwerpunkt Performancekunst. Körperpolitiken bestimmen aktuell ihr Werk.