Die Möglichkeit direkter Einflussnahme politischer Parteien auf Universitäten ist ein Hauptkritikpunkt an der geplanten Novelle des österreichischen Universitätsgesetzes. Ein Blick nach Ungarn zeigt, wie weit staatliche Eingriffe in die Hochschulautonomie gehen können. Sie bringen Widerstand hervor, wie die Protestbewegung #freeSZFE, die sich gegen die umstrittene Vereinnahmung der Universität für Theater und Filmkunst (SZFE) geformt hat und in eine 71-tägige Uni-Besetzung mündete.
„Modellwandel“ als Deckwort für Machtübernahme
Im Frühling 2020 beschloss das ungarische Parlament die Privatisierung von acht Universitäten und Hochschulen, nachdem die Budapest Corvinus Universität – die führende Wirtschaftsuniversität des Landes – als erstes Versuchskaninchen 2019 „entstaatlicht“ wurde. Anfang 2021 wurden weitere Schritte der Umstrukturierung lanciert, die zurzeit insgesamt 15 – auch große – Bildungseinrichtungen betreffen und keinen Zweifel am flächendeckenden Charakter des „Modellwandels“ lassen. Dabei werden Universitäten unter dem neoliberalen Deckmantel von Wettbewerbsfähigkeit und Effizienz privatisiert. Gebäude und Vermögenswerte gehen in den Besitz von Privatstiftungen über, an deren Spitze vom zuständigen Ministerium Kuratorien ernannt werden, die die Entscheidungshoheit über Universitäten übernehmen – ohne Mitspracherecht der Universitätssenate. Kritiker*innen sehen darin nicht nur einen eindeutigen Angriff auf die Autonomie und Freiheit der Hochschulbildung, sondern auch eine Maßnahme der Machtkonsolidierung: Die ernannten Kuratorien gehören zur politischen und wirtschaftlichen Klientel der aktuellen Regierung, werden lebenslang berufen und können sogar ihre eigenen Nachfolger*innen nominieren.
Kulturkampf trifft auf Modellwandel
Der „Modellwandel“ betrifft auch zwei Kunstuniversitäten, die Universität für Angewandte Kunst (MOME) und die Universität für Theater- und Filmkunst (SZFE), die wichtigste Ausbildungsstätte Ungarns im Bereich darstellender Künste. Jedoch zeigt die Zusammenstellung des neuen Kuratoriums der MOME, dass die Universitätsleitung und das Ministerium eine beiderseitig zufriedenstellende
„Sondervereinbarung“ getroffen haben: Der aktuelle und der vorherige Rektor wurden beide als Kuratoren berufen und können somit ihre eigenen Machtpositionen verlängern und bestärken. Anders bei der SZFE, wo Ende 2019 ein neues Rektorat gewählt wurde. Hier weigerte sich das Ministerium, den Dramaturgen László Upor als gekürten Rektor offiziell zu ernennen und als Verhandlungspartner zu berücksichtigen. Die angekündigten Änderungen stießen an der SZFE auf deutlich größeren Widerstand.
Die Situation der SZFE muss im Kontext zweier großer Transformationsprozesse betrachtet werden: der tiefgreifenden strukturellen Änderungen der Bildungspolitik sowie dem zunehmenden „Kulturkampf“. Letzterer hat sich in der Vereinnahmung wichtiger Kulturinstitutionen, wie der Kunsthalle Budapest, des Nationaltheaters oder des Peto´´fi Literaturmuseums manifestiert, sowie im Autonomieverlust des Hauptfördergebers, der Nationalen Kulturstiftung, die der regierungsnahen Magyar Mu´´vészeti Akadémia (MMA, Ungarische Akademie der Künste) untergeordnet wurde. Eine der jüngsten Entwicklungen ist die Aufteilung der Theaterlandschaft Budapests, die Anfang 2020 in fast ausschließlich staatlich oder kommunal geförderte Institutionen umstrukturiert wurde, in einem Versuch des oppositionellen Bürgermeisters Gergely Karácsony, die progressiveren Stadttheater vor politischer Einflussnahme und Budgetkürzungen zu schützen.[1]
„Es sagt viel über den aktuellen Zustand der Elite in Ungarn aus, dass in Gremien wie dem Nationalen Rat der Rektor*innen die geplanten Änderungen und deren langfristigen Konsequenzen nicht ernsthaft diskutiert werden, es wird darüber einfach geschwiegen. Begreifen die Universitätsleiter*innen nicht, was gerade passiert, sind sie eingeschüchtert worden, oder wollen sie einfach keine Verantwortung übernehmen? Ich war schockiert und zutiefst enttäuscht von diesem Schweigen“, sagt Máté Gáspár, ehemaliger Institutionsleiter der SZFE, der nach der Ernennung des neuen Kuratoriums der SZFE seine Stelle gekündigt hat.
Was tun? Mit performativem Widerstand an die Öffentlichkeit
Auf einen offenen Brief folgten Soli-Demonstrationen, pandemietaugliche Menschenketten und performative Straßenaktionen, wie die sogenannte „Erste Warnung“ vor dem Parlament und ein „Sackgassenball“ vor dem Hauptgebäude der Uni am letzten Tag der universitären Autonomie, bevor der Modellwandel mit 1. September 2020 in Kraft trat. Mitten im Sommer, zum Teil noch im Lockdown, organisierten sich die Studierenden gemeinsam mit solidarischen Lehrkräften. Die Entscheidung zur Besetzung der Universität wurde ebenfalls kollektiv, wenn auch spontan, getroffen.
„Der Mut der Studierenden, ihre Widerständigkeit hat die Protestbewegung befeuert, die unterstützenden Lehrenden haben ihr zusätzliche Legitimation verschafft“, reflektiert die Dokumentarfilmemacherin Asia Dér, die als Doktorandin der SZFE an der kollaborativen filmischen Dokumentation der Besetzung beteiligt war. „Es wurde eine erstaunlich wirksame, demokratische Debattenkultur etabliert, die ich in Ungarn in dieser Form sonst nirgendwo erlebt habe. Es waren – seitens der Studierenden, aber auch seitens der Lehrenden – hauptsächlich Frauen an der Spitze der Proteste. Die Erfahrungen der 71-tägigen Besetzung haben mehrere hundert junge Menschen nachhaltig geprägt. Diese Menschen werden die Intellektuellen der Zukunft sein und das, was sie hier gelernt haben, nehmen sie mit.“
„Für mich war es erstaunlich und gleichzeitig sehr hoffnungsvoll, mit welcher Selbstverständlichkeit der Widerstand sich basisdemokratisch und kollektiv organisiert hat. Vor allem, weil die beteiligten Studierenden – die meisten zwischen 19 und 25 Jahre alt – bereits unter dem Orbán-Regime groß geworden sind, in einer Zeit, in der sie nicht viele gute Beispiele für das demokratische Miteinander erfahren konnten“, erklärt der Dramaturg Ármin Szabó-Székely, ebenfalls Doktorand. „Ich fand auch wichtig, dass viele Professionelle aus dem Theater- und Filmbereich ihre Solidarität mit der #freeSZFE-Bewegung in der breiten medialen Öffentlichkeit kundgetan haben. Von einigen Ausnahmen abgesehen war es bis jetzt nicht so üblich, dass renommierte, meinungsbildende Fachleute sich zu Wort melden und lautstark die Kunstfreiheit verteidigen.“
Die Zukunft der #freeSZFE-Bewegung: Modellwandel von unten
Studierende und Lehrende der #freeSZFE-Bewegung haben einen Verein gegründet, der als Organisationsstruktur für eine autonome, selbstorganisierte Werkstatt für Theater und Film dienen soll, die sich für Kunstfreiheit einsetzt und die 155-jährige Tradition der SZFE – trotz der Übernahme der Institution selbst – weiterleben lässt. „Einige Tonstudios haben ihre Räumlichkeiten für die Ausbildung der Toningenieur*innen angeboten,” erzählt Asia. „Bereits während der Besetzung wurde viel Solidarität gezeigt, auch in Form von materieller Hilfe und Spenden. Budapester Stadttheater haben ebenfalls ihre Kooperationsbereitschaft angekündigt. Dies können vor allem diejenigen tun, die kommunal gefördert sind und nicht maßgeblich von staatlicher Finanzierung abhängen. Es kann sogar sein, dass die Studierenden der #freeSZFE von gewissen Partnerinstitutionen jetzt mehr Aufmerksamkeit bekommen als sie früher hatten“, ergänzt Ármin.
„Es wäre dringend notwendig die Ausbildung von Künstler*innen und überhaupt die Hochschulbildung neu zu denken; das möchten wir mit dieser neuen Werkstatt tun. In dieser schwierigen Situation ist das das Einzige, was mir Hoffnung macht“, so Asia. „Es ist eine große Chance, aber auch eine Probe für die Gemeinschaft.“
Katalin Erdődi ist Kuratorin und Dramaturgin mit Arbeitsschwerpunkten in sozial engagierter Kunst, experimentell-performativen Praktiken und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie lebt in Wien.
[1] Über die kulturpolitischen Spannungen zwischen der Landes- und Kommunalebene nach den Gemeinderatswahlen 2019 hat Katalin Erdődi in der Bildpunkt-Ausgabe 53/2020 in ihrem Text Tauziehen zwischen Staat und Stadt – Eine neue Ära des Kulturkampfs in Ungarn berichtet.