Damals, rund um Beginn der 2020er Jahre: „The largest subsidy for the arts comes not from governments, patrons or the private sector, but from artists themselves in the form of unpaid or underpaid labour.“ (Neil 2019: 20). Die Hälfte der Künstler*innen verdient mit der Kunst unter 5.000 Euro netto im Jahr, in Österreich. Versicherungslücken, 25 % Gender-Pay-Gap und Armutsgefährdung doppelt so oft wie in der Gesamtbevölkerung sind ebenfalls Ergebnisse der Studie zur sozialen Lage der Künstler*innen und Kulturvermittler*innen von 2018. Eine Erhebung des Fair-Pay-Gap bei Fördernehmer*innen des Bundes lieferte 2022 weitere Daten zur prekären Lage. Wie sehr klaffen erhaltene und faire Bezahlung in der Freien Szene auseinander? 21 %, in der Gesamtbetrachtung. Im Detail sind die Abgründe auch tiefer. The Worst of Fair-Pay-Gap spielt sich ab bei Einzelunternehmer*innen, Festivals, im ländlichen Raum, in der bildenden Kunst – einen Peak von gar 111 % Fair-Pay-Gap verbucht projektorientiertes Arbeiten.
Pandemie, Lockdowns, Einnahmenausfälle hatten da gerade noch gefehlt. Unterstützungsfonds federten über fast zwei Jahre hinweg einiges ab, wenn auch nicht für alle. Und schon folgte der fließende Übergang zu Rekordinflation und explodierenden Energiepreisen. Wie nur den multiplen Krisen entgegnen? An welchen Schrauben drehen für eine nachhaltig gute soziale und ökonomische Lage von Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen?
Der UNESCO-Weltkulturbericht 2022 versucht eine Analyse des Status quo, wirft Schlaglichter auf Beispiele guter Praxis und appelliert an Entscheidungsträger*innen: „[…] die bereits bestehenden Vulnerabilitäten, die durch die COVID-19-Pandemie zusätzlich verstärkt wurden, [erfordern] eine bessere Berücksichtigung der besonderen Bedürfnisse von Kunst- und Kulturakteur:innen (einschließlich sozialer Sicherheit und Wohlbefinden).“ Mind the gap! Mind the crisis!
Welche Impulse liefert der UNESCO-Weltkulturbericht 2022? Was können wir aus internationalen Erfahrungen lernen?
Als Zusammenschau und Resümee aus über 90 Länderberichten stellt der Weltkulturbericht eine üppige Quelle an Anregungen dar – so auch zur Verbesserung der sozialen und der ökonomischen Lage. Der Bericht differenziert präzise zwischen der Notwendigkeit fairer Bezahlung für geleistete Arbeit und fairer Vergütung für die Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke. Was tut sich? Fair-Pay-Maßnahmen finden zunehmend Eingang in die Kulturförderpolitik, faire Bezahlung konnte in den Arts Councils mehrerer Länder als Fördervoraussetzung verankert werden.
Unabhängig von Erwerbsarbeit besticht Irland mit einem mehrjährigen Pilotprojekt zum Grundeinkommen. Wenn auch nicht bedingungslos („Basic Income for the Arts“ statt „Universal Basic Income“), so sollen doch über Losentscheid 2.000 Künstler*innen davon profitieren. Kick-off war Ende August 2022. Hier sei allen (Honorar-)Verhandler*innen ins Stammbuch geschrieben: Ein bedingungsloses, existenzsicherndes Grundeinkommen ist kein Ersatz für faire Bezahlung und faire Vergütung, kein Ersatz für gute Systeme sozialer Absicherung. Ein Grundeinkommen ist eine finanzielle Basis, um in Freiheit tätig zu sein. Es ist kein Freibrief für Lohndumping, weil doch bereits die Existenz gesichert sei …
Apropos soziale Absicherung: Uruguay, Spanien, Italien, Frankreich und Belgien lassen mit Hinweisen auf (neue) Regelungen aufhorchen, die auf berufstypisch diskontinuierliche Erwerbstätigkeit reagieren. Für Beschäftigte in der darstellenden Kunst hat Italien beispielsweise zur Berechnung des Tagsatzes für Elterngeld den Referenzzeitraum für die Berechnungsgrundlage von vier Wochen auf ein Jahr ausgedehnt. Damit wird den üblicherweise kurzfristigen Engagements in Abwechslung mit Phasen ohne Beschäftigungsverhältnis Rechnung getragen. Das ist fair!
In Österreich hingegen sind Eltern vom einkommensabhängigen Kinderbetreuungsgeld grundsätzlich ausgeschlossen, wenn sie in den vorangegangenen sechs Monaten auch nur einen einzigen Tag nicht versicherungspflichtig erwerbstätig waren. Kompatibel mit Projektarbeit oder den berufstypischen Kurzzeitanstellungen insbesondere in Film und Theater ist das nicht. Ebenso wenig wie das System der Arbeitslosenversicherung in Österreich: Mit tage- und wochenweiser Beschäftigung lässt sich kaum jemals ein Anspruch auf Arbeitslosengeld erwerben.
Mit dem System der „Intermittence du Spectacle“ – im Bereich der darstellenden Kunst, jedoch keineswegs auf künstlerische und kulturelle Arbeit beschränkt – hat Frankreich Pionier*innenarbeit geleistet und ist den branchentypischen „Unterbrechungen“ mit einem erleichterten Zugang zum Arbeitslosengeld begegnet: Mit derzeit 507 Beschäftigungsstunden innerhalb von zwölf Monaten ist ein Anspruch erworben. So sehr die Parameter dieses Systems im Laufe der Jahre auch Verschlechterung erfahren haben, so beispielgebend war (und ist!) der grundsätzliche Gedanke für ähnliche Maßnahmen etwa in der Schweiz und für den Filmbereich in Deutschland.
In Deutschland erleichtert ein sogenanntes Arbeitszeitkonto Filmemacher*innen das Erwerben von Ansprüchen aus der Arbeitslosenversicherung: Die in der Filmbranche oftmals exzessiv langen täglichen Arbeitszeiten können rechnerisch auf Acht-Stunden-Tage umgelegt werden. Daraus ergibt sich eine höhere Anzahl an anrechenbaren Arbeitstagen, und es wird leichter die erforderlichen Versicherungszeiten zu erreichen. In der Schweiz wiederum gilt für Versicherte in Berufen mit häufig wechselnden oder befristeten Anstellungen (z.B. Schauspieler*innen, künstlerische Mitarbeiter*innen in Radio, Film und Fernsehen, Filmtechniker*innen, Artist*innen, …): Die ersten 60 Kalendertage eines befristeten Arbeitsverhältnisses zählen doppelt. Prädikat: nachahmenswert!
Zurück zum Weltkulturbericht: Oftmals geizt dieser mit Detailinformationen und bleibt vage, aber als ein roter Faden ist der Ansatz zur Flexibilisierung bestehender Systeme allemal ersichtlich, um sie auch für Kunst und Kultur (besser) zugänglich zu gestalten. So können in Uruguay Künstler*innen mit mindestens 150 Arbeitstagen oder vier Verträgen jedenfalls ein Jahr lang Leistungen sozialer Absicherung in Anspruch nehmen. Zu Frankreich und Belgien folgt ein Hinweis auf eine Arbeitslosenregelung, die es Künstler*innen ermöglicht, in Zeiten „versteckter Arbeitslosigkeit“ zwischen Beschäftigungen weiterhin an eigenen Projekten zu arbeiten und neue zu entwickeln, anstatt andere Beschäftigungen annehmen zu müssen, die ihre kreative Praxis einschränken würden.
Kulturpolitik neu denken: Ausschlüsse bekämpfen
Soziale Rechte verankern, bestehende Systeme sozialer Absicherung den (a)typischen Erwerbsrealitäten (in Kunst und Kultur) anpassen und Künstler*innen gleichermaßen zugänglich machen, faire Bezahlung gewährleisten, Arbeitsbedingungen verbessern, Resilienz stärken – das sind wiederkehrende Appelle im UNESCO-Weltkulturbericht 2022. Sie decken sich auch mit Positionen von Interessengemeinschaften (IGs) und der ARGE Kulturelle Vielfalt. Und sie bestärken diese.
So lautet etwa eine gemeinsame Forderung von IGs: „Keine öffentlichen Gelder für Projekte und Einrichtungen, die auf un(ter)bezahlter künstlerischer oder kultureller Arbeit beruhen oder budgetär bedingt auf rechtlich zweifelhafte Arbeitsverhältnisse ausweichen“ – mehr dazu im Fair-Pay-Reader des Kulturrat Österreich. Faire Bezahlung wirkt nicht zuletzt auch positiv auf Geldleistungen aus der Sozialversicherung: Altersarmut bekämpfen!
Und gleich weiter zur Großbaustelle Erwerbslosigkeit: das Zusammenspiel von selbstständiger und unselbstständiger Tätigkeit mit Phasen der Erwerbslosigkeit in den Griff bekommen! Mit einer erleichterten Anwartschaft für prekär Tätige, einem Arbeitslosengeld und Notstandshilfe mindestens über der Armutsgefährdungsschwelle, flexiblen Zuverdienstregeln, einem leistbarem Modell für Selbstständige, Zuschüssen aus dem Künstler*innensozialversicherungsfonds auch zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung für Selbstständige, einer Neudefinition von Arbeitslosigkeit – oder gleich mit einem komplett neuem Ansatz wie einen bedingungslosen Grundeinkommen. Bedingungslosigkeit schließt schließlich niemanden aus. Folglich ein Volltreffer. Auch im Sinne der UNESCO-Konvention über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.
Kulturelle Vielfalt zu ermöglichen geht letztlich nicht ohne Arbeit gegen Ausschlüsse, für gleiche Rechte und gleiche Möglichkeiten für alle, in Theorie und Praxis – unabhängig von reichen Eltern, Aufenthaltsstatus, Pass, Gender, Alter, Kinderbetreuungspflichten und wider jede andere systematische Diskriminierung.
Dieser Text entstand im Auftrag der Österreichischen UNESCO-Kommission und ist zuerst erschienen in “UNESCO Talk. Kulturpolitik neu denken. Aus internationalen Erfahrungen lernen. Eine Dokumentation des UNESCO Talks am 13. Dezember 2022. Mit Analysen von Expert*innen aus Kunst, Kultur und Wissenschaft.” (Wien, März 2023) (Hg.in: Österreichische UNESCO-Kommission)
Bibliografie
Allianz Deutscher Produzenten – Film und Fernsehen e.V. / Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft – ver.di, Bundesvorstand (2021): Tarifvertrag für auf Produktionsdauer beschäftigte Film- und Fernsehschaffende – TV FFS vom 30. April 2021. Berlin: ver.di.
Galián, Carlos / Licata, Margherita / Stern-Plaza, Maya (2021): Social Protection in the Cultural and Creative Sector. Country Practices and Innovations. ILO Working Paper 28. Genf: International Labour Organization.
Gallup Institut (2022): Fair-Pay-Gap in Kunst und Kultur. Wien: Gallup Institut.
Kulturrat Österreich (2021): Fair Pay – Fair Play. Für faire Bedingungen in Kunst, Kultur und Medien. Wien: Kulturrat Österreich.
Neil, Garry (2019): Culture & Working Conditions for Artists: Implementing the 1980 Recommendation Concerning the Status of the Artist. Paris. UNESCO.
Schweizerischer Bundesrat (2022): Verordnung über die obligatorische Arbeitslosen-versicherung und die Insolvenzentschädigung (Arbeitslosenversicherungsverordnung, AVIV) vom 31. August 1983 (Stand am 1. April 2022).
Wetzel, Petra / Danzer, Lisa / Ratzenböck, Veronika / Lungstraß, Anja / Landsteiner, Günther (2018): Soziale Lage der Kunstschaffenden und Kunst- und Kulturvermittler/innen in Österreich. Wien: L&R Research.