Eine Studie zur sozialen Lage der Kunstschaffenden aus 2008 hält in Zahlen fest, was sich in Bezug auf Elternschaft mit freiem Auge beobachten lässt: Künstler_innen bekommen seltener und später Kinder. Dies ist laut Studie „… weniger auf die Problematik der Vereinbarkeit mit dem Beruf an sich zurückzuführen als vielmehr auf die häufig unsicheren Beschäftigungs- und Einkommensperspektiven.“ [1]
Die finanzielle Lage der meisten Künstler_innen, ob mit oder ohne Kinder, ist schwierig bis angespannt. Geringes und unregelmäßiges Einkommen aus künstlerischer Tätigkeit hat weitreichende Folgen. Denn daraus werden nicht nur die laufenden Lebenskosten gedeckt, sondern auch die künstlerische Arbeit in all ihren Facetten (mit)finanziert: Materialkosten, Ateliermiete, Ausstellungskosten (Transport, Reise, Logis oder gar Versicherung), soziale Absicherung. Zudem fallen Ausgaben für ausgelagerte Tätigkeiten wie Teilproduktion von Kunstwerken oder Kinderbetreuung an – Aufgaben, die sonst anderweitig organisiert oder eben selbst erledigt werden müssen.
Als konkrete Reaktion verfolgen viele Kunstschaffende eine „duale Karriere“. Eine zusätzliche Erwerbstätigkeit bringt Stabilität in die Haushaltskasse – und auch ein wenig ins Gemüt. Das kostet jedoch Zeit und Energie, die wiederum der künstlerischen Arbeit und anderen Lebensbereichen vorenthalten werden. Die Katze beißt sich in den Schwanz. Zu der heiklen finanziellen Ausgangslage und den prekären Einkommensperspektiven kommen noch weitere Arbeitsanforderungen, die mit Kindern knifflig sind: insbesondere regelmäßige Besuche von Abendveranstaltungen und Ausstellungstätigkeiten im Ausland.
Die Verwebung der einzelnen Lebensbereiche beginnt im Kopf
Abgesehen von dem tristen Bild, das ich von der Einkommenssituation der Kunstschaffenden gezeichnet habe, bringt dieser Beruf aber nicht nur große Herausforderungen, sondern ebenso große Möglichkeiten der Selbstgestaltung der Lebensbereiche und die Verwebung dieser. Im deutschen Sprachraum hat sich hierfür die Bezeichnung „Vereinbarkeit von Familie und Beruf“ etabliert. Von Work-Life-Balance, also einer Ausgewogenheit von beruflicher Karriere und Familienleben, ist im Englischen die Rede. In diesem Zusammenhang stoße ich mich ein wenig an den Begriffen „Vereinbarkeit“ und „Balance“, die unterschwellig eine Trennlinie zwischen Beruf und Leben ziehen und somit dem wandelbaren Lebensentwurf von Kunstschaffenden nicht ganz gerecht werden. Was vielleicht wie Wortklauberei wirkt, hat auch mit einer anderen Sichtweise zu tun. Die einzelnen Lebensbereiche sollten ja nicht aneinandergestoppelt werden (müssen), sondern vielmehr ineinander verwoben oder sogar in ein großes Ganzes integriert werden (können).
Diesen Ansatz zu leben, ist auch als Künstler_ in nicht einfach. Wo Leistung und Arbeit (und ein kompetitiver Kunstmarkt) einen enormen Stellenwert haben, ist für mich klar, dass die Verwebung der einzelnen Lebensbereiche im Kopf beginnt. „ … ein unbalanciertes Leben macht nicht glücklich, welchen Geschlechts man auch ist. Nur in einer vor Dynamik blinden Gesellschaft werden Gelassenheit als Lethargie, Bindung als Hemmnis, Gleichgewicht als Sklerose, die Mittellage als Mittelmäßigkeit, die Mulitdimensionalität von Lebenszielen als Entschlusslosigkeit und die Balance als Inkonsequenz wahrgenommen.“[2] So könnte der Zweitjob auch als Teil der künstlerischen Praxis gesehen und gelebt werden. Dies würde vielleicht den unterschwelligen Ton verstummen lassen, ein zusätzlicher Brotberuf sei das Zeichen dafür, kein_e erfolgreiche_ r Kunstschaffende_r zu sein.
Noch auffälliger ist die Trennung von Beruf und Privat in einem Feld, das sich ausgerechnet sehr privat und leger gibt und dennoch eine hohe Relevanz im künstlerischen Berufsalltag hat: Abendveranstaltungen im Kunstbetrieb (Ausstellungseröffnungen, Atelierrundgänge, moderierte Gespräche, etc). Hier vermisse ich oft ein wenig Kindergelächter und -geschrei. Andere oder zusätzliche Veranstaltungszeiten wie bspw. am Wochenende tagsüber würden vielleicht zu einer größeren Durchmischung des Publikums führen und es auch Eltern erleichtern, öfter Veranstaltungen wahrzunehmen. Oder umwegsrentabel gedacht: Hier kommen die Käufer_innen und Museumsbesucher_innen von morgen früh in Kontakt mit Kunst.
Zu neuen Ufern
Elternschaft fügt dem ohnehin komplexen Gebilde der/des Künstler_in noch eine weitere Rolle hinzu. Betreuungs- und Erziehungsarbeit klingen allerdings trockener als sie sind: Sie bedeuten viel Schweiß und Lachtränen. Und hier bringt der Beruf der Kunstschaffenden wesentliche Vorteile mit sich. Die Selbstbestimmtheit über die Arbeit und die damit verbundene Flexibilität. Nicht nur die Arbeitspakete sind unterschiedlich umfangreich und lang, auch auf Ferienzeiten und Krankentage der Kinder kann/muss reagiert werden. Die Zeiteinteilung für Ausstellungen ist individuell umsetzbar, selbstinitiierte Projekte können an die eigenen Bedürfnisse angepasst werden. (Was bei Wegfall externer Betreuungsmöglichkeiten den Diskussionsbedarf zur Frage „Wer bleibt zuhause?“ zwischen selbstständig und unselbstständig erwerbstätigen Partner_innen nicht mindert.) Ein wesentlicher Anspruch an die künstlerische Praxis ist die Mobilität als Künstler_in. Sei es in Form internationaler Ausstellungen, ortsspezifischer Projekte oder gar mehrmonatiger „Artist in Residence“-Aufenthalte. Auch hier gibt es Selbstbeschränkungen im Kopf (zumindest in meinem), die durchaus niedergerissen werden können. Solche Vorhaben, insbesondere die langfristigeren, sind mit Kindern nicht einfach und erfordern viel Planung. Je nach Alter müssen unter anderem Kinderbetreuung und/oder Schule vor Ort organisiert, zusätzliche finanzielle Mittel aufgestellt und eventuell Ersatz für die Mutter- Kind-Pass-Untersuchungen gefunden werden. Ganz abgesehen von den vielen Koffern, Taschen, Rucksäcken, die herumgeschleppt werden müssen…
Doch es gibt Beispiele, die zeigen, dass alles oder zumindest vieles machbar ist. Das Thema Mobilität zieht sich auch durch alle bisher vier Workshops Wir werden die Kunst schon schaukeln, die die IG Bildende Kunst seit Oktober 2013 zur Auseinandersetzung mit Fragen rund um Elternschaft und Künstler_ insein veranstaltet hat. So waren beispielsweise Hubert Lobnig und Iris Andraschek Artists in Residence in Durham (Kanada) und ein anderes Mal im BKA-Auslandsatelier in New York – immer in Begleitung ihrer Tochter, die an den jeweiligen Aufenthaltsorten vorübergehend in die Schule ging. Anna Zeilinger wiederum war mit ihren Kindern zwei Mal für jeweils drei bis vier Wochen in Artists’ Residencies in Finnland und resümiert, dass sie noch mehr Auslandsaufenthalte mit ihren Kindern im Kleinkindalter hätte machen sollen. Rar aber doch gibt es Artist-in-Residence-Formate, die sich explizit an künstlerisch tätige Eltern oder Mütter richten, wie das Künstlergut Prösitz[3] bei Leipzig und takt[4] in Berlin. Die Kunstsektion (Bundeskanzleramt) mit ihrem Angebot an Auslandsateliers bietet zumindest an manchen Orten Atelier- bzw. Wohnsituationen, die es ermöglichen Kunst und Kind(er) gut zu verbinden.[5]
Solche kraftvollen Handlungen wie Residencies, Ausstellungen oder andere Projekt im Ausland mit Kindern zu realisieren, setzt auch den noch hartnäckigen Vorurteilen etwas entgegen, die der Elternschaft von Künstler_innen anhaftet. Kompetenzen und Qualitäten gehen mit dem Elterndasein schließlich nicht verloren. Im Gegenteil habe ich erlebt, dass zusätzlich Flexibilität, Toleranz und Stressresistenz steigen. Kunst und Kind(er) sollten nicht als Hindernislauf gesehen und gelebt werden – sowohl von den Künstler_innen selbst als auch von ihrem Umfeld. In meiner Idealvorstellung kommt es zu einer Verschränkung der einzelnen Rollen und zu einer gegenseitigen Bereicherung. Ich hätte gerne Kinder mit einer Selbstverständlichkeit im Kunstbetrieb, die sämtliche Diskussionen darüber obsolet macht.
Iris Christine Aue lebt und arbeitet in Wien und hat zwei Kinder. Sie ist bildende Künstlerin und beschäftigt sich in ihren figurativen raumgreifenden Zeichnungen mit dem Machtgefüge in zwischenmenschlichen Beziehungen.
[1] S. Schelepa et al. (2008): Zur sozialen Lage der Künstler und Künstlerinnen in Österreich, S. 24 (www.kunstkultur.bka.gv.at/Docs/kuku/medienpool/ 17401/studie_soz_lage_kuenstler_en.pdf)
[2] M. Prisching: Die Erfindung von Leben und Arbeit. In: A. Hoffmann (2007): Work-Life Balance, S. 12 (www.kutschera.org/fileadmin/images/pdfs/Diplomarbeiten__Forschung/Forschung/DA_Work-Life-Balance_07.pdf)
[3] Künstlergut Pösitz: www.kuenstlergut-proesitz.de/index.php/en/kuenstlergut
[4] takt kunstprojektraum: www.taktberlin.org/residency
[5] IG Bildende Kunst (2014): Wir werden die Kunst schon schaukeln, Protokoll zu Workshop III, S. 3 (www.igbildendekunst.at/politik/kind/workshop/20140513)