Zu einem Preis

Zur Utopie der NFT-Kunst

Im Taumel jener aktuellen Tech-Utopie, der erneut das Versprechen einer Demokratisierung und Dezentralisierung des Internets durch das Web 3.0 innewohnt, fluten seit über fünf Jahren content creators (wie sich viele NFT-Produzent_innen selbst bezeichnen) mit einer vermeintlich neuen Gattung künstlerischer Arbeiten einen digitalen, auf Kryptowährung basierenden Markt und die sozialen Medien. Eine breitere mediale Aufmerksamkeit für das Phänomen NFT (Non Fungible Token) folgte, als nach den führenden Onlineplattformen auch konventionelle Auktionshäuser wie Christie’s damit begannen, die Arbeiten zu verkaufen und bis zu zweistellige Millionenbeträge für GIFs, JPGs, Tweets oder andere Dateiformate gezahlt wurden. Neben der „Unikatisierung“ digitaler Dateien durch das NFT (welches lediglich ein Eigentumsverhältnis deklariert, ohne dabei an der technischen Reproduzierbarkeit der Datei etwas zu verändern), wurde zudem die Möglichkeit der Beteiligung der creators an Weiterverkäufen durch smart contracts und somit eine Stärkung der Urheber_innenrechte gefeiert. „NFT“ ist zum Synonym für digitale Kunstwerke geworden. Die drei Buchstaben standen eine Zeit lang für künstlerische Selbstverwaltung, progressive Verschmelzung von Kunst und Blockchain-Technologie und galten als anarchische Querschläger im streng hierarchischen Kunstmarktsystem.

Die progressive Idee, dass Künstler_innen an der Weiterverbreitung und Wertsteigerung ihres geistigen Eigentums dauerhaft beteiligt werden können, trifft in diesem Fall jedoch konflikthaft auf einen systeminhärenten, strukturellen Widerspruch: Sie löst sich in Wohlgefallen auf, sobald das NFT-Kunstwerk die Sphäre der Blockchain-Realität verlässt. Außerhalb dieses transnationalen und über weite Strecken anonymen Netzwerks gibt es bisher keine rechtlichen Entsprechungen zum Eigentumsanspruch, den das NFT liefert. Es ist eine juristische Fiktion. Einzig die gezahlten Geldsummen sind real und die Einzigartigkeit des Zertifikats, aus denen sich die gesamte Befriedigung der Käufer_innen speisen muss. Der Kunstwissenschaftler Kolja Reichelt stellte kürzlich die These auf, dass neben ökonomischen Interessen wie der Diversifizierung eines Krypto-Portfolios eine neue Form der objekt-unabhängigen Aura Motivation sein könnte, NFT-Kunst zu kaufen. Danach würde eine zeitlich-historische Aura in dem Moment erschaffen, in dem der Kauf erfolgt. Die Bereitschaft der Käufer_innen, in jener Sekunde eine enorme Summe für eine physisch nicht greifbare Arbeit zu zahlen, würde sogar erst das historisch-auratische Moment konstruieren und die Käufer_innen respektive ihre Zahlungskraft konstitutiv in das Werk einbinden, ja ihnen somit eine Co-Autor_innenschaft gewähren. Dadurch erklärt sich jedoch noch nicht, wie sich NFT-Kunst aus künstlerischer Perspektive als Medium begreifen lässt.

Just drop it

Ohne die angerichteten Schäden an der Umwelt, die bisweilen juristisch zweifelhafte Umschiffung nationaler Steuern und die Vertuschung der zunehmenden Zentralisierung des Internets bei gleichzeitiger Behauptung des Gegenteils als nachgelagerte Probleme anzusehen, muss aus Sicht Kunstschaffender, aber auch Kurator_innen und Theoretiker_innen, die so banale Frage drängen: Was ist ein NFT-Kunstwerk? Worin liegt die Spezifität des Mediums, die es kunstwissenschaftlich relevant werden lässt? Die populären Arbeiten erscheinen auf den ersten Blick oft angelehnt an die Pixelkultur der Konsolenspiele der Nullerjahre (wie die CryptoPunks oder die CryptoKitties), greifen Untiefen der Reddit-Kultur auf und bleiben doch inhaltlich beliebig.

Olga Mack, Dozentin für Blockchain-Technologie an der University of California, Berkeley sagte einst, zur Intransparenz des Kryptomarktes befragt: „To the average person, it does sound like voodoo, but when you press a button to switch on lights, do you understand how the electricity is made? You don’t have to know how electricity works to understand the benefits. Same is true of the blockchain.“ Es ist, als wäre dieses (durchaus alltagspraktische) Credo über den Kryptomarkt direkt auf die künstlerische Produktion übertragen worden. In der kontinuierlichen Rekapitulation und Sichtbarmachung der eigenen materiellen, technologischen und sozialen Bedingungen liegt aber eine der bedeutsamsten Qualitäten zeitgenössischer Kunst. Doch genau diese sucht man auf dem Feld der NFT-Kunst über weite Strecken vergeblich. Nicht ausschließlich die Blockchain-Technologie selbst muss daher in die Kritik genommen werden, sondern die von einer Begriffslosigkeit zeugende Rhetorik, durch die hindurch das semantische Dilemma naturalisiert wird, in dem sich NFT-Kunstwerke befinden.

Semantische Leere

Etablierte Künstler_innen wie Erwin Wurm oder Katharina Grosse, die zuvor nicht digital gearbeitet haben, waren auf einmal mit digitalisierten und mit NFTs versehenen Varianten ihrer sonst großformatigen, installativen Arbeiten präsent. Von einer Demokratisierung des Kunstmarktes wurde an dieser Stelle insofern gesprochen, da sich nun angeblich jede_r einen „Grosse“ oder „Wurm“ leisten könne. Der Verkaufspreis lag bei jeweils circa tausend Euro. Der ästhetische Mehrwert des digitalen Wurm­fortsatzes in Form des NFT-Zertifikats an einer digitalisierten Rauminstallation ist jedoch nicht vorhanden. Umso größer der finanzielle Mehrwert für Galerien und (bereits etablierte) Künstler_innen. Einen inhaltlichen Schritt weiter gingen die ebenfalls namenhaften Künstler Jeremy Deller mit der Arbeit The last Day (2021) und Simon Denny mit NFT Mine Offset: Ethereum Kryptowährung Mining-Rig 45 MH/s (2021). Beide machten in den Arbeiten sowohl die zur Produktion der NFTs benötigten Technologien sichtbar, als auch die daraus resultierenden ökologischen Probleme: So lässt Deller in seinem animierten Video The last Day eine grüne Hügellandschaft durch einen Bitcoin, der den Platz der Sonne einnimmt, in Flammen aufgehen. Inhaltlich referiert die Arbeit somit auf die enorme Ressourcenverschwendung, die durch einige der Mining-Verfahren verursacht wird. Doch auch an diesen Beispielen lässt sich eine Medienspezifität, die sich aus der Verknüpfung Binärcode-basierter Piktogramme oder Animationen und eines Blockchain-Zertifikats ergeben, nicht nachvollziehen. Wie könnte diese also aussehen?

Zum einen müsste in einer solchen Arbeit angelegt sein, dass sie erst durch den Zusatz des Zertifikats als solche vollständig ist, soll das NFT nicht als bloße Buchhaltungstechnologie Verwendung finden. Wie das Spiel mit der Zeitlichkeit und ihrer Wahrnehmung ausschlaggebend ist für Videokunst, wie die Betonung des Ephemeren besonders relevant in der Performancekunst, so muss ein NFT-Kunstwerk auf seine Bindegliedfunktion zwischen digitaler Kunst und Kryptomarkt verweisen. Das hieße beispielsweise auch, den bereits in Bezug auf die Käufer_innen erwähnten zeitlich-historischen Begriff der Aura kritisch abzuwenden oder bewusst zu affirmieren. Im Sinne einer Affirmation würde das bedeuten, das das Kunstwerk selbst formal einen Verweis auf seine eigene Indexikalität erbringen muss. Da es sich bei dem Kunstwerk in diesem Falle nur mehr um ein Vehikel handelt, das visuell auf einen, von den Käufer_innen bestimmten Zeitpunkt verweist, wird jeder weitere Bildinhalt obsolet. Lediglich die Spur, die die Arbeit zieht zwischen seiner Genese durch die Künstler_innen und seiner Monetarisierung muss schlussendlich sichtbar bleiben. Gibt es zukünftig Anknüpfungspunkte an die Konzeptkunst oder sind NFT-Kunstwerke gar eine mögliche Form der Infrastrukturkritik? Bisher jedenfalls sind die NFT-Kunstwerke, die eine breite mediale Aufmerksamkeit erfahren haben, weniger als Kunstwerke zu verstehen denn als kluge Marketingstrategien.

 


Anne Zühlke ist Kuratorin im DOCK 20 in Lustenau.

 


1 Bobby Allyn, People are talking about Web3. Is it the Internet of the future or just a buzzword?, www.npr.org/2021/11/21/1056988346/web3-internet-jargon-or-future-vision