Bildpunkt: Wenn von künstlerischer Forschung die Rede ist, scheint eine grundlegende Ambivalenz unbestreitbar: Zum einen ist hier ein neues Praxisfeld erschlossen worden, in dem anspruchsvolle Verknüpfungen von Kunst und Wissenschaft entwickelt werden. Zum anderen sind diese Entwicklungen über neue Messbarkeit- und Effektivitätskriterien direkt eingebunden in die neoliberale Umstrukturierung der Universitäten. Seht ihr in künstlerischer oder kunst-basierter Forschung emanzipatorisches Potenzial?
A.H.: Ja und nein, es gibt emanzipatorische und es gibt konservative Tendenzen, so wie in jedem anderen Forschungsbereich auch. Der Unterschied liegt in der Bewertung, weil sich kunst-basierte Forschung eher Legitimationsfragen stellen muss, die an etablierte Disziplinen nicht mehr gestellt werden. Die Frage ist also nicht ob es emanzipatorisches Potential gibt oder nicht, sondern wie das, was an Potenzial entsteht, gesellschaftlich aufgenommen werden kann. Wir stehen einer sehr rigiden Aufteilung gegenüber: der Kunstbetrieb (Museen, Kunstvereine, Galerien) bleibt von kunst-basierter Forschung weitestgehend unberührt, wodurch diese ausschließlich an den Universitäten verortet wird. Diesen etablierten Konsens spürt man vielleicht am stärksten durch die Tatsache, dass im Moment viele neue Galerien in Wien eröffnet werden, hingegen scheint es außerhalb des Vorstellbaren, etwas wie ein unabhängiges Zentrum für Kunst und Forschung zu eröffnen. Es müsste also die Frage nach der Autonomie (der Kunst und der Forschung) und ihrer Platzierung erneut gestellt werden.
N.A.d.F.: Emanzipatorisch ist für mich Forschung besonders dort, wo sie es ermöglicht, herkömmliche Paradigmen von Wissensproduktion, die oft auf gesellschaftlichen Ungleichheiten basieren, als solche nicht nur unter die Lupe zu nehmen, sondern sie auch zu verschieben und umzugestalten. Potenzial sehe ich dementsprechend in künstlerischen Produktionen, welche ich als Handlungs- und Ermächtigungsräume verstehe und welche sich kritisch verorten und selbstreflexiv hinsichtlich der eigenen Wissensproduktion bleiben.
Bildpunkt: Ana Hoffner, in einem gemeinsam mit Anette Baldauf geschriebenen Text Kunst-basierte Forschung und methodischer Störsinn (2016) begreifst du kunst-basierte Forschung als „eingreifende Tätigkeit“. Eine politische, linke Stoßrichtung bekäme die künstlerische Forschung dadurch, dass „eine konsequente Befragung der gegenwärtigen Situiertheit“ der eigenen Praxis betrieben würde. Sind Selbstreflexion und Intervention wirklich so eng miteinander verwoben?
A.H.: Es bedarf tatsächlich einer Klärung, was mit Selbst – reflexion bzw. Intervention gemeint ist. Wir haben hier einen queer-feministsichen, sehr psychoanalytisch fundierten Ansatz verfolgt, der die gesellschaftlichen Strukturen immer wieder an die Psyche zurückkoppelt, d.h. wir haben Selbstreflexion als einen nicht abgeschlossenen Prozess der Bewusstwerdung im Gegensatz zu einem Bestätigen eines bereits vorgefassten Bewusstseins gemeint. Die Intervention besteht also darin, das Begehren, den Wunsch, den (An)trieb Wissen zu produzieren als Möglichkeiten des Eingreifens zu verstehen und der Tendenz der Objektivierung entgegenzustellen.
Bildpunkt: Nicole Alecu de Flers, du machst neben dem Zaglossus Verlag (mit Katja Langmaier) auch künstlerische Arbeiten. In deinem Projekt IS ID ALL im Rahmen von kültür gemma, dem Programm zur Förderung migrantischer Kulturproduktion, hast du mit dem von Cherríe Moraga und Gloria Anzaldúa herausgegebenen Buch This Bridge Called My Back: Writings by Radical Women of Color gearbeitet. Konkret hast du alle Wörter aus dem Buch herausgenommen, alphabetisiert geordnet und das in Form eines Wortverzeichnisses als Kunststück verlegt. Was untersucht dein Buch und was bedeutet diese Transformation auf der wortwörtlichen Ebene für künstlerische Praxis?
N.A.d.F.: This Bridge Called My Back ist für mich politisch und persönlich ein sehr wichtiges Buch und mich beschäftigt die Frage, warum es nicht mehr rezipiert wird und wie sich das ändern lassen könnte. IS ID ALL ist eine Hommage und öffnet den Text mithilfe von konzeptuellen Strategien für ein anderes „Lektüreniveau“. Die Original-Beiträge werden in gewissem Grad in eine kollektive Stimme zusammengefasst und es kommen interessante Dinge an die Oberfläche: wiederkehrende Themen, zufällige Wortketten, visuell interessante Muster. Wichtig dabei ist, dass diese Lese-Erfahrungen vergleichsweise wenig im Voraus bestimmt sind und dass jede*r Leser*in eigene Erfahrungen macht und damit expliziter an der Erzeugung von Bedeutung teilhat.
Bildpunkt: Ihr beide habt Erfahrungen im Programm PhD in Practice an der Akademie der bildenden Künste Wien. In dem Curriculum wird das Profil der Teilnehmer*innen unter anderem beschrieben mit der kritischen Reflexion der eigenen künstlerischen Praxis, die sowohl Methode als auch Gegenstand der künstlerischen Forschung sein kann. Wie seid ihr zu dem Programm gekommen, du, Ana als Künstlerin, und du, Nicole als Politikwissenschaftlerin?
N.A.d.F.: Nachdem sowohl in meiner Tätigkeit als Politikwissenschaftler* in als auch als Verleger*in immer wieder Grenzen zutage getreten sind, suche ich nach ergänzenden Wegen, um hegemoniale Formen der Wissensproduktion anzufechten und alternative Vorschläge zu entwerfen. Das PhD-in-Practice- Programm bietet mir eine besonders geeignete Möglichkeit, mich mit künstlerischen Mitteln mit den Bedingungen von Wissensproduktion auseinanderzusetzen, da es auf kritischen Epistemologien, vor allem queer-feministischen, postkolonialen und ökonomiekritischen Perspektiven, basiert.
A.H.: Ich war vor dem PhD Programm Stipendiatin im Künstlerhaus Büchsenhausen (meiner Einschätzung nach die einzige Möglichkeit in Österreich außerhalb der Universitäten ernsthaft künstlerisch zu forschen) wo ich mich vor allem diskursiver Performance gewidmet habe. Mich hat tatsächlich von Anfang an interessiert, aus der künstlerischen Praxis heraus Theorie zu produzieren, damit gehöre ich sicher zu den eher angepassten Forschenden, weil ich künstlerisch entwickelte Theorie und theoretisch informierte Kunst produziere und diese Teilung bewusst aufrechterhalte. Mir war von Anfang an klar, dass ich meine künstlerischen Arbeiten nicht als Objekte des Wissens präsentieren kann, sondern sehr genau formulieren muss, was ich daraus ableite, das konnte ich im PhD Programm auch realisieren.
Bildpunkt: Blättert man die Sammelbände durch, die es mittlerweile zu künstlerischer und kunst-basierter Forschung gibt, geht es darin zwar oft um politische Perspektiven. Allerdings tauchen soziale Bewegungen als potenzielle Trägerinnen oder Verbündete für solche Perspektiven kaum auf. Ist die kunstbasierte Forschung zu kunstfixiert?
A.H.: Für mein PhD Projekt The Queerness of Memory war die Anti-Kriegsbewegung der 1990er Jahre in Jugoslawien und ihre Fortsetzung durch die queere Bewegung seit 2000 in der Region absolut entscheidend. Ohne diese hätte ich nicht danach fragen können, ob es möglich ist, sich in das Feld von Revisionismus und Amnesie zu begeben, um eine andere Erinnerungskultur zu schaffen. Nur auf der Grundlage von Überlebendenberichten, die feministischem Aktivismus zu verdanken sind, konnte ich die Verquickung von Fantasie und Gedächtnis befragen und solche Konzepte wie „survival drag“ und „transferred memories“ entwickeln. Aber abgesehen davon: die kunst-basierte Forschung ist eher forschungsfixiert. Das Künstlerische ist zunehmend (aus Sicht der Fördergeber) auf eine Methodenfrage reduziert und verabschiedet sich von experimenteller künstlerischer Arbeitsweise.
N.A.d.F.: Da mir Publizieren aus macht- und diskriminierungskritischer Perspektive ein besonderes Anliegen ist, fände ich es interessant, zunächst einmal den Fokus auf die Bedingungen zu legen, unter denen Publikationen wie auch diese Sammelbände zustande kommen. Meine Erfahrung zeigt mir, wie wichtig es ist, stets die Frage nach Ein- und Ausschlüssen sowie Auf- und Abwertungen zu stellen, und auch danach, ob es um ein „Anführen“ der politischen Perspektiven geht oder es einen weitergehenden politischen Anspruch gibt.
Nicole Alecu de Flers ist Politikwissenschaftler* in, Mit- Begründer*in und Leiter*in des Verlags Zaglossus, interdisziplinäre Künstler*in und Lehrende* an verschiedenen österreichischen Universitäten.
Ana Hoffner ist zurzeit DOC Stipendiatin der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. Ihr Buch The Queerness of Memory erscheint 2018 bei b_books Berlin.
Das Gespräch wurde im Jänner 2018 von Ezgi Erol und Jens Kastner per E-Mail geführt.