Visa und Aufenthalt: Mobilitat als Privileg und Problem

Ein Bericht zum Symposium Mobilität: Privileg und Problem. Globale Asymmetrien in Kunst und Kultur

Keyhan Sarreshteh hebt die Hand und der Applaus versiegt. Er deutet auf die zwei leer gebliebenen Stühle in der ersten Reihe. Die Plätze wären für Zahra Mohseni und Ramin Ziaee bestimmt – jene Künstler*innen, die an der Entstehung des Stückes Timescape, das im Rahmen der Wiener Festwochen 2023 gezeigt wird, mitgewirkt haben. Ihre Visaanträge für eine kurzfristige Einreise nach Österreich haben die beiden iranischen Künstler*innen zurückgezogen. Ein Anruf legte nahe, wenn sie nicht zurückzögen, gäbe es eine Ablehnung des Antrags und damit eine Eintragung im System. Inoffiziell erfuhren sie Gründe: Sie sind junge, unverheiratete Künstler*innen, die am Beginn ihrer Karriere stehen. Viviana Crespo Zurita steht auf der Schiller-Statue im ersten Bezirk Wiens und ruft ins Megafon: „Where is my Visa?“ Die Protestaktion der Künstlerin macht auf eine Geschichte aufmerksam, die nicht singulär ist: Unerträgliche Wartezeiten, verlorengegangene Dokumente, empfundene Diskriminierung und Fehlverhalten von Mitarbeiter*innen bei Behörden (SOS Mitmensch 2023). Die Probleme sind enorm – der Handlungsbedarf groß.

Künstlerische Arbeitsrealität: Visum – eine Frage der Klasse

Für eine Karriere im Kunst- und Kultursektor ist Internationalität Voraussetzung. Das eigentliche Problem wird oft verschleiert: Manche Künstler*innen können – aufgrund ihres Passes und finanzieller Möglichkeiten – für das Studium, für Residenzen oder Auftritte an andere Orte reisen und dort kurz- oder langfristig bleiben. Personen ohne den „richtigen“ Pass und ohne Geld werden Steine in den Weg gelegt. Menschen mit Pässen aus dem Globalen Norden können 169 Länder ohne Visum bereisen. Menschen aus dem Globalen Süden nur 86 (UNESCO 2022: 144). Um auf die Problemlage aufmerksam zu machen und Veränderung in Gang zu setzen, startete die IG Bildende Kunst, gemeinsam mit der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK) und der WIENWOCHE im September 2022 eine richtungsweisende Diskussion. Im Mai 2023 folgte das Symposium Mobilität: Privileg und Problem, das die IG Bildende Kunst und ÖUK in Kooperation mit dem Institut für Gender Studies und Kulturmanagement der MDW veranstalteten. Im Vordergrund der Diskussionen stand das Paradox: Mobilität ist Voraussetzung, wird dann aber verunmöglicht. Künstler* innen und Kulturarbeiter*innen aus sogenannten EU-Drittstaaten, die in Österreich kurz- oder langfristig arbeiten und leben möchten, stehen vor zahlreichen Problemen. Veranstalter*innen wie auch Künstler*innen müssen für ein „erfolgreiches“ Visum zeitliche, organisatorische und hohe finanzielle Kosten zahlen. Die geforderten Belege zur Einschätzung der gesicherten Wiederausreise (Nachweis der Integration im Wohnsitzland und der ökonomischen Verhältnisse u.a. Immobilienbesitz), stehen im Widerspruch zu den künstlerischen Lebensrealitäten. Jungen Künstler*innen, wie Zahra und Ramin, die am Anfang ihrer Karriere stehen, wird oft die Einreise verunmöglicht. Auch bei mittel- und längerfristigen Aufenthalten sind die Bedingungen restriktiv, verbunden mit viel bürokratischem Aufwand, Fristverzögerungen und Anforderungen, die von den Betroffenen als Schikanen wahrgenommen werden. Bei der Niederlassungsbewilligung als Künstler*in muss beispielsweise ein Großteil des Einkommens aus der künstlerischen Arbeit kommen. Dies ist oftmals nicht realistisch, da das Einkommen in der Kunstbranche zu gering ist. Die globalen Asymmetrien sind man-made. Die Bewegungen von Menschen von „Süd“ nach „Nord“ sind Kontinuitäten Nr. 65, Frühling 2023 Kunstpolitik 27 eines Systems der Ungleichheit, das durch koloniale Ausbeutung geprägt ist. Die Asymmetrien sind zugleich Bedingung für einen Kunst- und Kultursektor, der dem freien Markt überlassen wird.

Ungleichheit durch Visa-Barrieren

Mit dem UNESCO-Übereinkommen Vielfalt Kultureller Ausdrucksformen (2005) gibt es ein völkerrechtliches Instrument, das ganz klar dazu verpflichtet dem bestehenden Ungleichgewicht zwischen Nord und Süd entgegenzuwirken. Das UNESCO-Übereinkommen (Stichwort: Vorzugsbehandlung, Artikel 16 des Übereinkommens1) fordert die Vertragsstaaten dazu auf, Maßnahmen zur Erleichterung der Mobilität von Kunst- und Kulturakteur* innen zu setzen. Hier geht es um die Vereinfachung der Verfahren für die Erteilung von Visa für Einreise, Aufenthalt und vorübergehende Reisen. Mit der Ratifizierung des Übereinkommens durch Österreich 2006 gilt auch hier die Verpflichtung. Doch wie gelingt es, Verfahren und Prozesse zu vereinfachen? Der UNESCO-Weltkulturbericht unterstreicht das oben genannte: Zeitaufwändige, kostspielige und sich ständig ändernde Visumantragsverfahren stellen eine Herausforderung dar. Und am globalen Ungleichgewicht ändert sich nichts. Künstler*innen ohne formale Qualifikationen und bekannten Namen berichten, dass die Visaregelungen für sie besonders schwierig sind (UNESCO 2022: 153). Auch das Outsourcing der Visa-Bearbeitung an Zentren und Agenturen bewirkt eine Verschlechterung der Situation, berichten teilnehmende Expert*innen des Symposiums. Aktuell müssen Zahlungen teils auch für abgelehnte Visaanträge geleistet werden oder der Nachweis für das Dasein als Künstler*in wird nicht akzeptiert, so Teilnehmer*innen weiter. „We need a bigger lobby“ – Empfehlungen des 5-Punkte-Plans Im Rahmen der Arbeitsgruppe zu Visa, Beschäftigung und Aufenthalt erarbeiteten die Veranstalterinnen des Symposiums einen 5-Punkte-Plan, der Probleme benennt und konkrete Empfehlungen ausspricht. Expert*innen empfehlen Maßnahmen, die auf eine Veränderung der Praxis aber auch der Gesetzeslage abzielen. Es ist unabdingbar, dass sich die Erfordernisse für Aufenthalt und Niederlassung an der künstlerischen Arbeitsrealität orientieren (1), bürokratische Hürden abgebaut werden (2), mehr Information (3) und Ressourcen (4) zur Verfügung gestellt werden und strukturelle Diskriminierung bekämpft wird (5) – so die 5 Punkte. Konkret schlagen die Expert*innen unter anderem vor, einen einheitlichen Titel für Künstler*in selbstständig/ unselbstständig einzuführen, und die Verdienstgrenze aus selbständiger künstlerischer Tätigkeit als Nachweis an die Arbeits- und Verdienstrealitäten in der Kunst und Kultur anzupassen. Im Hochschulsektor trifft zweimal im Jahr das Forum „Fremdenrecht“ zusammen. Vertreter*innen der Universitäten und jene der Behörden tauschen sich hierbei auf Augenhöhe zu konkreten Herausforderungen im Fremdenrecht aus. Eine solche Vernetzung wäre auch für den Kunst- und Kultursektor wichtig. Der Austausch im Rahmen des Symposiums zeigt: Es braucht eine größere Lobby. Über die leergebliebenen Sessel auf, hinter und vor der Bühne muss gesprochen werden. Und das gemeinsam, im Austausch mit großen Festivals, Interessenvertretungen, kleinen Veranstalter*innen, Künstler*innen und Kulturarbeiter*innen aus sogenannten EU-Drittstaaten und Vertreter*innen der Verwaltung und Politik. Mit dem UNESCO-Übereinkommen wurde eine klare Verpflichtung eingegangen. Nur wenn Entscheidungsträger*innen dieser Verpflichtung auch nachkommen, kann von einem fairen, internationalen, diskriminierungskritischen Kunst- und Kultursektor gesprochen werden.

1 Vorzugsbehandlung bedeutet die bevorzugte Behandlung des Globalen Südens durch den Globalen Norden, ohne Anspruch auf Reziprozität. Quellen und weitere Infos


Klara Koštal leitet den Bereich Vielfalt Kultureller Ausdrucksformen an der ÖUK. Sie lebt in Wien und arbeitet an der Schnittstelle von Kultur- und Politikwissenschaft.