Über Kulturelle Bildung und künstlerischen Unterricht

Ein Gespräch mit Eva Dertschei und Małgorzata Oliwa, gestaltet von Vasilena Gankovska

V.G. Małgorzata, du bist bildende Künstlerin, unterrichtest an Schulen und auch als Lektorin für Fachdidaktik am Institut für das künstlerische Lehramt an der Akademie der bildenden Künste Wien. Was sind, deiner Erfahrung nach, die notwendigen Veränderungen im derzeitigen Unterrichtssystem im Bereich Kunst und Gestaltung als Teil der allgemeinen kulturellen Bildung?

M.O. Kunstunterricht ist im Österreichischen Fächerkanon traditionell niedrig aufgestellt – dies ist verwunderlich, wenn man an die Relevanz von Kunst und Kultur für die österreichische Nation denkt. Kulturelle Bildung liegt in den Händen von engagierten Lehrpersonen; sie ist in Zeiten multipler Krisen und Konflikte auch enorm wichtig und fordert in internationalen Rahmenwerken zum Handeln auf. Neben dem Lehrplan werden gesellschaftsrelevante Themen in Projektarbeit mit den Schüler*innen aufgegriffen – künstlerische Fertigkeiten gehen mit kultureller Bildung Hand in Hand. Dies spricht für eine hochwertige universitäre Ausbildung eines der wenigen praktischen Fächer. Kunststudent*innen im Lehramtstudium brauchen Zeit, um sowohl künstlerische Praktiken als auch didaktische Konzepte zu entwickeln, sich auszutauschen und diese an der Schule auszuprobieren.

Künstlerische und kulturelle Bildung ist eine Chance, die von der UNESCO als Ökosystem gesehen wird. Man kann sich fragen, was z.B. Schüler*innen mit jungen Kunstpädagog*innen heute gemeinsam haben. Die Resilienz, welche beide Gruppen in den Schulalltag mitbringen, ist enorm und ist aus multiplen Krisen erwachsen – der Kunstunterricht kann als safer space für gegenseitiges Zuhören und sich entdecken fungieren. Diversität findet zwar in akademischen und musealen Räumen wie eine gesellschaftliche Verpflichtung statt, die von Gelehrten und Kurator*innen erfüllt wird. Mit den Welten der Schüler*innen gibt es wenige Berührungspunkte – kritische Schulbuchanalysen, wie der unlängst von AEWTASS herausgegebene Bericht (www.aewtass.at) zeigt weiter eine flächenweite Schieflage in Österreich. Hier haben wir kunstdidaktisch viel Spielraum. Chancengerechter Zugang zu hochqualitativer kultureller Bildung ist jedoch auf finanzielle Ressourcen und politische Anerkennung sowie strukturellen Raum – von Stundentafeln bis zu genügend langen Studienmöglichkeiten – angewiesen.

V.G. Eva, du unterrichtest an einer Schule mit Schwerpunkt Mediendesign und dort geht es um professionelle Ausbildung, wo auch Brennthemen, wie KI in der Medien- und Kunstproduktion präsent sind. Wie zukunftsorientiert soll oder kann der Unterricht in diesem Zusammenhang werden?

E.D. Die Ausbildung in diesem Bereich verändert sich einerseits sehr stark und schnell, andererseits bleiben die Kriterien zur Beurteilung von gutem Design gleich. Der Umgang mit KI-Software zur Gestaltung von Inhalten muss erlernt und geübt werden. Die Ergebnisse sollten jedoch auch hinterfragt und kritisch bewertet werden. Daher ist es essenziell, das Sehen und Sprechen über Design zu trainieren. „Zukunftsorientiert“ bedeutet für mich, die technischen Möglichkeiten aufzunehmen und mit ihnen zu arbeiten, sie aber gleichzeitig zu hinterfragen. Es gibt immer mehrere Wege zu einem Ergebnis, und die technisch modernste Lösung ist nicht immer die beste. Die Fähigkeit, dies zu beurteilen, muss erlernt werden.

Fazit: Die Methoden ändern sich, die Inhalte bleiben jedoch meist dieselben.

M.O. Ich möchte hier etwas zur Einsetzung von digitalen Tools ergänzen. Sophie Lingg, Helena Schmidt und Franziska Thurner, tätig am Lehramtinstitut an der Akademie der bildenden Künste Wien haben in Kollaboration mit weiteren Europäischen Universitäten die didaktische Plattform DIDAE umgesetzt, welche fantastische Tools für Kunstpädagog*innen und didaktische Konzepte versammelt. (www.didae.eu) Auch nach der Pandemie kann das als gelungenes Beispiel angeführt werden, dass durch social media auch außerhalb Europas bereits Anklang als Hands-on Projekt für künstlerische Bildung gefunden hat.

V.G. Wie bringt ihr eure künstlerische- und Gestaltungspraxis und Interessen in den Unterricht ein?

M.O. Was das Wort dekolonial mit dem Land, in dem wir wohnen und der eigenen Biografie zu tun hat, das ist im Moment die größte Herausforderung in der Vermittlung, meines Erachtens und daran möchte ich in der Lehrpraxis ansetzen.

Ich unterrichte gerne nahe an den Schüler*innen und möchte kritisches Bewusstsein im Sinne einer kritischen Kunstpädagogik aufbauen. Eine Frage, die ich mir aufgrund meines eigenen Hintergrunds stelle ist, wie Identitäten mit diasporischen Biografien wachsen, sich im Kunstunterricht ausdrücken und welche künstlerischen Positionen und/oder transdisziplinären Beiträge wie z.B. aktuelle deutsche Lyrik der zweiten Generation, dafür ihren Einsatz finden. Ich arbeite auch gerne kollaborativ. Im letzten Semester setzte eine 4. Klasse des GRG3Rad mit der Künstlerin Lym Moreno ein Mural im Grätzl zu Ehren Angelo Solimans um. Der Angelo-Soliman-Weg liegt versteckt am Weg zum Donaukanal fünf Minuten von unserer Schule entfernt.

E.D. Ich verstehe Unterrichten nicht nur als Wissensvermittlung in eine Richtung, sondern als Austausch. Oft lerne ich von meinen Schüler*innen. In vielen Bereichen nutzen sie Tools viel intuitiver und experimenteller als ich. Dafür kann ich meine Erfahrung aus meiner Gestaltungspraxis einbringen. Das kreative Entwerfen ist nur ein kleiner Teil eines Prozesses, bei dem das Kommunizieren von Inhalten im Mittelpunkt steht. Welche Methoden verwende ich und warum? Wie kommuniziere ich eine Idee? Welche Punkte sind auf dem Weg zur Umsetzung zu beachten? Es braucht viele durchdachte Schritte, um eine kreative Idee erfolgreich umzusetzen.

V.G. Welches Potenzial hat der Beruf als Unterrichtende/Lehrende im Bereich Kunst und Gestaltung?

M.O. Kulturelle Bildung fungiert als Motor für demokratische Prozesse. Schüler*innen sehen im Kunstunterricht ein Ventil, wodurch ihre Stimme eine Sichtbarkeit bekommt; wir als Kunstpädagog*innen assistieren durch den Einsatz gelernter Methodologien. Dafür müssen die Schulen als Arbeitsplatz attraktiver und zugänglicher gemacht werden. Hochqualitativer Unterricht hat sich in kleinen Schüler*innengruppen immer bewährt. Kulturelle Bildung birgt viele Chancen in der persönlichen Entwicklung von Schüler*innen mit vielschichtigen Biografien und dies sollte z.B. durch Ressourcenförderung für Digitalität, aber auch traditionelle künstlerische Medien honoriert werden.

E.D. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der visuellen Darstellung von Inhalten und den verschiedenen Methoden der Umsetzung ist eine wichtige Übung, womit in der Ausbildung experimentiert werden soll. „Fehler“ zu machen ist dabei ausdrücklich erwünscht und führt oft zu innovativen Ansätzen. Das Potenzial des Berufs als Lehrende liegt im Austausch mit der jüngeren Generation, die als wertvolles Feedback für die eigene Praxis dient. Dieser Dialog bereichert nicht nur den Unterricht, sondern hält uns auch selbst als Gestaltende stets offen für neue Ideen und Ansätze.

V.G. Welche kunstpolitische Forderungen können formuliert werden, um die Rolle der kulturellen Bildung hier in Österreich zu stärken?

E.D. Eine zentrale kunstpolitische Forderung wäre, die strukturellen Rahmenbedingungen grundlegend zu überdenken. Im schulischen Kontext gibt es weniger Freiraum für eine vertiefende Auseinandersetzung mit gestalterisch relevanten Themen. Die zeitliche Struktur und die räumlichen Gegebenheiten lassen kreative Arbeitsformen bedingt zu. Um die kulturelle Bildung zu stärken, wäre es daher notwendig, sowohl zeitliche als auch räumliche Strukturen flexibler zu gestalten, um mehr Spielraum für die wachsenden inhaltlichen und gestalterischen Fragen zu schaffen. Sicher keine leichte Aufgabe!


Małgorzata Oliwa ist Künstlerin, Kunstpädagogin und Lektorin am Institut für Künstlerisches Lehramt an der Akademie der Bildenden Künste Wien. Sie hat Bildende Kunst sowie Lehramt Kunst in Leipzig, London und Wien studiert.

Eva Dertschei ist Gestalterin an der Schnittstelle von Kunst und Design. Seit 2019 unterrichtet sie das Fach -Typografie an der Graphischen in Wien. Sie ist Vorstandsmitglied bei IG Bildende Kunst.

Vasilena Gankovska ist kunstpolitische Redakteurin bei Bildpunkt.