Trope und Tropen

Editorial

Wie rezipieren wir das Andere, ohne es uns auf illegitime Weise anzueignen? Wie und was greifen wir auf, ohne Stereotype zu reproduzieren und Exotisierung zu betreiben?

Die bolivianische Aktivistin Adriana Guzmán Arroyo kritisierte kürzlich in einem Interview mit der spanischen Tageszeitung El País den eurozentrischen Feminismus für seinen „kolonialen, paternalistischen Blick“. Über eurozentrische Feministinnen sagt sie: „Sie sehen in uns eine Anekdote, einen Farbtupfer, etwas Exotisches: indigene Menschen, die sich Feministinnen nennen.“ Aber sie selbst sprächen nicht von indigenem Feminismus, „wir sprechen von feminismo comunitario; genauso wie wir von materialistischem Feminismus sprechen, nicht von weißem Feminismus, auch wenn er weiß ist.“ Das Andere als Anderes, hier Indigenes zu sehen, hat eine lange Tradition in der künstlerischen Aneignung. Weder emanzipatorische soziale Bewegungen noch künstlerische Praktiken sind vor Exotisierungen gefeit. So fungierten die Tropen als Ort der Sehnsucht in Paul Gauguins rosafarbenen Bergen und karmesinroten Gewässern, aber es gibt auch das den Tropen innewohnende Böse, das Fitzcarraldo bestraft und Marlow verschlingt, um ihn im Herzen der Finsternis auszuspuckt. Sie sind das Zentrum der unerschöpflichen Trope, in der das/die/der tropische Andere als das Gegenbild zum gemäßigten Selbst zu existieren beginnt. Dschungel, Wüsten, Tropen sind Landschaftsbilder, aus denen künstlerisches Schaffen sich häufig bediente und mit denen Künstler*innen auch materiell verbandelt waren, als in Kolonien geborene oder aufgewachsene Europäer*innen, als Wissenschaftstourist*innen, als Sozialbewegte. Die Tropen usw. fungieren als Terrain der Selbstvergewisserung angesichts des undurchschaubar erscheinenden Anderen. Dieser Auseinandersetzung liegen koloniale Ausbeutungsverhältnisse zu Grunde, eine globale ökonomische Ungleichheit, die bis heute auch den Konsum kultureller Güter und das Kunstfeld prägen. Deshalb geht es bei der Verknüpfung von Tropen und Trope auch um die Debatten um Privilegien und wie mit ihnen umzugehen ist, um kulturelle Aneignung und wann sie legitim ist, um Exotisierung und wie ihr auszuweichen ist.

Dem schweißtreibenden Diskurs um Exotismen und der Konstruktion von Andersheit geht diese Ausgabe des Bildpunkt aus – wie immer – aktivistischer, kulturtheoretischer und künstlerischer Perspektive nach.


Jens Kastner ist koordinierender Redakteur.