Das Theaterfestival Abtenau ist Bühne stand dieses Jahr unverhofft im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit. Jedoch, zum Bedauern der Festivaldirektorin Veronika Pernthaner, nicht nur wegen des abwechslungsreichen, hochkarätigen Programms und der Besucherströme sondern vor allem wegen der abwesenden Gruppen. Für die angekündigten Vorstellungen der Gruppen Papion aus dem Iran und Mandegar aus Afghanistan hieß es: „Abgesagt wegen unlösbarer Visaschwierigkeiten.“ Während die Gruppe aus dem Iran schlichtweg ihren Antrag zu spät einbrachte, stellt sich die Situation für Mandegar ganz anders dar. Bereits ein halbes Jahr vor dem geplanten Auftritt nahm die Gruppe Kontakt mit der zuständigen Botschaft auf, die Festivaldirektorin übernahm die Garantie für sämtliche Kosten aufzukommen, Bestätigungen für die Tätigkeit und Unterkunft der Gruppe während des Aufenthalts wurden eingebracht und schließlich sogar die bezahlten Rückflugtickets vorgelegt. Der Visumsantrag wurde dennoch wegen „begründeter Zweifel an der Glaubwürdigkeit der Angaben“ abgelehnt. Der Einkommensnachweis sowie die Absicht, vor Ablauf des Visums den Schengenraum wieder zu verlassen, seien nicht hinreichend nachgewiesen, zitiert Pernthaner die Begründung für den ablehnenden Bescheid des Ensembleleiters. Dieser hat mittlerweile aufgrund der Vorkommnisse und dem verlorenen Geld für die Tickets, welche die Universität von Kabul teilweise gesponsert hat, seinen Job und die Leitung des Ensembles verloren. Für die entstandenen Kosten der Antragsteller_ innen und die Ausfallskosten der Einlader_ innen müssen diese selbst aufkommen. Der Fall wirft ein Schlaglicht auf die Komplexität und Risiken, die mit der Einladung visumspflichtiger Künstler_innen einhergehen. Doch selten erfährt ein Einzelfall eine derartige Medienaufmerksamkeit. Und auch diese war dem Zufall geschuldet, dass die Anfrage der APA die Festivaldirektorin kurz nach der endgültigen Absage erreichte. Die Frage ist: Handelt es sich um einen Einzelfall? Oder ist der Fall exemplarisch für ein System und eine Praxis, die in ihrer Beschaffenheit den kulturellen Austausch strukturell erschweren statt ihn zu fördern?
Einfache Antworten gibt es nicht – nur Probleme …
Die Antwort ist „ja und nein“. Jeder Fall ist ein Einzelfall, dessen Besonderheiten es zu berücksichtigen gilt. Auch der Faktor „Mensch“ spielt eine erhebliche Rolle, so- wohl auf Seiten der Antragsteller_innen als auch auf Seiten der den Antrag bearbeitenden Stellen. Nicht selten können Visaprobleme durch das Engagement der Einladenden oder mit Unterstützung offizieller Stellen – etwa Mitarbeiter_innen österreichischer Kulturforen oder des Außenministeriums (BMEIA) – gelöst werden. Für Künstler_innen gelten die Rechtsvorschriften, die die Mitarbeiter_innen der Vertretungsbehörden anzuwenden haben, genauso wie für alle anderen Berufsgruppen. Aber genau diese Bestimmungen nehmen keine Rücksicht auf die typischen Charakteristika „künstlerischer Mobilität“ und erschweren diese strukturell. Die jüngste Erhebung von On-The-Move, einer europäischen NGO, zeigt, dass sich künstlerische Mobilität durch eine Kumulation von „Problemfaktoren“ auszeichnet: Häufiges Reisen, oftmals kurzfristig geplant, gepaart mit prekärer / atypischer Erwerbstätigkeit und diskontinuierlichem / geringem Einkommen der eingeladenen Künstler_innen. Je jünger, je weniger etabliert, je weniger finanziell abgesichert und familiär verankert im Herkunftsland, desto schwieriger ist es für visumspflichtige Künstler_innen, die erforderlichen Belege zum Nachweis der „hinreichenden finanziellen Mittel zur Bestreitung aller Kosten“ und der „gesicherten Wieder- ausreise“ zu erbringen. Die Chance junge, noch nicht etablierte Künstler_innen aus Krisenregionen dieser Welt nach Österreich bringen zu können, liegt auf der Hand …
… aber auch ein wachsendes Problembewusstsein
All dies ist keine neue Erkenntnis. In den letzten 30 Jahren gab es zahlreiche Initiativen und zivilgesellschaftliche Kampagnen in allen Bereichen des Kunst- und Kulturbetriebs, die sich für eine Verbesserung der Reisefreiheit von Künstler_innen eingesetzt haben. Die jüngsten Entwicklungen geben Hoffnung, dass ein Problembewusstsein auch unter politischen Entscheidungsträger_ innen gegeben ist und Verbesserungen auf struktureller Ebene ansetzen – auch wenn die Versuche bisher, so ein renommierter Kenner der Materie, „der Teilnahme einer Weinbergschnecke vom Cobenzl am Wienmarathon“ glichen.
Ansatzpunkte der Intervention
Seit 2007 ist das UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in Kraft. Dieses Übereinkommen, das für die EU wie alle 28 EU-Mitgliedstaaten rechtlich bindend ist, verpflichtet explizit zur „Vorzugsbehandlung von Kunst- und Kulturschaffenden aus Entwicklungsländern“ im Rahmen der internationalen Zusammenarbeit. Exemplarisch hierzu zählt, so die Richtlinien zur Umsetzung des Übereinkommens, die Visathematik – von Informationen über Bearbeitungsdauer bis zu Kosten für Visa sollen Erleichterungen geschaffen werden. Zur Koordinierung der relevanten Informationen und Einbindung der Zivilgesellschaft wurde bei der Österreichischen UNESCO-Kommission (ÖUK) eine Kontaktstelle geschaffen. Seit Ende 2012 informiert eine eigens hierfür geschaffene Webseite der verantwortlichen Ministerien über Voraussetzungen der Einreise, des Aufenthalts und der Erwerbstätigkeit visumspflichtiger Künstler_innen in Österreich: www.artistmobility.at.
Ziel ist es, Einlader_innen wie antragstellenden Künstler_ innen einen Leitfaden an die Hand zu geben, der die geltenden Rechtsvorschriften und administrativen Verfahren anhand praxisrelevanter Beispiele aus dem Kulturbereich erläutert. Trauriges Faktum ist, so das Ergebnis einer Fokusgruppenanalyse der Kontaktstelle der ÖUK, dass bislang kaum jemand im Kultursektor über die Existenz dieses Tools weiß. Gleichzeitig stellt die Aktualisierung der Informationen, angesichts des Tempos der ständigen Novellen im Fremdenrecht, eine Herausforderung dar. Insgesamt gilt es, diesen Leitfaden noch mehr an die Bedürfnisse der Praxis anzupassen – entsprechende Vorschläge wurden gesammelt und werden aktuell auf Ihre Umsetzbarkeit mit den Ministerien abgeglichen (weitere Inputs sind willkommen). Auch und insbesondere auf EU-Ebene zeichnen sich Veränderungen ab. So regelt der sog. EU Visakodex verbindlich für alle Schengenstaaten – damit auch Österreich – Voraussetzungen und Verfahren für Schengenvisa, also Visa für Aufenthalte von max. 90 Tagen innerhalb von 180 Tagen im Schengenraum. Aktuell steht eine Neufassung dieses Visakodex zur Debatte. Damit werden die Weichen neu gestellt, unter welchen Bedingungen Künstler_innen zukünftig Visa für kurzfristige Aufenthalte im Schengenraum erhalten.
Zur Diskussion stehen beispielsweise:
– Abschaffung des Prinzips, Visaanträge immer persönlich einreichen zu müssen,
– erweiterte Antragsfristen (6 Monate bis 15 Tage vor der geplanten Reise),
– Bearbeitungszeit von max. 10, in begründeten Ausnahmefällen 20 Kalendertagen,
– verbindliche Ausstellung von Visa für die mehrfache Einreise mit längerer Gültigkeit (3 bzw. 5 Jahre) für registrierte, regelmäßig Reisende sowie
– Schaffung eines neuen Visumtyps für „touring artists“.
Stellungnahmen des Kultursektors zu diesen Vorschlägen werden aktuell von erwähnter Kontaktstelle koordiniert und in den nationalen Konsultationsprozess eingebracht. Ferner wird mit anderen europäischen Dachorganisationen des Kultursektors eine gemeinsame EU-weite Stellungnahme erarbeitet. Schließlich lud die Österreichische UNESCOKommission gemeinsam mit der IG Bildende Kunst und vidc im Juni 2014 zu einem Visa- Workshop. Ergebnis des Workshops war die Gründung eines informellen Netzwerks von mit Visafragen im Kulturbereich befassten Organisationen wie Einzelpersonen.
Ziel der Initiative ist es:
– Vernetzung und Austausch in der Praxis zu stärken, z.B. als Anlaufstelle für konkrete Visafragen, zu denen Mitglieder des Netzwerks Erfahrungswerte einbringen können,
– negative wie positive Fallbeispiele zu sammeln (z.B. Festival Abentau ist Bühne),
– über relevante nationale wie europäische Entwicklungen zu informieren
– und zu diesen Einschätzungen aus der Praxis einzubringen, z.B. zur Überarbeitung des Online-Guides Artistsmobility.at und der Neufassung des EU-Visakodex. Die UNESCO-Kommission koordiniert die Tätigkeit des Netzwerks und unterstützt damit die „Einbeziehung der Zivilgesellschaft“, wie es das UNESCO-Übereinkommen fordert. Weitere Interessierte werden gerne jederzeit in den Netzwerkverteiler aufgenommen.
Yvonne Gimpel lebt in Wien und fungiert seit 2009 als Österreichische Kontaktstelle zum UNESCO-Übereinkommen über den Schutz und die Förderung der Vielfalt kultureller Ausdrucksformen.
Kontakt: gimpel@unesco.at