Am 5. September 2022 begann vera* – Vertrauensstelle gegen Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport1 die öffentliche Tätigkeit. Betrieben von zwei Kompetenzbereichen – Kunst und Kultur, sowie Sport – soll sie dafür sorgen, dass Personen, die Belästigung, Gewalt und andere Formen des Machtmissbrauchs in ihrem beruflichen Umfeld erfahren, entsprechende Unterstützung und Begleitung bekommen. Die Betreuung der Agenden für den Bereich Kunst und Kultur übernimmt der Verein Vertrauensstelle Kunst und Kultur, jene aus dem Bereich Sport der Verein 100% Sport.
„In der ersten Arbeitswoche sind unterschiedliche Beschwerden und Fälle eingegangen, der Prozess startet erst und wir lernen dabei auch viel“, berichtete Sophie Rendl von vera*.2 Betroffene können sich an die Stelle in Fällen von Belästigung und Gewalt sowie anderen Formen des Machtmissbrauchs wenden. Im Rahmen eines vertraulichen Gesprächs werden mögliche Schritte und Handlungsmöglichkeiten besprochen, je nach Bedarf wird eine weitere Begleitung geleistet. Das Team besteht aus ausgebildeten Personen im Bereich Krisenmanagement, Case Management und Beratung. Weitere wichtige Aktivitäten der Stelle umfassen die Erstellung von Prävention- und Schulungsmaßnahmen, sowie die Auswertung anhand der Fallerhebung mit dem langfristigen Ziel, eine Systemwende zu bewirken.
Wichtige Schritte auf Parlamentsebene verankert
Im März 2021 forderte der Kulturausschuss des Nationalrats die Bundesregierung auf, eine Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch für die Bereiche Kunst, Kultur und Sport zu initiieren. Nach einem Nationalratsbeschluss wurde der Weg für die Etablierung dieser Stelle offiziell geebnet. Der Kulturrat Österreich, als Dachverband von Interessenvertretungen aus Kunst, Kultur und freien Medien, machte einen Schritt weiter und führte ein von BMKÖS gefördertes Projekt durch. Dabei wurde bestehendes Wissen gesammelt, die Notwendigkeit einer oder mehreren Vertrauensstellen ausgelotet, Gespräche mit Vertreter:innen der IGs, Institutionen und Akteur:innen aus Kunst und Kultur, sowie zwei Umfragen und eine abschließende Reflexionsphase im Kulturrat durchgeführt. In einem umfassenden Abschlussbericht, erstellt von der Juristin und Antidiskriminierungsexpertin Sophie Rendl, können die wichtigsten Erkenntnisse dieser ersten Etappe nachgelesen werden.3
Dem Machtmissbrauch entgegenwirken
„Machtmissbrauch entsteht, wenn es Hierarchien gibt und wenn es die Macht gibt, um die Hierarchien auszunutzen. Es ist in diesem Zusammenhang wichtig, Machtmissbrauch, Belästigungen aller Art und Gewalt in einem größeren System und in Kombination mit anderen Faktoren (z.B. Abhängigkeit, prekäres Arbeitsverhältnis etc.) zu sehen“, schreibt Rendl im Abschlussbericht.4 In einem beruflichen Umfeld wie dem der Kunst und Kultur, wo prekäre Arbeitsverhältnisse üblich sind, kommt es laut den Ergebnissen der Projektumfragen bei etwa 70% der Befragten zu verschiedenen Formen von Diskriminierung, Machtmissbrauch, Belästigung oder Gewalt. Die Fälle von sexueller Belästigung und Machtmissbrauch, die in den letzten Monaten medial bekannt wurden, verdeutlichen zusätzlich diese Tatsache.
Der weitere Schritt, eine Vertrauensstelle gegen Machtmiss
brauch, Gewalt und Belästigung in Kunst und Kultur zu etablieren, wurde mit der Gründung von Verein Vertrauensstelle Kunst und Kultur im November 2021 gemacht. Mitglieder sind einige der Interessensvertretungen aus dem Bereich Kunst und Kultur und Vertreter:innen aus dem Bereich Sport. Hauptauftrag des Vereins war die Konzepterstellung und die Inbetriebnahme einer Vertrauensstelle. Anfang Juli wurde das Konzept von vera* öffentlich präsentiert.
Der offizielle Name der Einrichtung lautet vera* – Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport. Für manche Irritation sorgte, dass der Begriff „Machtmissbrauch“ kein Bestandteil der Marke ist. Jedoch bleibt dieses Thema essentieller Bestandteil der Ausrichtung und Ziele des Vereins. Denn Machtmissbrauch ist vielschichtig und ereignet sich oft in verborgenen Machtverhältnissen, in einem komplexen Zusammenspiel von prekärer Arbeit, schwacher sozialer Absicherung, ökonomischer und sozialer Abhängigkeit, das in einem oft sehr kleinen und sozial eng verwobenen Berufskreis, Ensemble, Atelier, Projekt oder Institution geschieht.
Vertrauen, Beraten, Begleiten
Wie aus den aktuellen medial präsenten Fällen von Belästigung und Gewalt an österreichischen, aber auch internationalen Kunst- und Kulturinstitutionen ersichtlich wurde, haben Personen, die solche Übergriffe erlebt oder bezeugt haben, oft viel Zeit gebraucht, diese zu melden und die Unterstützung von Expert:innen zu suchen. In der Filmbranche wurde bereits 2019 die Anlauf- und Beratungsstelle #we_do5 gegründet, um gegen Diskriminierung, Ungleichbehandlung, Machtmissbrauch, sexuelle Übergriffe und Verletzungen im Arbeitsrecht zu kämpfen.
Der Tätigkeitsbericht 2021 macht deutlich, dass in vielen Fällen die Themenkomplexe Sexismus und Verletzungen im Arbeitsrecht überwiegen. Hier geht es zum Beispiel um das Nichtbezahlen von Überstunden, geringere Bezahlung, Nichteinhaltung von Verträgen, usw. Betroffene können sich an die Beratungs- bzw. Vertrauensstellen wenden und erhalten dort Auskunft über ihre weiteren Handlungsmöglichkeiten. Weshalb sich Betroffene im Fall von Ausbeutung nicht beschweren und keine Schritte in Richtung einer Veränderung der Situation setzen, erklärt David Sanin von #we_do: „Selbst- und Fremdausbeutung stellen den Normalzustand dar. Viele beschweren sich gar nicht, zum einen, weil es eben ‚normal‘ ist, zum anderen, weil niemand ‚schwierig‘ sein möchte.“6
Solidarisieren, Kommunizieren und Zusammenhalten
In einem vom Konkurrenzgedanken geprägten Umfeld wird wenig riskiert, vor allem dort, wo steile (Arbeits)Hierarchien herrschen – das ist auch meine langjährige Beobachtung als Interessensvertreterin. In der Kunstszene, wo unterschiedliche Akteur:innen meist schlecht bezahlte Arbeitsverträge haben oder Künstler:innen per Werkvertrag arbeiten, sind die ungleichen Machtverhältnisse besonders stark zu spüren. Die deutsche Journalistin und Kunstkritikerin Lena Helena Wurth, betonte in einem aktuellen Interview, dass die Kunstszene auf einem extremen ökonomischen Ungleichgewicht basiere und diese Tatsache, gemeinsam mit prekären Arbeitsverhältnissen, den „Nährboden für Machtmissbrauch“7 bereiten.
In dieser Situation ist es umso wichtiger, dass die Kunstszene einen starken Zusammenhalt zeigt, über Machtmissbrauch, Diskriminierung und Ausbeutung in der Öffentlichkeit diskutiert und gemeinsam strukturelle Verbesserungen anstrebt. Die Interessensvertretungen können in diesem Prozess eine große Unterstützung leisten, Forderungen stellen und Themen einbringen, die eine Systemwende bewirken können. Diese Arbeit ist laut Sanin von #we_do8 für die Tätigkeit der Vertrauensstellen ebenso wichtig. Für die Arbeit von vera* ist die Einbindung der IGs essentiell und wird auch auf praktischer Ebene umgesetzt. Die Vernetzung zwischen Gleichbehandlungsanwaltschaft, #we_do und anderen Akteur:innen wird diese Arbeit verstärken. Wichtig ist, uns die gemeinsame Veränderung unserer Kunstszene und die nachhaltige Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen zuzutrauen.
1 www.vera-vertrauensstelle.at
2 Telefoninterview am 12. 9. 2022
4 https://bit.ly/3x5pH8N, Recherche zum Aufbau einer oder mehrerer Vertrauensstellen gegen Machtmissbrauch in Kunst, Kultur und Sport, S. 5, 2021
6 E-Mail-Austausch von 1. 9. 2022
7 https://www.deutschlandfunkkultur.de/johann-koenig-102.html, 5.9. 2022
8 E-Mail-Austausch von 1. 9. 2022
Vasilena Gankovska ist bildende Künstlerin, Vorstandsmitglied der IG Bildende Kunst und zuständig für den kunstpolitischen Teil in Bildpunkt.