Bei allen unterschiedlichen Herangehensweisen an Grundlagen und Praxis dessen, was Kunst und Forschung verbindet, gibt es laut der Kunstwissenschaftlerin Rahel Mader „das Postulat für eine der künstlerischen Forschung eigenständige Perspektive“. Wie vielfältig diese Perspektive dennoch ausfallen kann, zeigt allein das Handbuch, aus dem das Zitat stammt. Es liefert, so die HerausgeberInnen, eine „Diskurstopographie“ und verortet die Auseinandersetzung entlang dreier Achsen: Es sind die theoretischen Diskussionen (Epistemologie & Ästhetik), die Praktiken des Forschens (Methodologie & Praktiken) sowie die institutionellen Kontexte, die auch die Frage der ökonomischen Indienstnahmen betrifft (Institution & Kontext). Es geht nicht nur um die Spannungen zwischen diesen Bereichen, sondern auch um die Frage, welche „möglicherweise problematischen Effekte die Profilierung von Kunst als Forschung“ zeitigt. Das Buch leistet damit alles, was von einem guten Handbuch zu verlangen ist. Die gelisteten Praktiken (von annotieren über intervenieren bis übersetzen) können selbstverständlich nicht vollständig sein, aufzunehmen wäre vielleicht noch eine weitere: verweigern. Der postoperaistische Soziologe Maurizio Lazzarato schlägt in seinem Buch über Marcel Duchamp vor, die individuelle Verweigerung des Avantgardisten, der kein Künstler sein wollte, als „faules Handeln“ neu zu lesen. Duchamp lasse sich damit für eine kollektive Praxis neu entdecken, die sich gegen jenes Handeln richtet, „für das der Zweck, nämlich das Geld, alles ist und der Prozess nichts.“ Das neue ästhetische Paradigma, das sich durch die Verweigerung gegenüber dem Werk und der Hinwendung zum Prozess auszeichnet, ist, wie Roberto Nigro im von Judith Siegmund herausgegebenen Band schreibt, „auch ein ethisches Paradigma“. Die Beiträge dieses Buches widmen sich der Frage, wie sich das Verständnis von Kunst ändert, wenn sie als Forschung verstanden wird. Sie wird offenbar nicht nur ethikrelevant, sondern rückt, wie Kathrin Busch betont, nicht in die Nähe der Wissenschaften, „sondern in die Nachbarschaft der Theorie“. Das macht die künstlerische Forschung auch zu einer Art „Grenzarbeit“ (Henk Borgdorff). Sie positioniert sich im „Grenzbereich zwischen der Kunstwelt und der akademischen Welt“, wie Borgdorff im Zürcher Jahrbuch der Künste schreibt, und wird damit Teil einer „unabgeschlossenen, kritischen Reflexion“. Um sie zu verwirklichen, müssen wohl zunächst einmal die „essentialistischen Definitionen von Künstlerischer Forschung“ hinterfragt werden, wie Julie Harboe im selben Band anmahnt. Es geht schließlich darum, so Harboe, das bestehende „System der Wissensproduktion“ zu dynamisieren. Während Arne Schermann und Yeboaa Ofosu hier für Qualitätskriterien und die „Einbindung der Expertenurteile des Kunstbetriebs“ plädieren, hält John Roberts gerade solch eine Konzentration auf „autonomy and self-management“ der Kunst für falsch. Er tut das in einem Buch, das ebenfalls theoretische Beiträge und künstlerische Projekte kombiniert. In geht es um die Versuche, der Logik des Kapitalismus zu entfliehen und die Kunst dafür als „a space of imaginative possibility“ (Julia Bryan- Wilson) zu nutzen.
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und lehrt an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Jens Badura et al. (Hg.): Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. Zürich/ Berlin: Diaphanes Verlag 2015.
Corina Carduff, Fiona Siegenthaler, Tan Wälchh (Hg.): Kunst und künstlerische Forschung. Zürcher Jahrbuch der Künste. Zürich: Scheidegger & Spiess 2010.
Maurizio Lazzarato: Marcel Duchamp und die Verweigerung der Arbeit. Wien, Linz, Berlin, London, Zürich, Málaga: transversal texts 2017.
Judith Siegmund: Wie verändert sich Kunst, wenn man sie als Forschung versteht? Bielefeld: Transcript Verlag 2017.
Gregory Sholette: It’s the Political Economy, Stupid. The Global Financial Crisis in Art and Theory. London: Pluto Press 2013.