Dass Populismus nicht nur etwas mit Politik, sondern auch mit Kultur zu tun hat, drängt sich über einen Phänomenbereich besonders auf: Pop. Wenn künstlerische Produktionen sich an den wie auch immer gearteten Geschmack breiter Massen andienen, scheint das jedoch schon immer einem prinzipiellen Verrat gleichzukommen, nämlich dem am Erzeugen von Ambivalenzen, von Komplexität und Unerwartetem. Jens Balzer geht in seinem Buch dem popkulturellen Rechtsdrift in Form von Maskulinisierung und Brutalisierung nach, macht aber zugleich „neue Widerstandskräfte“ gegen diesen Trend bei vor allem feministischen Musikerinnen aus. Popkritik müsse „das Ideal eines solidarischen Miteinanders als Maßstab ihrer kulturellen Analysen und Bewertungen bewahren“. Mit diesem Kriterium lässt sich, wie Balzer schön aufzeigen kann, schließlich auch zwischen rechten und linken populistischen Strategien unterscheiden und aufzeigen, dass Bands wie Frei.Wild und Feine Sahne Fischfilet nicht nur einfach spiegelbildliche Phänomene sind. Dass der populistische Diskurs sich immer auch um Verantwortung für das Gesagte, um Sprachregulierung und um Meinungsfreiheit dreht, diskutiert auch der Band von Tanjev Schultz. Die Beiträge widmen sich aus juristischen und politikwissenschaftlichen Perspektiven dem Zustand demokratischer Öffentlichkeiten „in Zeiten eines erstarkenden Populismus und polarisierter öffentlicher Auseinandersetzungen“. Während hier vor allem der rechtspopulistische Vormarsch den Hintergrund der Debatte abgibt, widmet sich Paul Danler dem linken Populismus: Er unterzieht in seiner instruktiven Studie die klassischen lateinamerikanischen Populisten Juan Perón (Argnitnien), Getúlio Vargas (Brasilien) und Lázaro Cardenas (Mexiko) einer „politolinguistischen“ Analyse. Das bedeutet, dass er sich deren konkreten Wortgebrauch unter Berücksichtigung der soziohistorischen Kontexte genauer ansieht. Der schillernde Begriff des Populismus selbst wird dabei auch auf verschiedenen Ebenen beschrieben, als Praxis, als Bewegung, als Logik, als Ideologie. Zu letzterer gehört stets, „dass sich das edle Volk stets gegen korrupte Eliten zur Wehr zu setzen habe“. Auch der Demokratie-Theoretiker Pierre Rosanvallon geht es systematisch an, untersucht Anatomie und Geschichte populistischer Politik, bevor er zu deren Kritik schreitet. Er wendet sich klar gegen die Demokratietheorie, „die der populistischen Ideologie zugrunde liegt“. Aus den „strukturellen Aporien“ der Demokratie hervorgegangen, steht der Populismus laut Rosanvallon doch einer „Gesellschaft von Gleichen“ entgegen. Chantal Mouffe sieht das anders. Ihr nach kann das, was sie den „populistischen Moment“ nennt, zwar durchaus autoritären Regimen zuspielen. Er könne aber auch „zu einer erneuten Bekräftigung und Ausweitung demokratischer Werte führen“. Was in den anderen Büchern meist kritisiert und abgelehnt wird, ist für sie der Ausweg aus der gegenwärtigen Krise der Demokratie: Eine „diskursive Strategie, die auf die Errichtung einer politischen Frontlinie zwischen ‚dem Volk‘ und ‚der Oligarchie‘ abzielt“. Sie sei notwendig „zur Wiederherstellung und Vertiefung der Demokratie“.
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien.
Jens Balzer, Pop und Populismus: Über Verantwortung in der Musik. Hamburg 2019 (Edition Körber).
Paul Danler, Der klassische Populismus Lateinamerikas.Politolinguistische Perspektiven auf Argentinien, Brasilien und Mexiko. Bielefeld 2020 (Transcript Verlag).
Chantal Mouffe, Für einen linken Populismus. Berlin 2018 (Suhrkamp Verlag)
Pierre Rosanvallon, Das Jahrhundert des Populismus. Geschichte – Theorie – Kritik. Hamburg 2020 (Hamburger Edition).
Tanjev Schultz (Hg.), Was darf man sagen? Meinungsfreiheit im Zeitalter des Populismus. Stuttgart 2019 (Kohlhammer Verlag).