Intersektionalität im Buch

Es ging immer um „social transformation and social change“, das stellt eine der Begründerinnen des Konzepts der Intersektionalität, Patricia Hill Collins, in ihrer Rückschau auf dessen Diskursgeschichte klar. Die Frage, ob Intersektionalität eher eine Metapher, eine Heuristik oder ein Paradigma ist, wird hier ebenso ausführlich besprochen wie die Implikationen, die den Intersektionalitätsansatz zu einem Teil der kritischen Theorietradition machen. Wie er sich aus den postkolonialen Theorien, vor allem aber der feministischen Forschung und der Kritik Schwarzer Feministinnen entwickelt und welche Autorinnen und Texte dafür im deutschsprachigen Raum zentral waren, zeichnet auch das Büchlein von Schrader / von Langsdorff gut nach. Die Einführung von Meyer verortet die Debatte um Intersektionalität ebenfalls im Rahmen verschiedener Diskurse um Unterdrückungs- und Ausbeutungsverhältnisse. Es gehe darum, die semantische Komplexität von ­Herrschaftsbegriffen zu erhöhen und „ihre vielfältigen Machteffekte“ zu fassen. Demgegenüber fällt der theoretische Teil im Buch von Sweetapple u.a. eher knapp aus, das sich mehr auf Fragen praktischer Anwendung des Konzepts in Beratungs- und Bildungsarbeit konzentriert. Überhaupt unterscheiden sich die Einführungen stark in ihren Anwendungsschwerpunkten: sexuelle Bildung (Sweetapple u.a.), soziale Arbeit (Bronner/Paulus), Care-Arbeit und Bildung (Schrader/ von Langsdorff), sowie sozialwissenschaftliche Forschung (Winker/Degele).

Die Zeitschrift Z kritisiert aus marxistischer Sicht in ihrer Ausgabe zum Thema, dass in der Intersektionalitätsdebatte die „Verschränkung von Ausbeutungs- und Unterdrückungsverhältnissen allein auf der Ebene von ‚Identität‘ und Erfahrung gefasst sowie im Modus von Anerkennungs- und Diskriminierungspolitik politisiert“ werde. Auch Bronner/Paulus kritisieren, „ein konsequenter Bezug zu Macht- und Herrschaftsverhältnissen“ sei etwa bei Kimberlé Crenshaw nicht durchgängig hergestellt worden. Das trifft auch für einige andere Autor*innen sicherlich zu, gilt aber keineswegs für alle intersektionalistischen Ansätze. Winker/Degele etwa werten die „kapitalistische Akkumulationslogik“ als Grundlage, vor deren Hintergrund die „Bedeutung und Funktionen von Differenzkategorien“ zu analysieren seien. Soll die Intersektionalitätsforschung nicht herrschaftsblind sein, schreibt Katrin Meyer, „so muss sie auch zeigen, wie sich intersektionale Zusammenhänge im Leben hegemonialer Subjekte konkret auswirken“. Marginalisierung und Privilegierung sind analytisch als ineinander verwoben zu begreifen und politisch komplex anzugehen. Es reiche nicht aus, schreiben Schrader und von Langsdorff, „die gesellschaftlichen Verhältnisse intersektional und herrschaftskritisch zu analysieren, um sie langfristig zu verändern“. Es bedürfe auch einer kollektiven Daseinsfürsorge und einer Absage an „Wachstum, Profit und Effizienz“.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und ­unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien, ­zuletzt erschien von ihm (gemeinsam mit Lea Susemichel) ­Unbedingte Solidarität (Münster 2021, Unrast Verlag).


Kerstin Bronner / Stefan Paulus: Intersektionalität: Geschichte, Theorie und Praxis. Stuttgart 2017 (UTB Verlag).

Patricia Hill Collins: Intersectionality as Critical Social Theory. Durham und London 2019 (Duke University Press)

Katrin Meyer: Theorien der Intersektionalität zur Einführung. Hamburg 2019 (Junius Verlag).

Kathrin Schrader / Nicole von Langsdorff: Im Dickicht der Inter­sektionalität. Münster 2014 (Unrast Verlag).

Christopher Sweetapple / Heinz-Jürgen Voß / Salih Alexander Wolter:

Intersektionalität: Von der Antidiskriminierung zur befreiten Gesellschaft? Stuttgart 2020 (Schmetterling Verlag).

Gabriele Winker / Nina Degele: Intersektionalität: Zur Analyse sozialer ­Ungleichheiten. Bielefeld 2010 (Transcript Verlag).

Z. Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Nr. 126, Juni 2021, Kritik der ­Intersektionalität.