Am 21. März 2014 wurde die 19. Biennale von Sydney (BOS) You Imagine what you Desire eröffnet. Sie war zuvor von wochenlangen Kontroversen mit ihrem Gründungssponsor Transfield überschattet. Transfield ist ein multinationaler Konzern mit Sitz in Australien, der sich kürzlich einen Vertrag über $ 1.22 Billionen für Arbeiten in Flüchtlingslagern auf den Inseln Manus und in Nauru sichern konnte. Die Öffentlichkeit wurde zunächst durch einen Artikel von Matt Kiem auf die Situation aufmerksam gemacht: An art educator’s open letter to colleagues about detention profits and the Sydney Biennale, veröffentlicht am 4. Februar.[1] Am 17. und 18. Februar folgten große öffentliche Treffen in Sydney und Melbourne, um die Sponsoring-Vereinbarungen der Biennale zu diskutieren.
Am selben Tag, an dem das erste Treffen stattfand, wurde ein schon mehrere Wochen andauernder, friedlicher Protest von Flüchtlingen auf den Manus Inseln von lokalen Einwohner_innen, Beschäftigten des „Sicherheistdienstleistungsunternehmens“ G4S und Angestellten der Polizei brutal niedergeschlagen; ein Mann, Reza Barati, starb, und 77 weitere Asylsuchende wurden verletzt. Die Nachrichten waren in den folgenden Tagen von Erzählungen über eine Degenerierung des Gefängniskomplexes in eine „Kriegszone“ dominiert, denen zu Folge Flüchtlinge niedergeknüppelt und beschossen wurden. Nach anfänglicher Verwirrung über den tatsächlichen Hergang, die durch Berichte von einem „Aufstand“ genährt wurde, stellte sich langsam heraus, dass es ein ohne vorherige Provokation erfolgter, gewaltsamer Angriff gewesen war.
Protestmaßnahmen rund um die Biennale: Vom offenen Brief bis zum Boykott
Am 19. Februar schrieb eine Gruppe von BOS-Künstler_innen einen offenen Brief, in dem sie den Vorstand der Biennale aufforderte, „im Interesse von Asylsuchenden zu handeln“ und „die aktuellen Sponsoring- Vereinbarungen mit Transfield zurückzuziehen“. Der Brief wurde schließlich von 47 der 49 teilnehmenden Künstler_innen unterschrieben. Über eintausend Menschen unterzeichneten eine Petition in Unterstützung dieser Forderungen. Die Antwort des Vorstands war jedoch unnachgiebig: „Die einzige Sicherheit ist, dass die Biennale ohne ihren Gründungspartner nicht länger existieren wird“.[2] Zudem wurde die Verantwortung für die Krise auf die Künstler_innen zurückge- worfen und verkündet, „dass sie eine Entscheidung treffen sollten, die sich mit ihrem eigenen Verständnis und Glauben vereinbaren ließe“.[3] In der Folge begann eine kleinere Gruppe der Künstler_innen den Abzug ihrer Arbeiten aus der Ausstellung in Betracht zu ziehen.
Am 26. Februar veröffentlichten fünf Künstler_ innen eine Stellungnahme über den Rückzug ihrer Beteiligung an der Biennale. Vier weitere schlossen sich am 5. März an. Gleichzeitig stimmten etablierte Kurator_innen und Kritiker_innen in den Protest ein, Ausstellungstechniker_innen verließen ihren Job, in Sydney fand ein zweites großes Treffen statt, und die Angelegenheit wurde täglich in der Mainstream-Presse verhandelt. Auch ein weiterer großer Sponsor der Biennale, die Stadt Sydney, berief eine Sitzung ein, in der sie die Beziehung der Ausstellung zu Transfield in Frage stellten. Am 4. März befasste sich schließlich auch das Australische Parlament mit dem Thema. Die großen Parteien haben einen Antrag eines Grünen Abgeordneten in Unterstützung der Künstler_ innen jedoch zu Fall gebracht.
Kollektive Selbstorganisierung gegen fragile Kunstinstitutionen und „business als usual“
Möglicherweise in Reaktion auf die Kontroversen fielen die Aktien von Transfield in jener Woche um 9%; als die Vertragsunterzeichnung verkündet worden war, waren sie noch um 21% gestiegen. Am 7. März, nur zwei Wochen vor der Eröffnung, überraschte Luca Belgiorno-Nettis damit, als Vorsitzender der Biennale zurückzutreten (eine Position, die er über vierzehn Jahre inne gehabt hatte), und der Vorstand gab bekannt, dass die 44 Jahre alten Verbindungen zu Transfield beendet würden – zu dem Unternehmen, das die Biennale 1973 gegründet hatte. In „19 Tagen, die die Kunstwelt erschütterten“ schaffte es ein relativ spontaner Zusammenschluss von Künstler_innen und Unterstützer_ innen, die Biennale dazu zu bringen, ihre Position gänzlich zu revidieren und das Argument zu zerlegen, Investitionen in Asylhaftanstalten und Schubhaftzentren seien „business as usual“.
Die Entscheidung der Künstler_innen, ihre Arbeiten zurückzuziehen, war zentral für die Kampagne: Das Herz der Ausstellung selbst war bedroht. Sie wurde von zahlreichen weiteren Formen des Rückzugs unterstützt: Praktikant_innen, die ihre Arbeitskraft abzogen, Ausstellungstechniker_innen, die ihre Jobs kündigten, lokale Mitarbeiter_innen, die ihre Zusammenarbeit beendeten, Besucher_ innen, die ihre Tickets zur Eröffnungsparty zurückgaben, Kunstvermittler_innen, die damit drohten, mit ihren Klassen die Ausstellung nicht zu besuchen, Zine-Macher_ innen, die eine alternative Zine-Messe außerhalb des Transfield-Orbits organisierten und so weiter. Als die Kampagne begann, gab es einen vernünftigen Optimismus, dass die Haltung des Vorstands geändert werden könnte. Dass das in nur zweieinhalb Wochen möglich war, zeugt von der Kraft kollektiver Organisierung wie auch von der Fragilität der Kunstinstitutionen, die von einer Aura der Kritikalität und Glaubwürdigkeit abhängig sind, um ihre kulturelle Position aufrecht zu erhalten. Gleichwohl die Trennung der Verbindung von Transfield mit der Biennale keinesfalls Schubhaft und Asylzentren abschaffte, so gab sie doch Flüchtlingen und ihren Unterstützer_ innen Auftrieb. Bilquis Ghani, die aus Afghanistan nach Australien geflohen und als Flüchtlingsaktivistin tätig ist, erklärte bei einem der Treffen in Sydney am 18. März: „Niemand hat erwartet, dass der Boykott in einem Rutsch Schubhaft abschaffen würde. Aber er hat gezeigt, dass Künstler_innen und Teilnehmer_innen der Öffentlichkeit Veränderungen herbeiführen können, und er hat begonnen, das symbolische Kapital von Transfield und dessen Profit durch Schubhaft zu reduzieren“.[4]
Ausweitung der Einflusssphäre im Kampf um Abschaffung von Schubhaft
Eine Kritik an der Kampagne war, dass sie falsch adressiert war: Sie habe sich gegen Handlanger_innen der Inhaftierung Asylsuchender gerichtet, die Regierung jedoch unversehrt gelassen. Die Biennale – sogar noch einen weiteren Schritt von Regierungspolitiken entfernt als Transfield – sei ein leichtes Angriffsziel gewesen und habe keinen Gewinn gebracht. Aus unserer Sicht verhält es sich jedoch so, dass wir in erster Linie für unsere direkte Einflusssphäre verantwortlich sind und diese beinhaltet für uns als Künstler_ innen die Biennale. Wir können zudem anhand von Reaktionen der Regierung nachweisen, in welch unangenehmer Lage auch diese sich befunden hat. So beschuldigte ein Minister die Künstler_innen „bösartiger Undankbarkeit“; der Minister für Kunst schrieb in einem Brief an das Australian Council for the Arts, dass er einen Weg finden wolle, alle Kunst-Organisationen abzustrafen, die Förderungen durch Unternehmen aus ethischen Gründen ablehnen würden: „Sie werden verstehen, dass sich die Steuerzahler_innen sagen werden: ‚Wenn die Sydney-Biennale kein Geld von Transfield braucht, wozu fragen sie dann nach unserem?‘“[5] Wir glauben, dass die Kampagne, mit der die Sponsorship-Vereinbarungen der Biennale von Sydney geändert wurde, einen entscheidenden Schritt dahingehend gemacht hat, die Verbindungen zwischen unserer direkten Arbeits- und/oder Einflusssphäre und Schubhaft zu brechen. Um tatsächlich Schubhaft abzuschaffen, werden wir diese Einflusssphäre ausweiten müssen und ebenso den Kreis jener, mit dem wir sie teilen.
Zanny Begg (Syndey), Künstlerin, veranstaltete die Treffen in Sydney.
Ahmet Öğüt (Istanbul), Künstler, war an der Kampagne beteiligt und einer der Künstler_innen, die ihre Arbeiten aus der Ausstellung zurückzogen.
Übersetzt aus dem Englischen von Sophie Schasiepen.
[1] Kiem, M, An art educator’s open letter to colleagues about detention profits and the Sydney Biennale. http://xborderoperationalmatters.wordpress.com/ 2014/02/04/art-educators-biennale, zuletzt aufgerufen 9. 4. 2014.
[2] Biennale of Sydney Website, http://www.biennaleofsydney.com.au/wp-content/uploads/2014/02/Biennale_of_Sydney_Board_Response_to_Working_Group_21_
February_2014.pdf zuletzt aufgerufen 4. 4. 2014.
[3] Biennale of Sydney Website
[4] Making Art on The Run: Imagining Change, Desiring Freedom, COFA Vortragsserie, 18. 3. 2014.
[5] The Australian, 13. 4. 2014, http://www.smh.com.au/comment/arts-kicks-own-goal-in-biennale-of-sydney-stoushand- risks-vital-clash-20140308-34dzu.html, zuletzt aufgerufen 4. 4. 2014.