Die Corona-Pandemie hat in vielen Bereichen vor allem die strukturellen Probleme in den Fokus gerückt und das oft zitierte Brennglas besonders deutlich auch auf die Kunst und Kultur gehalten. Schnell war klar, dass der Kunst- und Kultursektor mit seinen vielen prekären Arbeitskonstruktionen und Lebenssituationen besonders stark betroffen ist. Einen Staatssekretärinnen-Wechsel, mehrere Rettungspakete und Maßnahmen später gehen wir in den nächsten Lockdown. Dabei fürchten wir abermals die Konsequenzen des neuerlichen Zusperrens für viele von uns. Gerade in diesem Moment scheint es wichtiger denn je, die strukturellen Probleme aufzuzeigen, zu diskutieren und Fair Pay besonders von der Politik einzufordern.
Gemeinsam mit der IG Bildende Kunst und der battlegroup for art hat die Tiroler Künstler:innenschaft im Oktober 2020 ein mehrtägiges Arbeitstreffen zum Thema „pay the artist now!“ im Künstlerhaus Büchsenhausen in Innsbruck veranstaltet. Neben zahlreichen Vertreter_innen österreichischer Kunst- und Kulturinitiativen, Artist Run Spaces und Museumsinstitutionen war diesmal mit Brigitte Winkler-Komar auch die neu installierte Fair Pay Arbeitsgruppe des Bundesministeriums für Kunst, Kultur, öffentlicher Dienst und Sport (BMKOES) in die Veranstaltungsreihe eingebunden.
Mit dem Ziel, ein Modell für Österreich zur fairen Bezahlung von Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen zu entwickeln, sind wir in die Gespräche und Diskussionen gegangen. Ein wichtiger Grundbaustein für die erfolgreiche Implementierung ist, die Fördergeber_innen in den Entwicklungsprozess miteinzubeziehen und von der Notwendigkeit grundlegender struktureller Änderungen zu überzeugen. Nicht zuletzt wird es zur erfolgreichen Umsetzung auch Engagement und Bereitschaft der von öffentlicher Hand geförderten Institutionen brauchen. Dafür gilt es eine Basis und Voraussetzungen zu schaffen, damit das Bezahlen von Honoraren für Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen nicht bedeutet, dass die knapp bemessenen Produktionsbudgets der Jahresprogramme vieler Ausstellungshäuser und Kunstvereine dadurch markant beschnitten werden.
Das Wochenende vom 16.–18. Oktober startete mit einem zweiteiligen öffentlichen Panel, das auch als Livestream über die Facebook-Seite der Tiroler Künstler:innenschaft verfolgt werden konnte. Das Panel I war mit Yvonne Gimpel, der Geschäftsführerin der IG Kultur Österreich, Brigitte Winkler-Komar (BMKOES) in ihrer Funktion als Vorsitzende der neuen Fair Pay Arbeitsgruppe und Anne-Cathrine Lessel, Leiterin von Lofft, einer Produktions- und Spielstätte für freies Theater in Leipzig, besetzt. Während sich die Präsentationen des ersten Durchlaufs den strukturellen Problemen und Lösungsansätzen im Kulturbereich allgemein widmeten, fokussierte das Panel II mit Tiphanie Blanc (Wages For Wages Against, Schweiz) und Sepp Eckenhaussen (Initiative Kunstenaars Honorarium, Niederlande) auf die bildende Kunst und die dafür spezifischen Problemstellungen und stellten jeweils ihre Herangehensweisen und Modelle zu fairer Bezahlung vor und diskutierten sie mit dem Publikum.
Wages For Wages Against ist eine Kampagne von Künstler_innen und freien Kurator_innen in der Schweiz. Die Vergütung von künstlerischer Arbeit, vertraglich festgeschriebene Arbeitsverhältnisse und transparente Budgets von Institutionen sind drei ihrer Hauptforderungen, die sie mit Vorträgen und Informationsveranstaltungen sowie mit künstlerischen Mitteln, eingebunden in Ausstellungsformate und Publikationen proklamieren.
Die Präsentation von Sepp Eckenhaussen zur Initiative Kunstenaars Honorarium führte eindrucksvoll vor Augen, wie sich in den Niederlanden im Zeitraum von nur wenigen Jahren ein von Künstler_innen entwickeltes Honorarsystem etabliert hat und in Folge vom niederländischen Staat als Voraussetzung zur Auszahlung öffentlicher Subventionsgelder übernommen wurde. Diesen Honorarrichtlinien liegt ein einfacher Rechner zu Grunde, der sich an drei für den Ausstellungsbetrieb relevanten Parametern orientiert, der Anzahl der Ausstellungsteilnehmer_innen, der Ausstellungsdauer und einer Klassifizierung des gezeigten Werks: Handelt es sich um eine Neuproduktion, eine bestehende oder eine zu adaptierende Arbeit?
Dieses Modell ist ein guter Impulsgeber, wobei es dabei zu beachten gilt, dass die knappe Auswahl an Kriterien die Vielfalt künstlerischer Produktion nicht abbildet. Es ist wichtig, alle Formen der Kunstproduktion, wie beispielsweise die der Performance, in einem Vergütungssystem zu vereinen, auch die Arbeit von Künstler_innenkollektiven ihrer Arbeitskraft entsprechend zu honorieren sowie zusätzliche Rahmenprogramme für Ausstellungen, wie Künstler_innengespräche, mitzudenken. Viele dieser Fragen wurden bereits im Anschluss an die Vorträge kurz andiskutiert und von Katalin Erdödi, Mitglied des Kuratoriums für Theater, Tanz und Performance der Kulturabteilung der Stadt Wien, die durch den gesamten Abend führte, moderiert.
Vollgesogen mit all dem Input ging es am Samstag in das österreichweite Vernetzungstreffen mit insgesamt 25 Teilnehmer_innen, um diese drängenden Fragen rund um die Honorierung künstlerischer Arbeit weiter zu diskutieren und dem Ziel, eine Grundlage für faire Bezahlung zu schaffen, einen großen Schritt näher zu kommen. Katharina Cibulka, Künstlerin und Vorstandsmitglied der Tiroler Künstler:innenschaft, führte durch den langen und arbeitsintensiven Tag im Ballsaal des Künstlerhauses Büchsenhausen. Online waren auch Teilnehmer_innen aus Wien und München dabei. Für die nächsten Schritte war schnell klar, dass eine Bedarfsanalyse notwendig ist, um eine gemeinsame Richtlinie zu erstellen. Neben realistischen Honorarsätzen gilt es, den Mehrbedarf an Fördermitteln zu erheben, die zur Einhaltung der Honorare durch Institutionen notwendig sind. Es braucht ein Bezahlmodell, das über Mindestsätze hinausgeht und angemessene und faire Honorare sicherstellt.
Seit dem ersten Vernetzungstreffen 2018 und durch die beharrliche Aufklärungsarbeit der Interessenvertretungen hat sich rund um das Thema faire Bezahlung einiges getan. Angelehnt an die von der IG Bildende Kunst bezahlten Mindesthonorarsätze hat die Tiroler Künstler:innenschaft mit dem Jahresprogramm 2020 begonnen Künstler_innenhonorare zu bezahlen und sie als solche klar auszuweisen, auch wenn das für den Moment nur eine Umwidmung der aktuellen Budgets bedeutet und zu Lasten der Produktionsbudgets für die jeweiligen Ausstellungen geht. Als strategischer Schritt scheint es trotzdem wichtig, Künstler_innenhonorare als fixen Bestandteil in die Förderansuchen hineinzunehmen und ein deutliches Signal in Richtung der Fördergeber_innen zu schicken. Dies verweist auf das strukturelle Problem, dass zum Bezahlen von fairen Honoraren dringend die Aufstockung der aktuellen Budgets erfolgen muss.
Bei einem ausgedehnten Spaziergang auf die Arzler Alm nahe Innsbruck am dritten Tag diskutierte der verbliebene Teil der Gruppe weiter und hat das Vernetzungstreffen an der frischen Luft somit ausklingen lassen.
Aktuell sind die Kolleg_innen der Tiroler Künstler:innenschaft und der IG Bildende Kunst dabei, die Ergebnisse und Vorschläge des Vernetzungstreffens auszuwerten. In Absprache mit den Teilnehmer_innen wird ein Forderungskatalog mit konkreten Ansätzen zu Honorarrichtlinien erstellt, der noch in diesem Jahr bei einem bereits geplanten Treffen mit Andrea Mayer, Staatssekretärin für Kunst und Kultur, vorgestellt und diskutiert werden soll.
If not now, then when?
Michael Strasser ist Künstler und Vorstandsmitglied der Tiroler Künstler:innenschaft