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Hilfszahlungen und Förderungen für Kunst und Kultur in der Covid-19-Pandemie

Im Juni haben wir zwei Online-Diskussionen abgehalten, in denen wir verschiedene Modelle der Krisenhilfe in der Covid-19- Pandemie analysiert haben. Wir haben Informationen über die Situation freischaffender Künstler_innen und Kulturarbeiter_innen ausgetauscht und versucht, Interventionsmöglichkeiten für die Zukunft zu identifizieren. Hier fassen wir einige zentrale Punkte dieser Gespräche zusammen, die wir mit Dragana Alfirević (Ljubljana), Nastya Dmitrievskaya und Daria Iuriichuk (Moskau), Jannik Franzen (Wien), Kinga Lendeczki (Budapest), Tereza Stejskalová (Prag), Igor Stokfiszewski (Warschau) und Raluca Voinea (Bukarest) geführt haben.

Keine neuen Probleme
Die sozioökonomischen Schwierigkeiten, mit denen unabhängige Kunstschaffende in der Covid-19-Pandemie konfrontiert sind, sind nicht neu. Der Kern der Probleme liegt in der ambivalenten Beziehung zu konventioneller Erwerbsarbeit. Viele der Regierungen, die Abhilfe gegen einen plötzlichen Abstieg ökonomischer Aktivität während des Lockdowns schaffen wollten, haben dies mit Lohnzuschüssen getan. Freischaffende im Kulturbereich konnten diese Förderungen nicht beantragen, weil sie meistens andere Einkommen als reguläre Gehaltszahlungen haben. Zentrale Komponenten sind Honorare, Arbeitsstipendien und Projektförderungen. Oft kombinieren sie Selbstständigkeit und temporäre oder geringfügige Beschäftigungen und jonglieren damit unterschiedliche gesetzliche Status. Beim Vergleich unterschiedlicher Modelle für Hilfszahlungen haben wir viele Beispiele für punktuelle Interventionen gefunden, die mit der einen oder anderen spezifischen Einkommensmodalität verknüpft waren. Sie haben gemein, dass sie darin scheitern, die komplexe Zusammensetzung der Einkommen zu berücksichtigen, wie sie charakteristisch für den Kultursektor sind.

Was tun im Notfall? Das tiefgreifende Prekariat der Ich-AGs
In vielen Ländern gibt es keinen eigenen rechtlichen Status als selbstständige_r Kunstschaffende, weswegen sie sich als Unternehmer_ innen, Solo-Selbständige oder Gesellschaften registrieren. So konnten sie auch Förderungen für Kleinunternehmer_innen erhalten. In Slowenien konnten Selbstständige eine Direkthilfe über 700 Euro für April und Mai beantragen und die Hälfte dieses Betrages für März. In Ungarn wurden jene Kreativ- Arbeiter_innen, die in die Kategorie „kleine Steuerzahler_innen“ fallen, für vier Monate von den monatlichen Steuerzahlungen in Höhe von 150 Euro befreit. Steuerregelungen sind oft der Hauptgrund dafür, dass freie Kunst- und Kulturschaffende als Unternehmer_innen erwerbstätig sind. Wie die Lohnzuschüsse waren auch die staatlichen Unterstützungszahlungen für Kleinunternehmer_ innen meist daran gebunden, dass eine starke Verminderung der Einnahmen nachweisbar war. Für Kunstschaffende, deren Einkommen unregelmäßig und schwankend sind, wurde diese Bedingung eine Hürde, wenn sie für die relevante Phase keinen ausreichenden Einkommensverlust nachweisen konnten und deswegen keine oder nur sehr geringe Unterstützungssummen erhielten.

Ausschlüsse und Lücken
In Tschechien hat die Regierung Direkthilfen für Freischaffende vergeben (zwei Zahlungen in der Höhe von 1000 Euro), aber der Großteil der Kulturarbeiter_innen war ausgenommen, weil sie zugleich einer Teilzeit- oder temporären Beschäftigung nachgingen. In Rumänien konnten Kreative, die nicht als Unternehmer_innen registriert waren, das erste Mal staatliche Hilfe erhalten. Die Zahlung war an bestimmte Verträge geknüpft. Jene, die in den drei Monaten vor dem Lockdown einen Autor_innen-Vertrag unterzeichnet hatten, konnten von März bis Mai und für die Dauer von 2,5 Monaten 80% des rumänischen Durschnitteinkommens erhalten. Allerdings war die Maßnahme überhastet konzipiert. Es stellte sich heraus, dass fast die Hälfte der Unterstützung in Form von Steuerabgaben zurückgezahlt werden musste. Die monatliche Netto-Summe reduzierte sich auf 500 Euro. In Estland wurden zusätzliche Töpfe für ein bereits existierendes Modell der „Kreativunterstützung“ bereitgestellt und die Antragsbedingungen zu einem gewissen Grad erleichtert. Es handelt sich um ein bedarfsorientiertes Instrument, das speziell für den Kultursektor entwickelt wurde. Die Zahlungen sind an den Mindestlohn geknüpft (584 Euro über 6 Monate), und die Empfänger_innen dürfen zusätzliches Einkommen in der Höhe des Mindesteinkommens haben. Im Verhältnis zu anderen Ländern scheint das Modell in Estland eines der flexibelsten zu sein und gerät nicht in Konflikt mit einem gleichzeitigen Status als juridische Person oder gelegentlichen geringen Einkommen. Allerdings ist dieses Instrument nur für Urheber_innen zugänglich. Der Ausschluss von prekär Beschäftigten, die andere maßgebliche Rollen im Kultursektor ausführen, so etwa Techniker_innen oder Produzent_innen, stellt eine systemische Lücke in den Hilfszahlungen dar. Der geographische Fokus unserer Online-Gespräche lag in Osteuropa, wo Prekarität bereits allgegenwärtig ist. In einigen Ländern, wie in Russland, wurden gar keine Notfallfonds speziell für den Kultursektor entwickelt. Finanzielle Unterstützung ist nur durch allgemeine Sozialhilfe zugänglich oder etwa über den Bezug von Arbeitslosengeld. Arbeitslose sind jedoch allgemein in osteuropäischen Gesellschaften wenig abgesichert, und in vielen Fällen ist diese Situation durch die Sparpolitik der vergangenen Jahre verschärft worden. Monatliche Zahlungen für Freischaffende liegen gewöhnlich zwischen 100 und 300 Euro und werden für einen begrenzten Zeitraum vergeben. Die Frage der Arbeitslosenversicherung wird dennoch selten thematisiert, wenn es um die Verbesserung der Lage von Beschäftigten im Kulturbereich geht. Der Fokus liegt hier auf der Forderung nach fairer Bezahlung.

Solidarität statt Konkurrenz!
Eine verbreitete Antwort auf die Covid-19-Pandemie war die Ausschreibung zusätzlicher Förderungen, die oft die Priorität auf künstlerische Aktivitäten online setzten. Im Gegensatz zu bedarfsorientieren Modellen machten diese Ansätze Produktivität zur Vorbedingung und rückten Wettbewerb statt Solidarität in den Vordergrund. In manchen Fällen wurde die Krisensituation für politische Zwecke instrumentalisiert: so in Ungarn, wo es thematische Ausschreibungen gab, in denen Künstler_innen dazu aufgerufen wurden, Projekte für den Jahrestag des Vertrags von Trianon zu entwerfen, ein Wendepunkt nationalistischer Rhetorik, oder andere zentralistisch vorgeschriebene Themen. Die Krisenabhilfe wurde als „Vorauszahlung“ für später umzusetzende künstlerische Arbeiten formuliert. Wir haben nur wenige Berichte von Selbstorganisation erhalten, meistens aus Kontexten ohne staatliche Hilfe oder mit unzureichender Unterstützung in der Krise. FESZ, die Interessensvertretung für unabhängige darstellende Künste in Ungarn, hat einen Solidaritätsfond ins Leben gerufen, der bedarfsorientierte „Schnellhilfen“ an alle Arbeiter_ innen (nicht nur Künstler_innen) in diesem Bereich verteilt hat. Ähnliche Initiativen auf Crowdfunding-Basis gab es in Slowenien, während das Garage Museum für Zeitgenössische Kunst in Moskau Essen ausgeteilt hat.

Wir schreiben diesen Text Anfang September, in einer Zeit, in der die Covid-19-Infektionsraten wieder steigen. Im Rückblick auf diese im Juni zusammengestellten Informationen ist es schwierig, in die Zukunft zu schauen. Die von uns gesammelten Beispiele waren meist auf zweieinhalb Monate Lockdown begrenzt. Raluca Voinea hat jedoch in unseren Gesprächen darauf hingewiesen, dass die Krise gezeigt hat, dass das, von dem wir dachten, es sei unmöglich, möglich werden kann: Staaten haben Ressourcen, um die Situation von Künstler_innen und Kulturschaffenden zu verbessern, wenn es den politischen Willen dazu gibt. Am Beginn einer wirtschaftlichen Rezession stehend, ist es besonders wichtig, dass wir nicht unsere Stimme in dieser Krise verlieren und sicherstellen, dass die bereitgestellten Ressourcen nicht von einer zweiten Welle der Sparpolitik geschluckt werden.


Katalin Erdo˝di ist Kuratorin und Dramaturgin mit Arbeitsschwerpunkten in sozial engagierter Kunst, experimentell-performativen Praktiken und Interventionen im öffentlichen Raum. Sie lebt in Wien. Airi Triisberg arbeitet an der Schnittstelle von Kultur, Bewegungspolitik und Wissensproduktion. Sie lebt in Tallinn.

Aus dem Englischen übersetzt von Sophie Schasiepen.