„… hilfreicher, die unterschiedlichen Interessen offenzulegen …“

Fremde im Inneren im Gespräch mit Klaus Schönberger

Bildpunkt: Klaus, Du gehörst zu den MitinitiatorInnen einer Erklärung, die österreichische Volkskunde-Institute, Museen, Vereine und Verbände zum Thema Menschen in Bewegung – „Kultur“ und „Heimat“ als politische Instrumente Ende November 2015 veröffentlicht haben. Was hat euch zu dieser Intervention in die Debatten um die so genannte Flüchtlingskrise veranlasst?

K.S.: Die Initiative erwächst klar aus dem Selbstverständnis des Nachfolgefachs der Volkskunde in Deutschland und Österreich. Ein wesentlicher Bestandteil des Fachdiskurses (unabhängig davon, ob sich die jeweiligen Institute als Empirische Kulturwissenschaft, Europäische Ethnologie, Populäre Kultur, Cultural Studies oder immer noch als Volkskunde bezeichnen) ist die selbstkritische Reflexion der eigenen Fachgeschichte, die bereits Ende der 1960er Jahre in Deutschland begonnen hat und inzwischen auch in Österreich in den Universitätsinstituten und in den zentralen Volkskundemuseen (Wien, Graz und Innsbruck) eine Selbstverständlichkeit ist.

Bildpunkt: In der Erklärung wird darauf hingewiesen, dass „‚Kultur‘ und ‚Identität‘ im Laufe der Geschichte vielfach auf gefährliche Weise verwendet wurden, um das ‚Fremde‘ vom vermeintlich ‚Eigenen‘ abzugrenzen und Menschen auszuschließen“. Nun sind ja gerade die Völker- und Volkskundemuseen durchaus aktive Akteure der Fremdzuschreibung gewesen – und sind es zum Teil auch heute noch. So eine Erklärung ist vielleicht nicht der beste Ort für Selbstkritik, wird sie dennoch dafür zum Anlass genommen?

K.S.:
Ich kann hier nicht für die völkerkundliche Ethnologie bzw. Sozial- und Kulturanthropologie sprechen, wie sie etwa in Wien vertreten wird: das ist eine andere Baustelle (aber hier dürfte sich vieles ähnlich verhalten). Für die von Dir reklamierte Selbstkritik bedarf es nicht dieses Anlasses, sondern dieselbe ist – wie bereits erwähnt –Teil des Fach-Selbstverständnisses. Die Erklärung ist auch ein Stück weit die Fortschreibung dieser Selbstkritik. Die hierin aufgegriffene Thematik ist Gegenstand von Forschung und Lehre. Gerade die ehemalige Volkskunde hat wie kaum eine andere Disziplin ihre Verwicklung mit dem Nazi-Faschismus aufgegriffen, dargestellt und Konsequenzen gezogen. Ausgehend von der Kritik der eigenen Fachgeschichte wurden die meisten Institute in programmatischer Absicht umbenannt. Die Weiterverwendung des Begriffs der Volkskunde ist heute eher eine Folge von akademisch-hochschulpolitischen Problemen, die mit dem Kampf um Ressourcen und Stellenzuteilungen einhergeht. In Bezug auf die Erklärung: Ein zentrales Problem der Volkskunde war eine ahistorische Konzeption des Kulturbegriffs. Das vertritt heute kaum noch jemand. Eine auf der Ebene der volkskundlichen Kulturwissenschaft nur noch am Rande vorkommende unkritische Verwendung von Begriffen wie Volkstum, Heimat oder neuerdings Identität ist allerdings im Alltag, im heimatpflegerischen wie im politischen Diskurs immer noch Gang und Gäbe. Hier interveniert unsere Erklärung.

Bildpunkt: Kultur wird in der Erklärung als etwas definiert, das „von allem am Alltagsleben beteiligten Menschen stets neu ausgehandelt und mit Bedeutung versehen“ wird. Ist dieser dynamische Kulturbegriff aus deiner Sicht auch eine Art Kampfformel? Anders gefragt: Siehst Du in der offenen Konzeption von Kultur auch eine Waffe gegen die sich neu formierenden, rechtsnationalistischen Identitätspolitiken?

K.S.:
Ich bin skeptisch, ob der Kampf gegen Rassismus und Identitätshuberei auf dem begrifflichen Feld gewonnen werden kann. Aber, ohne einen dynamischen Begriff von Kultur brauche ich gar nicht erst anzutreten. Wir versuchen in der Lehre immer wieder zu vermitteln, dass es einer historischen Zugangsweise bedarf, die reflektiert, dass die Gegenwart „geworden“, also ein Produkt der Geschichte, und damit auch veränderbar ist. Daher stellen sich Kultur und „Identität“ in unserer Auffassung nicht als statische Käfige oder Monolithe dar. Das ist genau die Perspektive, die wir insbesondere auch im politischen Feld einfordern müssen und das passiert auch in dieser Erklärung. Zugleich lässt sich das rassistische Alltagsbewusstsein nicht mit Theorie dekonstruieren. Die in den Medien immer wieder verbreitete apologetische Behauptung, dass die Menschen „berechtigte Ängste“ hätten und ihre vermeintlich verständliche „Angst vor dem Fremden“ unterschlägt das zentrale Moment des gegenwärtigen Rassismus – den aus Abwehr abgeleiteten Anspruch von Macht und Vorherrschaft nämlich. Die rassistische Konstruktion beinhaltet konstitutiv einen Machtanspruch, dass „die Anderen“ dem eigenen Bild, das man sich von ihnen gemacht hat, entsprechen müssen, dass sie sich unterordnen müssen und zum Beispiel als „arme Flüchtlinge“ keine Smartphones besitzen dürfen oder per se demütig und bescheiden zu sein haben. Diese beiden Aspekte (Dekonstruktion von Kultur und von vermeintlicher Angst) erscheinen mir auf der diskursiven Ebene zentral. Aber in der Alltagspraxis bedarf es eines Kampfes um andere, attraktivere soziale Praxen, nur dann wird auch ein dynamischer Kulturbegriff anschlussfähig sein.

Bildpunkt: Der Sozialanthropologe Dieter Haller schreibt in seiner Geschichte der deutschen Ethnologie dem Fach eine „Faszination für das Fremde“ zu Gute. Dass die Tradition des professionellen Verstehens oft mit der Zurichtung des Gesehenen einhergegangen ist, dafür fehlt dennoch häufig das politische Gespür. Wie vermeidest Du die Gewalt des Blicks in deiner Praxis als Kulturanthropologe?

K.S.:
Ich bin kein Kulturanthropologe ethnologischer Provenienz und ich beschäftige mich vor allem mit dem Alltag in den hiesigen Gesellschaften und weniger mit dem Fremden oder Exotischen. Allerdings gibt es dieses Problem der Gewalt der Repräsentation auch in meinen Forschungsfeldern. Denn wenn wir uns mit Handyfilmen von Jugendlichen beschäftigen, dann ist das auch ein Blick auf „die Anderen“ und der kann durchaus problematisch sein. Ich versuche demgegenüber die Logik des Handelns der untersuchten Menschen bzw. Gruppe im beforschten Feld zu verstehen und nicht zu be-urteilen. Früher haben wir das Parteilichkeit genannt. Und was nun das Verhältnis der volkskundlich-kulturwissenbp schaftlichen Forschung zu ihren Themen, Feldern usw. angeht, so kann man sich kaum ein selbstreflexiveres Feld vorstellen als die gegenwärtigen Ethnowissenschaften. Darüber hinaus ist es inzwischen selbstverständlich, dass das Machtverhältnis zwischen wissenschaftlichem Feld und untersuchtem Feld reflektiert werden muss. Aber der postkoloniale Anspruch bedingt Widersprüche, wenn ich zum Beispiel über PEGIDA-AnhängerInnen forsche. Hier wird selbstverständlich die Gewalt meines kritischen Blicks nicht nur offenbar, sondern im Sinne von Erkenntnisinteresse und Offenlegung von Strukturen geradezu eingefordert. Und indem wir von unseren Studierenden fordern, kritisch zu denken und zu handeln, stoßen wir auch immer wieder auf ihre Gegenwehr, weil sie lieber ihren Alltagsverständnissen weiter nachhängen möchten, als sich von mir „zwingen“ zu lassen, sich systematisches, kritisches und historisch argumentierendes Denken anzugewöhnen. Wie wir es drehen und wenden, wir gehören nicht zu den „Guten“. Vielleicht wäre es hilfreicher, die unterschiedlichen Interessen (von ForscherInnen, Beforschten und anderen Gruppen) offenzulegen, statt so zu tun, als ob jedes Machtverhältnis in der Repräsentation auflösbar sei.


Klaus Schönberger ist empirischer Kulturwissenschaftler und Professor für Kulturanthropologie an der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt/Celovec.

Das Gespräch wurde im Januar 2016 von Jens Kastner per E-Mail geführt.