G4S, die Bundestheater und warum sich ethischer Widerstand lohnt

G4S, ein britisch-dänischer Securitykonzern mit weltweit mehr als 600 000 Beschäftigten, spezialisiert auf das Outsourcing vormals öffentlicher Dienstleistungen, ist einer kritischen Öffentlichkeit vor allem durch Skandale und Arbeitskämpfe gegen unrechtmäßige, unterbezahlte Arbeitsverhältnisse bekannt. Der bekannteste Skandal betrifft die Tötung von Jimmy Mubenga durch britische G4S-Mitarbeiter während seiner Abschiebung von Großbritannien nach Angola 2011. In Südafrika wurde G4S erst vor wenigen Monaten aufgrund von Foltervorwürfen die Leitung eines Gefängnisses entzogen. In Österreich wird derzeit wegen des Verdachts auf schweren Betrug im Zusammenhang mit unrechtmäßig abgerechneten Parkraumgeldern in Kärnten gegen G4S ermittelt. G4S wird Sicherheitspersonal im neu errichteten Abschiebegefängnis im steirischen Vordernberg stellen und ist für den 1996 outgesourcten Publikumsdienst der österreichischen Bundestheater verantwortlich. Während – trotz teils heftiger Diskussionen um die Vertragsvergabe an G4S und die Abgabe hoheitlicher Aufgaben an einen privaten Securitykonzern – die laut Polizei „weltweit modernste Schubhaftanstalt“ vorerst scheinbar ohne größere Proteste im Jänner dieses Jahres in Betrieb ging, ist die Diskussion um G4S bei den österreichischen Bundestheatern seit letzten Herbst nicht mehr verstummt.

„Ich träume von einem Theater, das …“

Im Oktober des Vorjahres ging Christian Diaz, nebenberuflicher Billeteur und Kunststudent, während des Burgtheaterkongresses anlässlich dessen 125-jährigen Bestehens, der unter dem Motto Von welchen Theater träumen wir? stand, unaufgefordert auf die Bühne, um diese Frage aus seiner Sicht zu beantworten: „Ich träume von einem Burgtheater, das sich gegen das Unternehmen G4S positioniert. Ich träume von einem Theater, das sich gegen die Politik stellt, welche Outsourcing, Privatisierung und damit wachsende Ungerechtigkeit in unserer Gesellschaft fördert. Ich träume von einem Theater, das sich gegen die Abschiebung von Menschen wendet, die in anderen Teilen der Welt unterbezahlt und in Elend die Produkte unseres Wohlstands herstellen.“ Seither sind Abschiebegefängnisse, das Outsourcing kommunaler Dienstleistungen oder ethische Pflichten kultureller Einrichtungen Gegenstand öffentlicher Debatten. Sogar die Verleihung des Nestroypreises schien sich mehr um Diaz zu drehen als um die eigentlichen Preisträger*innen. So bezog sich die diesjährige Preisträgerin Elfriede Jelinek auf Diaz und G4S. Auch Burgtheaterchef Hartmann solidarisierte sich in seiner Rede mit Diaz und würdigte dessen vorbildhaft mutiges Verhalten. Im Gegensatz dazu distanzierte sich der Betriebsrat von G4S postwendend von dieser Aktion, bringe sie doch die Mitarbeiter*innen in Misskredit und gefährde sämtliche 400 Arbeitsplätze. Georg Springer, Bundestheatergeneral, lancierte Ende Oktober in einer seiner zahllosen Presseaussendungen gar das Gerücht, dass es eine Unterschriftenliste gäbe, auf der sich sämtliche G4S-Mitarbeiter*innen der Bundestheater von Diaz` Aktion distanzieren würden, ohne seither öffentlich diese Falschaussage vollständig korrigiert zu haben. Tatsächlich lagen wenig später Unterschriftenlisten von G4S auf, die allerdings rasch wieder zurückgezogen wurden.

Anonyme Billeteur*innen erheben ihre Stimme

Mit diesem Versuch, als sprachlose Manövriermasse des Unternehmens G4S bzw. der Bundestheaterholding missbraucht zu werden, sah es eine Gruppe von Billeteur*innen als den richtigen Zeitpunkt an, sich als Anonyme Billeteur*innen an die Öffentlichkeit zu wenden: „Wir, eine Gruppe von Billeteurinnen und Billeteuren, möchten hiermit im Gewirr der zahlreichen medialen Stimmen unser Anrecht auf eine eigene und öffentliche Stimme geltend machen. Nachdem in den letzten Wochen seit der vielzitierten ‚Rede des Billeteurs’ über uns, um uns herum und für uns geredet, geschrieben und entschieden wurde, wenden wir uns nun in Form dieses Blogs an die Öffentlichkeit.“ Zentrales Anliegen der Gruppe ist das Thema Outsourcing, das in unserer Gesellschaft ebenso selbstverständlich wie unvermeidlich erscheint. Die Probleme gehen dabei weit über ökonomische Benachteiligungen wie prekäre, meist befristete Arbeitsverträge oder schlechtere Bezahlung hinaus. Outsourcing ist auch mit einem Prozess der Spaltung und Unsichtbarmachung verbunden, der letztendlich im Fall der Billeteur*innen darin mündete, nicht gehört und nur mehr aus den Medien informiert zu werden und scheinbar in Niemandes Verantwortungsbereich zu gehören. Das Gesamtkunstwerk Theater, mit dem sich die Bundestheater in ihrem fortschrittlichen Selbstverständnis gerne schmücken, existiert so nur mehr zum Schein. Wenn die Gruppe also eine Wiedereingliederung des Publikumsdienstes – mit der Bedingung der Übernahme aller Beschäftigten ohne jegliche vertragliche Schlechterstellung – fordert, dann geht es sehr wohl darum, nicht mehr für ein so menschenverachtendes Unternehmen wie G4S arbeiten zu wollen. Es geht aber auch um menschliche Würde, der Begegnung auf Augenhöhe mit den anderen im Theater Arbeitenden und damit letztendlich auch um eine ehrliche Umsetzung des Gesamtkunstwerks Theater. Die Anonymen Billeteur*innen fordern auch die Wiedereinstellung ihres gekündigten Kollegen Christian Diaz, der unmittelbar nach seiner Aktion wegen „mangelnder Identifikation mit dem Unternehmensleitbild“ seinen Job verlor. Er kann trotz dieser lächerlichen Begründung die Entlassung nicht anfechten, da er sich aufgrund des prekären Arbeitsvertrages in seiner (mittlerweile dritten!) Probezeit befand. Die Gruppe fordert insbesondere Burgtheaterchef Hartmann auf, nicht nur in Worten solidarisch zu sein, sondern auch Taten für eine Wiedereinstellung folgen zu lassen. Der Publikumsdienst ist mit 400 Beschäftigten nicht nur ein recht großer, sondern auch ein sehr heterogener Bereich. Es gibt Kolleg*innen, die diesen Job als Nebenbeschäftigung zum Studium machen, andere, für die er eine der wenigen Möglichkeiten ist, der Langzeitarbeitslosigkeit zu entgehen. Die Anonymen Billeteur*innen gehen sehr bewusst mit dieser Tatsache um: „Darum halten wir hier vor allem fest, dass wir mit diesem Blog nicht für die Allgemeinheit der Billeteurinnen und Billeteure sprechen, sondern für eine Gruppe von G4S-MitarbeiterInnen, der eine Identifikation mit ihrem Arbeitgeber unmöglich geworden ist.“

Selbstorganisierter Widerstand als Akt sozialer Notwehr

Der Umstand, dass die Gruppe anonym agiert, ist schlicht dem herrschenden Kräfteverhältnis geschuldet, wobei der Schutz aller Kolleg*innen vor einer eventuellen Kündigung oberste Priorität hat. Insofern versteht sich die Gruppe vorrangig als Sprachrohr und Kommentatorin der laufenden Ereignisse. Es ist gerade dieser umsichtige Umgang und die ungewöhnliche Zurückhaltung, der den Anonymen Billeteur*innen wachsende Sympathie bei vielen Kolleg*innen einbringt; sozusagen ein Gegenentwurf zum „Nichtgehörtwerden“ oder paternalistischen „Fürdieanderensprechen“. Wer nun denkt, dass diese Formen selbstorganisierten Widerstands, zu verstehen als Akt sozialer Notwehr, weil weder Vertretungen wie Betriebsrat oder Gewerkschaft noch die Bundestheater diese Anliegen entsprechend aufgriffen, keine Erfolge haben können, weil sie zu individualistisch oder zu defensiv sind, irrt. Es ist dem ethischen Ungehorsam Christian Diaz` und der Anonymen Billeteur*innen zu verdanken, dass es heute in Österreich eine Debatte dieses Ausmaßes gibt. Es ist ihnen zu verdanken, dass G4S seinen Mitarbeiter*innen plötzlich unbefristete Arbeitsverträge anbietet oder eine vierte Probezeit abgeschafft hat. Es ist es auch ihr Verdienst, dass die Bundestheater dieser Tage auf der Shortlist für den Schandfleck 2013 (eine Auszeichnung für das übelste Unternehmen) gelandet sind, dessen Publikumsvoting erst dieser Tage zu Ende gegangen ist. Nicht zuletzt ist es auch ihr Verdienst, dass Bundestheatergeneral Springer (mit 261 700 € Jahresgehalt übrigens absoluter Spitzenverdiener unter Österreichs Kulturmanager*innen) [1] – wieder einmal via Pressesendung – laut über eine Wiedereingliederung des Publikumsdienstes nachdenkt.[2] Kostenneutral, versteht sich!


Anna Leder lebt und arbeitet in Wien, ist basisgewerkschaftlich aktiv, Herausgeberin des Sammelbandes Arbeitskämpfe im Zeichen der Selbstermächtigung. Wien 2011 (Promedia Verlag).


[1] http://diepresse.com/home/kultur/news/1510099/

[2] http://wien.orf.at/news/stories/2623011