… es gibt nicht nur eine feministische Kunstkritik, sondern viele Achsen der Kunstkritik.

Lilly Axster und Maria Dalhoff im Gespräch mit Ezgi Erol

Wie wird sexualisierte Gewalt in der Kunst thematisiert und was bedeutet der Begriff Täterstrategie? Diese Fragen besprechen wir mit Lilly Axster und Maria Dallhoff vom Verein Selbstlaut – Gegen sexualisierte Gewalt an Kindern und Jugendlichen anhand der in der Albertina gezeigten Ausstellung Egon Schiele und den im Rahmen der Ausstellung präsentierten Texten.

Ein Besuch der Ausstellung Egon Schiele in der Albertina hat bei euch Kritik ausgelöst. Warum?

Maria Dalhoff: Ich habe in der Ausstellung einige Aktzeichnungen gesehen, die Kinder und minderjährige Mädchen darstellen, und die Texte dazu gelesen, die von der Albertina verfasst wurden und die auch Zitate eines Zeitgenossen Schieles beinhalten. Was ich aus meiner Selbstlautperspektive daran so problematisch fand war, wie das Verhältnis zwischen Egon Schiele als Künstler und den Kindern und minderjährigen Mädchen, die nackt gezeichnet wurden, in der kuratorischen Einbettung, in den Texten neben den Bildern, beschrieben wird. Kurator Schröder spricht dabei von dem „erotischen Leib“ der Mädchen und von dem heimlichen Einverständnis zwischen dem Kind als „Verführerin“ und dem verführten Schiele. Wenn dieses Setting heutzutage so stattfinden würde, hätten wir es mit sexualisierter Gewalt zu tun – auch strafrechtlich.

Was tut die Albertina da genau? Sehen wir hier die Reproduktion von Täterstrategien?

M: Ja. Was ich besonders in den Texten relativ prägnant finde, ist so etwas wie ein „Lolita-Effekt“, wo es den Mädchen zugeschrieben wird, dass sie Schiele verführen. Das ist eine ganz typische Täterstrategie: die Verantwortung dem Kind zuzuschieben anstatt die von Erwachsenen ausgehenden Grenzverschiebungen zu benennen und zu fordern, solche Situationen zu unterbinden.

Lilly Axster: Ein anderer Aspekt wird durch Albert Paris Gütersloh, den Zeitgenossen Schieles aufgemacht. Diese Szenerie wird so beschrieben, als wäre es für die Kinder eine tolle Möglichkeit gewesen, ihrem tristen Elternhaus zu entkommen. Aus unserer Arbeit wissen wir, dass Kinder aus tristen vernachlässigten Elternhäusern gezielt angesprochen werden von Leuten, die sie für ihre Zwecke ausnutzen wollen. D.h. das ist eine völlige Verharmlosung und Relativierung. Genau dieses Setting wurde, wie wir annehmen, von Schiele bewusst hergestellt. Wir waren nicht dabei, ich kann nicht sagen: Es war Missbrauch. Aber das, was wir in diesen Texten in Kombination mit den Bildern sehen können, ist uns sehr bekannt und höchst bedenklich.

Was war eure Hauptintention für die Kontaktaufnahme mit der Albertina?

M: Nachdem ich die Texte bei uns im Verein Selbstlaut thematisiert habe, entschieden wir uns, den Leiter der Albertina, Klaus Albrecht Schröder, zu kontaktieren. Unserer Meinung nach braucht die Ausstellung eine klare Positionierung gegen Kindes-missbrauch, Kinderpornografie und deren Verharmlosung. Daraufhin hat er sich einige Stunden später zurückgemeldet. Zwei Wochen später haben wir uns mit ihm und mit zwei Leiterinnen der Kunstvermittlung getroffen.

Wie ist das Gespräch gelaufen?

M: Bei dem Treffen war es uns vor allem ein Anliegen zu sagen: Wir stehen jetzt nicht da, um eine Zensur einzufordern; sondern wir wollen darauf aufmerksam machen, was für eine heftige Normalisierung von sexualisierter Gewalt oder sexualisierten Abbildungen von Kindern durch diese kuratorische Einbettung in so einer mächtigen Institution re-inszeniert wird. Aus unserer Präventionsperspektive prägt das ein gesellschaftliches Klima mit, das täterschützend ist.

L: Das Gespräch war der Versuch, klar zu machen, dass es uns nicht um kunsthistorische Auseinandersetzungen geht oder um die Bedeutung Schieles im Allgemeinen und Besonderen; sondern darum, was diese Bilder und die von dem Kurator gewählte Einbettung dieser Bilder auslösen, wofür sie stehen und was sie tun. Da mussten wir ziemlich kämpfen, diesen Punkt zu besprechen und das nicht wegzuwischen oder relativieren zu lassen von allgemeinen Debatten über die Bedeutung von Egon Schiele für die Kunstgeschichte.

Wie ist eure Kritik angekommen?

M: Wir haben uns fast zwei Stunden unterhalten, wobei wir erst mal erklärt haben, was Täterstrategien sind – also die häufig verwendeten Strategien von Menschen, die Kinder missbrauchen. Einige Zitate und die Texte in der Ausstellung ähneln diesen Strategien sehr und Schiele saß 1912 aufgrund des Verdachts von „Schändung einer Minderjährigen“ in Untersuchungshaft, wurde allerdings freigesprochen. Es ist natürlich eine harte Kritik, all das zu hören.

L: Wir haben vehement eingefordert, dass wir uns keine Bilder gemeinsam mit ihnen anschauen. Es ist trotzdem möglich, darüber zu sprechen, was die Bilder und ihre textliche Einbettung unserer Meinung nach in so einem Raum wie der Albertina machen. Es war ein ausführliches Treffen. Aber ich würde sagen, wir sind nicht weit gekommen, also in Bezug darauf, etwas gemeinsam zu tun. Denn – so sehen wir das – da gibt es noch etwas Anderes, Übergeordnetes. Aber die ganze Wucht der Institution saß am Tisch. Die Wucht der Institution der Albertina als eines der Aushängeschilder der kulturellen Repräsentation Österreichs.

Haben die Leiterinnen der Kunstvermittlung darüber gesprochen, wie sie mit solchen Werken und Texten umgehen?

L: Die Vermittlerinnen haben erzählt, dass sie z.B. für die Schulklassen gewisse Bilder auf ihren Führungen auslassen. Das finde ich interessant. Es gibt also schon ein Gefühl dafür, dass irgendwas nicht passt. Wieso will ich die Bilder dann eigentlich Erwachsenen zeigen? Was steckt denn hinter den Bildern, dass ich finde, die sind nicht jugendfrei? Das könnte man sich auch mal fragen. Weil diese Bilder und ihre Einbettung ja auch mit uns Erwachsenen ganz viel machen.

Die Kurator*innen und Vermittler*innen solcher Ausstellungen benötigen schon eine feministische Einschulung …

L: Was sind das für Versatzstücke aus Sprache, was sind Täterstrategien oder Täterinnenstrategien, was wird da transportiert? Was passiert mit den Auslassungen? Es wäre natürlich gut, eine Einschulung zu diesen Themen zu machen, aber nicht nur zum Thema sexualisierte Gewalt. Denn es gibt nicht nur eine feministische Kunstkritik, sondern viele Achsen der Kunstkritik. Ich nehme an, dass es viele Einschulungen zur Kunstgeschichte und Ästhetiken gibt und vielleicht weniger bis gar nichts zum Thema Normierung von Körpern, von rassistischen Strukturen, von kolonialen Blickregimen und von Heteronormativität usw. Da gibt es viele Achsen, was da alles transportiert wird. Wir als Selbstlaut versuchen aus unserem Feld die Verschränkungen von verschiedenen Gewaltsachsen zusammenzudenken, was mehr oder weniger gelingt und oft auch nicht gelingt. Oder wir werden selber von anderen darauf etwas aufmerksam gemacht, was wir alles übersehen. Ich würde das bei einer Institution, die die Öffentlichkeit anspricht und mitformiert, sehr wünschenswert finden.

Was ist eure weitere Vorgehensweise mit oder ohne Albertina?

M: Von den Leiterinnen der Kunstvermittlung, die sehr offen waren, gab es Überlegungen zu möglichen Kooperationen. Da sind wir noch im Gespräch. Auch aus diesem Konflikt mit der Albertina entstanden ist eine Einladung des Instituts für das künstlerische Lehramt (IKL) an der Akademie der bildenden Künste bei dem Symposium Sex and Visual Culture, einen Workshop zum Thema Sexuelle Ausbeutung von Kindern thematisieren. Perspektiven der Präventionsarbeit auf Kunst und Ausstellungen zu halten.


Lilly Axster ist Theaterregisseurin und Autorin. Maria Dalhoff ist Mediatorin und Traumapädagogin. Beide arbeiten beim Verein Selbstlaut.

Die Ausstellung Egon Schiele in der Albertina: 22. 2. – 22. 6. 2017

Der Ausstellungskatalog: Johann Thomas Ambrózy und Klaus Albrecht Schröder (Hrsg.), Egon Schiele, Hirmer Verlag: Wien 2017.

Das Gespräch wurde am 25. September 2017 in Wien geführt und in Absprache mit den Teilnehmerinnen gekürzt und überarbeitet.