Bildpunkt: Es lässt sich behaupten, dass jeder Form von Politik ein populistisches Moment innewohnt, wenn man unter Populismus eine irgendwie geartete Orientierung am populus, dem Volk oder der Bevölkerung versteht. In der Kulturproduktion sind breite Zustimmung und milieuübergreifende Programmatiken nicht unbedingt relevante Kriterien. Aber auch in der Kunst und im Theater gab es immer didaktische Praktiken, die sich insofern als populistisch bezeichnen ließen, als sie an der Vermittlung von Botschaften interessiert waren und sind. Ganz allgemein gefragt: Gibt es populistische Elemente in eurer Arbeit?
A.S.: Die Debatte um linken Populismus finde ich richtig spannend. In einem Interview mit der Tageszeitung Die Presse wurde mir einmal die Frage gestellt, ob Links populistische Politik macht. Meine damalige Antwort war, dass wir Populismus durchaus wichtig finden, nur nicht Populismus im Sinne von Verkürzen, Vorlügen und Vortäuschen, sondern als „populäre Politik“, also als das Kämpfen für und mit Menschen. Populismus oder besser populäre Politik liegt in meinen Augen nicht im Verflachen von Inhalten oder dem Bereitstellen platter Antworten auf komplexe gesellschaftliche Fragen.
A.W.-D.: Orientierung an der Bevölkerung? Ja absolut! Kunst(-prozesse) sind aktuell nur für einen Bruchteil der Bevölkerung von Relevanz und es gilt hier einen Wendepunkt einzuläuten, so dass Teilhabe an Kunst für breite Teile der Bevölkerung der (diversen) Stadtgesellschaft möglich wird. Und zwar auf allen Ebenen: auf der Bühne, im Publikum, in den Leitungsebenen der Häuser, in der Fördervergabe. Das bedeutet auch neue Perspektiven bisher marginalisierter Künstlerpositionen in den Werken, neue ästhetische Erfahrungen, Ko-Kreation, Transdisziplinarität und Mehrsprachigkeit.
Bildpunkt: Anne, du arbeitest als Schauspielerin und bist in verschiedenen kulturpolitischen Belangen aktiv. In deiner aktuellen Produktion geht es um das Buch weiter leben von Ruth Klüger. Lässt sich diese Arbeit als Popularisierung von Erinnerung beschreiben?
A.W.-D.: Wir sind ja jetzt alle genau an dem Wendepunkt, an dem fast keine Zeitzeug*innen mehr leben und die Nachgeborenen und Kriegsenkel*innen sich Wege suchen (müssen!), die Erinnerungen weiter leben zu lassen. Theater ist für mich die tiefgehendste Form der Auseinandersetzung mit Wachsamkeit und das Gegenteil von Verdrängung. Es geht in dieser Theaterarbeit letztlich um das heutige Verhandeln der Erinnerung; auch vor dem Hintergrund der Auseinandersetzung mit Flucht heute. Diese aktuellen Bezüge werfen die unbequeme Frage auf: Von was sind wir heute Zeug*innen, was tun wir dagegen, was lassen wir zu?
Bildpunkt: Anna, die Partei Links, für die du zu Wahlen antrittst, ist u.a. aus den Donnerstagsdemos gegen die ÖVP-FPÖ-Regierung hervorgegangen. Sie positioniert sich stark im Kampf um leistbares Wohnen, gegen die restriktive Migrations- und Flüchtlingspolitik und für fair bezahlte Arbeit. Diskutiert ihr populistische Strategien der Vermittlung eurer Politik?
A.S.: So wie ich populäre Politik verstehen und anwenden will, nimmt sie auf die realen Lebenssituationen von Menschen Bezug, klärt auf, knüpft an ihre Sorgen und ihren Zorn an. Und sie verliert nicht aus den Augen, wie Positionen vermittelt und formuliert werden können, um für Menschen lebensnah, greifbar und verständlich zu bleiben. Das alles, ohne auf die Radikalität linker Antworten auf die Probleme unserer Zeit zu verzichten, ohne sie abzuschwächen, um gefällig zu sein.
Bildpunkt: Rechts- und Linkspopulismus werden gerne in einen Topf geworfen. Die Unterschiede sind aber in der Regel gewaltig: Während linkspopulistische Ansätze soziale Gleichheit fördern und Repräsentation ermöglichen wollen, definieren Rechtspopulismen das „Volk“ immer sehr eng, sind ausgrenzend und antipluralistisch. Sie teilen wohl eine fragliche Entgegensetzung von „Volk“ auf der einen und „Elite“ oder „Establishment“ auf der anderen Seite. Wie zieht ihr die Trennlinien, wie lässt sich ein Kippen linkspopulistischer Ansätze und Strategien nach rechts vermeiden?
A.S.: Natürlich wollen linke und rechte Ansätze diametral entgegengesetzte Dinge. Die Gemeinsamkeit des rechten Populismus und linker populärer Politik ist nur ein vermeintlicher: Beide stellen einen Gegensatz zwischen unten und oben ins Zentrum der Politik. Das heißt auch, mächtige Eliten zu kritisieren. Wir leben in einer extrem ungleichen Gesellschaft, in der Macht, Geld und Einfluss in den Händen weniger Menschen konzentriert sind. Das auszusprechen und zu sagen, dass dagegen gekämpft werden muss, ist richtig und wichtig. Da endet aber auch schon die Gemeinsamkeit. Denn erstens sind Rechtspopulist*innen ja selbst Teil der Eliten. Und zweitens reden sie zwar gern gegen „die da oben“, treten in ihrer Politik aber nach unten. Wir machen Politik gegen mächtige Eliten. Nicht, weil wir selbst eines Tages welche werden wollen, sondern weil wir die Ungleichheiten abschaffen wollen. Deswegen kann linke populäre Politik nur eine sein, die gemeinsam mit jenen entsteht, die von Ungleichheiten betroffen sind und dagegen aufbegehren.
A.W.-D.: Es gilt weiter: Lebe, liebe, lache, kämpfe! Solange es gelingt, kommerzielle Belange aus dem eigenen Tun zu verbannen, Hierarchien kritisch reflektiert werden und die eigene Macht nicht missbraucht wird, besteht auch keine Gefahr zu kippen. Das Arbeiten in (Kunst-) Räumen, die die Pluralität leben und anerkennen, ist dabei für mich die Ausgangsbasis. Reflexion, Zuhören und die eigenen Institutionen begreifen als lernende Systeme, auch in Bezug auf weiße Flecken. Dennoch interessieren mich in meiner Arbeit insbesondere die Schnittpunkte, in denen ein allseitiger Perspektivenwechsel stattfindet und Brücken entstehen. Das heißt Mut zum Verlassen der „eigenen Welt“ und in der Kulturarbeit letztlich die Chance zu einer Transformation von Tradition.
Bildpunkt: In einer komplexen Welt braucht es manchmal vereinfachende Erklärungen, um die Orientierung nicht zu verlieren. Derzeit allerdings scheinen sich Vereinfachungen im gesamten politischen Spektrum in Verschwörungsvorstellungen zu übersetzen. Wie ist dem zu begegnen?
A.W.-D.: In den Wald gehen und Atmen. Weg vom Überfluss an Reizen. Körperarbeit. Und: Räume schaffen, in denen Menschen zur Ruhe kommen können und sich im Gemeinsamen willkommen erleben. Es braucht Orte ohne Zuschreibungen, in denen Individuen mit sich selbst und anderen Menschen in Fokus, in gelungene Beziehungen und Resonanz treten können. Vor dem Hintergrund struktureller Ungerechtigkeit muss dabei fortwährend ein Augenmerk auf den Handelnden, dem Inhalt und der Form liegen. Die Kunst bietet hierfür viele Gelegenheiten, insbesondere dann, wenn Menschen diese nicht nur rezipieren, sondern selbst zu Akteur*innen werden.
A.S.: Verschwörungsideologien werden historisch immer dann stark, wenn es (a) schwere gesellschaftliche Krisen oder dramatische gesellschaftliche Entwicklungen gibt und (b) keine starken politischen Kräfte, die diese Krisen und Entwicklungen nachvollziehbar erklären und mit positiven Vorschlägen verbinden können. Das ist gerade der Fall. Die bürgerlich-liberale Mitte ist gerade weder in der Lage zu erklären, was passiert, noch Verbesserung und Sicherheit zu versprechen, wie sie es noch in den 1970er Jahren konnte. Und die Linke ist kaum dort präsent, wo die Menschen ihre Informationen erhalten: Nicht in Massenmedien, kaum in Parlamenten, zu selten auf den Straßen und noch weniger in Betrieben und vor der Haustür. Verschwörungsideologien sind aber, denke ich, nicht unbedingt Vereinfachungen. Wenn man genau hinhört, sind das total aufwendige, komplizierte Erklärungen. Man kann ihrer weiteren Verbreitung also auch nicht begegnen, indem man eigene Vereinfachungen entgegenstellt. Verschwörungserzählungen scheinen radikal zu sein, sie behaupten ja, die verborgenen Gründe und Wurzeln für die Übel der Welt zu erklären. Um gegen diese Behauptungen zu bestehen, müssen wir nicht einfacher, sondern noch radikaler sein, und zeigen, was die wahren Wurzeln von Ausbeutung und Unterdrückung, Ungleichheit und gefühlter Machtlosigkeit sind.
Anna Svec studiert Rechtswissenschaften und ist Sprecherin der Partei Links.
Anne Wiederhold-Daryanavard ist Schauspielerin, Organisationspsychologin, Mitgründerin und Künstlerische Leiterin der Brunnenpassage Wien.
Das „Gespräch“ wurde im Februar 2021 von Sophie Schasiepen und Jens Kastner per E-Mail geführt.