Eine lebendige Struktur in Beziehung und Erfahrung

Unglaublich, aber wahr – die IG Bildende Kunst feiert 2021 ihr 65-jähriges Bestehen! An dieser Stelle möchten wir, Carla Bobadilla und Almut Rink, als aktuelle Vorsitzende ein tief empfundenes Dankeschön aussprechen. Unser Dank richtet sich an alle, die seit der Gründung der IG Bildende Kunst mit Liebe, Engagement und Leidenschaft vor allem in ehrenamtlicher Arbeit sehr viel Zeit investiert haben. Jahr für Jahr haben sich Künstler*innen im Vorstand und Mitarbeiter*innen – und darüber hinaus viele Mitglieder – engagiert, die Ideen und Gedanken der IG mitzutragen, umzusetzen und weiterzuentwickeln. Das Bewusstsein, auf den Schultern vieler „IG-Generationen“ zu stehen, Teil einer evolutionären Struktur zu sein, um der Stimme der bildenden Künstler*innen in Österreich mehr Gewicht zu verleihen, hat uns in den letzten Jahren vor und in der Pandemie getragen und viel Energie gegeben. Energie, um diese wichtige Arbeit – auch und gerade in der Krise – weiterzuführen und die IG zukunftsfit zu machen, damit sie weiterwachsen kann. Wir bauen auf auf fruchtbarem Boden, denn die IG ist bekannt und hat Kunst-Geschichte geschrieben – in Österreich und darüber hinaus. Zahlreiche Projekte und Ausstellungen, Demos und Papiere, Aufrufe und Appelle haben nicht nur die Verantwortlichen in der Kunst- und Kulturpolitik überzeugt, wichtige Änderungen vorzunehmen, sondern auch unsere Fördergeber*innen waren stets bemüht, unsere Tätigkeit finanziell zu unterstützen. Als Co-Vorsitzende für ein paar Jahre die IG nach außen zu repräsentieren heißt, Wirksamkeit zu entfalten und eigene Erfahrungen einzubringen, aber vor allem dazuzulernen und selbst daran zu wachsen. Wir sehen unseren persönlichen Gewinn darin, der Arbeit von so vielen Künstler*innen näher zu kommen und Entscheidungen zu treffen, neue Ideen aufzubringen, Zukunftsperspektiven zu visualisieren und so lange und intensiv zu arbeiten, bis sie umgesetzt sind. Das macht Freude. Darin eingeschlossen sind Momente des Experimentierens und Ausprobierens, aber auch die des Scheiterns und des Nicht-Wissens – in denen das Lernpotential vielleicht besonders groß ist.

Die Menschen in der IG Wir sind gewachsen – und wir werden immer größer! Unser Mitgliederzahl war noch nie so hoch wie 2021 – 1.200 (mit Stand Ende November 2021)! Das zeigt uns: Wir werden gebraucht. Aber auch: Wir benötigen ausreichend Personalressourcen: genügend und fair bezahlte Mitarbeiter*innen, die alle notwendigen Schritte mit Engagement und Sachverstand einfordern, begleiten, organisieren und nach außen kommunizieren. Wir versuchen dafür eine sichere und offene Arbeitsumgebung zu schaffen, damit sich jede*r im Team mit der gesamten Breite ihrer/ seiner Fähigkeiten einbringen und entfalten kann. Um der wachsenden Größe Rechnung zu tragen, haben wir seit Juni 2021 eine Geschäftsleitung. Sabine Ofenbach, die wir für die IG gewinnen konnten, lenkt seit Sommer diesen Jahres die wirtschaftlichen und organisatorischen Geschicke der IG, sodass sich der Vorstand wieder mehr auf strategisch-inhaltliche Aspekte konzentrieren kann. Viele werden wissen, welche Entlastung diese Strukturänderung für den gesamten Verein bedeutet. Eine wichtige Säule der IG ist – auch und gerade nach 20 Jahren – Daniela Koweindl, unsere kulturpolitische Sprecherin, die besonders in den pandemischen Krisenwellen der letzten zwei Jahre ein Leuchtturm an Konstanz, Flexibilität und Engagement war. Es würde die IG Bildende Kunst ohne sie in dieser Form nicht geben. Im Vorstand arbeiten wir als Kollektiv. Gemeinsam mit Sheri Avraham, Eva Dertschei und Vasilena ­Gankovska teilen wir uns die Arbeit auf, je nach Interessen, Fähigkeiten und zeitlichen Ressourcen. Wir bringen nicht nur unsere diversen kulturellen Backgrounds mit, sondern auch eigene Arbeitsschwerpunkte und Skills ein, und somit ist auch der Vorstand selbst interdisziplinär. Darüber hinaus sind unsere Netzwerke divers, und so gelingt es uns, viele verschiedene Stimmen zu erreichen. Neben der organisatorisch-strategischen Arbeit setzen wir die einzelnen Vorhaben als selbstführende Teams in Arbeitsgruppen um, die eine flexible Neuverteilung von Rollen erlauben, je nach sich verändernder Situation. Diese Diversität, die sich auch in verschiedenen Standpunkten äußert, sehen wir als Ressource, die uns widerstandsfähiger macht. In der Arbeit hat sich gezeigt, dass die Aufteilung der Vorsitz-Funktion auf zwei Personen viele strukturelle, organisatorische und inhaltliche Vorteile hat, es gibt ein Korrektiv, menschlich und inhaltlich.

Den Raum halten Nicht nur reaktiv zu arbeiten, sondern vorausschauend zu gestalten, ist uns ein Anliegen, um das wir uns bemühen – in Richtung Professionalisierung, das gilt auch für den physischen Raum. Unsere Arbeit stellt vielfältige Anforderungen an den Standort: Er ist für die IG Veranstaltungsort, Arbeitsplatz, Ausstellungsraum, Büro, Servicestelle für Mitglieder, Co-Workingspace, Begegnungsraum, Lernraum und Labor. Im letzten Herbst gelang es uns mit Hilfe öffentlicher Förderungen nicht nur, unsere Räume in der Wiener Gumpendorfer Straße mit großem Aufwand gründlich zu renovieren und instand zu setzen, sondern auch, diesen Anforderungen besser gerecht zu werden: einen neuen Arbeitsraum einzurichten, einen barrierefreien Zugang zur Straße zu schaffen und einen Begegnungsraum für unsere Mitglieder einzurichten – mit einer kleinen Lounge mit Bibliothek. Eine Organisation ist in ständiger Bewegung und Erneuerung, der wir uns auch auf anderer Ebene stellen wollen: Unsere Zeitschrift Bildpunkt wird in den nächsten Monaten einem Relaunch unterzogen, um die wichtigen kunstpolitischen, aktivistischen und philosophischen Texte und Bildstrecken zu visionären Themen noch effektiver zu verbreiten und der IG damit auch inhaltlich als wichtiger Diskursstimme mehr Gehör und Gewicht zu verschaffen – auch über Österreich hinaus. In der Kommunikation über die Arbeit der IG nach außen sehen wir auch Potentiale. Mit einem neuen Auftritt in Social Media werden wir in Kürze unseren Beitrag leisten – für die Vernetzung Bildender Künstler*innen untereinander und mit anderen Netzwerkorganisationen. Die Mitgliederkommunikation und -verwaltung wird mit einer neuen Datenbank und einem News­letter modernisiert und erleichtert. Und wir bemühen uns, für die Zukunft eine dringend benötigte Stelle für die Öffentlichkeitsarbeit zu finanzieren. Ausstellungen in der IG und in Zusammenarbeit mit Partnerinstitutionen eröffnen auch in Zukunft die Möglichkeit, sowohl inhaltliche Schwerpunkte zu thematisieren als auch die Arbeit unserer Mitglieder sichtbar zu machen. Dabei ist die Zusammenarbeit mit dem AIR Residency Pogramm des Landes Niederösterreich ebenso Konstante wie die Fortführung unserer neuen Ausstellungsreihe IG Editionen, die Mitgliedereditionen ein Forum bietet und darüber hinaus neue Mitglieder einlädt, ihre grafischen Editionen in diesem Rahmen auszustellen. Im Frühjahr wird unser neuer Schwerpunkt Fokus: Senior Artist mit der Ausstellung alter_ n_ative eröffnet. Hier wollen wir die Anliegen der Künstler*innengeneration 50+ untersuchen und strukturelle Benachteiligungen und Klassismus im Kunstbetrieb – auch in Zusammenhang mit der so wichtigen Frage nach dem Arbeitsraum – diskutieren und daraus politische Forderungen ableiten. Auch wenn es noch ein weiter Weg ist, bis Honorare für bildende Künstler*innen überall selbstverständlich sind, wir bleiben dran und gehen im neuen Jahr mit den Honorarleitlinien auf Tour. Unsere Haupt-Kampagne Pay the artist now! geht also in die nächste Runde, in der es heißt: Verbreiten, Einfordern, Solidarisieren. Im Pilotprojekt Verein Vertrauensstelle gegen Machtmissbrauch, Belästigung und Gewalt in Kunst, Kultur und Sport ist die IG Bildende Kunst aktuell als Gründungsmitglied vertreten, um auch in der bildenden Kunst mitzuhelfen, weiße Flecken des Machtmissbrauches aufzudecken und einen Paradigmenwechsel in hierarchischen Strukturen zu unterstützen.

Organische Lebendigkeit Wir als Vorstand machen unsere Arbeit gern und versuchen, in Aufmerksamkeit und Präsenz Verantwortung zu übernehmen, in dem Wissen, wie viele Künstler*innen vor uns diese Arbeit mit Engagement, Überzeugung und Solidarität geleistet haben. Das Wort Organisation entspringt derselben Wortfamilie wie organisch in der Bedeutung von dienend, wirksam, praktisch. Mit dieser Intention bemühen wir uns, die IG Bildende Kunst organisch als lebendiges Wesen mit einem eigenen evolutionären Sinn zu sehen. Um die Fähigkeit, sich ständig zu verändern und herauszufinden, was jetzt funktioniert, zu stärken – und um diesen gemeinsamen Raum später an eine neue Vorstands-Generation zu übergeben.


Carla Bobadilla ist eine forschende Künstlerin. Ihre Arbeit konzentriert sich auf die Entwicklung von Kommunikations- und Vermittlungspraktiken, insbesondere in den Bereichen der postkolonialen Kritik und der Critical Race Theory.

Almut Rink, bildende Künstlerin, arbeitet und forscht – u.a. im öffentlichen Raum und mit unterschiedlichen künstlerischen Mitteln – zu Konzepten unseres Selbstverständnisses im Spannungsfeld von Individuum und Gruppe, Subjekt und Objekt.