„… der Reproduktion von Ausbeutungsverhältnissen im Kunstfeld ganz praxisnah begegnen …“

Re:Produktion im Gespräch mit Ricarda Denzer und Andreas Spiegl

Bildpunkt: In den Kunstwissenschaften hat es hinsichtlich der Fragen nach Rolle und Bedeutung der Reproduktion zwei wesentliche Schwenks gegeben: Zum einen wurden Reproduktionen nicht länger bloß als Abbilder und Kopien betrachtet, sondern als eigenständige, einer eigenen Ikonologie würdige Gegenstände bzw. Gegenstandsbereiche. Damit einhergehend wurde die Reproduktion auch anders gewertet, nämlich positiv. In Abkehr vom Paradigma Walter Benjamins, der in der Reproduzierbarkeit auch einen Verfall sah, wurden jetzt Qualitäten und Möglichkeiten betont. Eine Frage, die sich daran anschließt, wäre: Warum trägt die Aufwertung der Reproduktion nicht zu gesteigerten Reproduktionsmöglichkeiten für Künstler_innen bei? Also warum ist es nach wie vor nur einem kleinen oberen Segment innerhalb des künstlerischen Feldes vorbehalten, von der Kunstpraxis auch zu leben?

A.S.: Ich denke, man kann eine Beschreibung der Reproduktion kaum trennen von der Frage, was denn reproduziert wird, reicht sie doch historisch von der gesellschaftlichen Reproduktion innerhalb und außerhalb normativer Familienbilder über die Geschichte der Industrialisierung und ‚Massenproduktion’ bis hin zu Vervielfältigung eines Kunstwerks. Für letzteres gilt vor allem und noch immer die Frage nach dem Original, das auch dann beschworen wird, wenn es sich schon in seiner Herstellung der Vervielfachung und auch später möglichen Reproduzierbarkeit verschrieben hat. Symptomatisch dafür erscheint mir die Festlegung der Anzahl möglicher Vervielfachungen – von der Lithografie über die Fotografie bis hin zum Video. Die geringe Anzahl widersetzt sich der technischen Möglichkeit, um das Echo des einzigartigen Originals noch im ökonomisch rentablen Kompromiss der Auflage aufleben lassen zu können. Verbunden damit ist das Hier und Jetzt, die Spur historischer Zeugenschaft, die dann noch mit der Signatur authentifiziert und zertifiziert wird, als Echo einer Signatur des Subjekts, das die Echtheit und Einmaligkeit auch dann verbürgt, wenn es sich technisch gesehen um eine Reproduktion handelt. In diesem Sinne zielt die Frage nach der Reproduktion zeitgenössisch weniger auf das reproduzierte Kunstwerk sondern auf das Tabu der unantastbaren Urheberschaft.

R.D.: Geht es um Reproduktion im Sinne der Vervielfältigung, Verbreitung, Bekanntmachung und der Frage nach der Ideologie im Kunstbetrieb und die Frage, wie wirkt sich das auf die Arbeitsverhältnisse aus? Oder um die Frage nach der Reproduktion als Arbeitsleistung und Orten, an denen produziert wird? Wo wiederholen sich Ausbeutungsverhältnisse, wo passiert unbezahlte Arbeit? Steffi Parlow, eine Studentin der Akademie befragt in ihrer Diplomarbeit das Werk Tino Sehgals hinsichtlich einer kritischen Positionierung innerhalb des Marktes, einer nachhaltigen, ökonomischen Produktionsweise bei gleichzeitiger Reproduktion von postfordistischen Arbeitsstrukturen aufgrund der Erfahrungen der PerformerInnen und deren Arbeitsbedingungen. Es ist eben wichtig zu fragen: Was wird reproduziert? Selbst bei Ausstellungen in etablierten Institutionen, aber auch bei Projektförderungen durch die öffentliche Hand, werden meist keine KünstlerInnenhonorare bezahlt oder gefördert. Es wird nicht die Arbeitszeit, das Wissen und die Leistung, die eine Künstlerin, ein Künstler in den Ausstellungs- und Kunstbetrieb mit einbringt honoriert, sondern es wird von ihnen erwartet, als UnternehmerInnen zu agieren, bei der Produktion in Vorleistung zu gehen, und in den eigenen „Betrieb“ zu investieren und den Markt für verkaufbare Objekte zu interessieren.

Bildpunkt: Eine der zentralen Fragen dieser Ausgabe lautet: Gibt es auch eine politische Verbindung zwischen dem Begriff der Reproduktion in der Kunst(wissenschaft) und jenem in der Gesellschaft bzw. den Sozialwissenschaften? Eine Verknüpfung könnte, ganz allgemein gesprochen, in der Tatsache liegen, dass keine Art der Wiederherstellung durch Apparate – seien es technische Maschinen oder staatliche Institutionen – einen originalen Zustand exakt erneuern kann. Es finden immer Abweichungen statt, leichte Verschiebungen, die die „reine“ Reproduktion stören. Seht ihr in solchen Störmomenten Potenziale? Oder sollte man eher skeptisch sein – gemäß dem Titel eines u.a. von Sabeth Buchmann herausgegebenen Buches zum Thema: Wenn sonst nichts klappt: Wiederholung wiederholen – und auf Loops nicht groß setzen?

R.D.: Das Hier und Jetzt, der einmalige Moment, der Aufführungsort und das Publikum als Bestandteil der Werke spielt gegenwärtig gerade wieder in der performativen Kunst eine zentrale Rolle. Es werden die Reproduktion und die Einmaligkeit des Vorkommens gleichzeitig verhandelt. Welche Bedeutung hat hier das Original zur Kopie und umgekehrt? Die Beschäftigung mit Geschlechterrollen und Identitätspolitiken ist ein zentrales Thema in vielen künstlerischen Werken. Wo wiederhole ich eine Rolle und wie komme ich da raus? Künstlerische Strategien und Werke, die die Ökonomisierung der Arbeits- und Produktionsverhänisse zum Thema haben, sind Beispiele, die der Reproduktion von Ausbeutungsverhältnissen im Kunstfeld auf je eigene Weise ganz praxisnah begegnen.

A.S.: Es war gerade Walter Benjamin, der in seinem Aufsatz über Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit das gesellschaftspolitische Moment der Reproduktion, die mit einer Multiplikation und Maximierung der Erreichbarkeit einhergeht, betont hat. Sein Versuch bestand darin, explizit Begriffe in einer Kunsttheorie einzuführen, die „für die Zwecke des Faschismus vollkommen unbrauchbar sind. Dagegen sind sie zur Formulierung revolutionärer Forderungen in der Kunstpolitik brauchbar.“ In diesem Sinne war das eine antifaschistische Schrift, die mit der Reproduktion vor allem eine Reproduzierbarkeit des Rezeptionsverhaltens verband, wenn man so will eine Gleichschaltung aufseiten des Publikums. Und die Kritik daran ist seitdem nicht verstummt, im Gegenteil. Wichtig wäre nur, die alte Dialektik zwischen Produktion und Rezeption in Frage zu stellen, mithin die Reproduzierbarkeit eines hegemonialen Musters, das die Reproduktion gerne in der Technologie lokalisieren würde und nicht im sozialen Umgang mit dieser.

Bildpunkt: Fragen zur (Um)Verteilung und Wertschätzung von Reproduktionsarbeit und affektiver Arbeit haben in den letzten Jahren zumindest in politisierten Kreisen wieder Aufschwung erhalten und werden auch in künstlerischen Arbeiten verhandelt. Im alltäglichen Leben von Künstler_innen scheint jedoch noch immer eine Haltung vorzuherrschen, die vor allem bei Frauen „Kinder kriegen“ mit „Karriere aufgeben“ gleichsetzt – und das auf allen Seiten. Habt ihr jenseits der materiellen Schwierigkeiten, die die Verbindung Kunst und Kind mit sich bringt, Erklärungsansätze für die ideologischen Grundlagen, auf denen diese scheinbare Ausschließlichkeit speziell im Kunstfeld aufbaut?

A.S.: Ich denke, die Frage berührt noch immer und genauer: schon wieder die Differenzierung von Privat und Öffentlich. Die emanzipative Problematisierung dieser Differenz, die Virulenz dieser Trennung, kehrt unter umgekehrten Vorzeichen zurück. War es zuerst die falsche Privatisierung unter postfordistischen Perspektiven, ist es nun eine Privatisierung durch die öffentliche Zurückweisung von Agenden, für die sich Staatspolitik einst verantwortlich wähnte. Das sukzessive Delegieren an die Mechanismen des Markts bedeutet nur die Perversion einer politischen Verwandlung von grundrechtlich autonom gefassten Menschen in ‚Selbständige’, ohne sich für die mitproduzierten ökonomischen Macht- und Abhängigkeitsverhältnisse verantworten zu müssen. Die Konsequenz ist das Paradoxon einer Privatisierung des Politischen, das sich wieder im Branding von politischen ‚Persönlichkeiten’ verkörpert, quasi ‚zurechtsrückt’. Und zur Frage nach dem Kind: Die Ökonomisierung des Kindes, die mit der Frage, ob Kinder ökonomisch verträgliche und damit karrieretaugliche Lebenspartner sind oder nicht, verbunden ist, reproduziert nur diese Ökonomisierung. Aus der Perspektive eines Vaters würde ich sagen: Kinder rechnen sich nicht und das ist die einzige Hoffnung, die ich habe, sie damit grundsätzlich vor jeder Berechenbarkeit zu schützen.

R.D.: In der künstlerischen Praxis gibt es da Paradoxien. Es gehört zur künstlerischen Arbeit, auf die Welt zuzugreifen und Dinge die man vorfindet, neu zusammenzusetzen, zu samplen, zu montieren, zu collagieren und etwas zu kreieren, das es so vorher nicht gab. Es kann natürlich auch etwas Befreiendes haben, nicht immer originell sein zu müssen. Dem gegenüber stehen die Marktmechanismen, die einfordern, das eigene Tun abzuheben, aufzuwerten, messbar zu machen bei gleichzeitigem Bedürfnis, der Geschwindigkeit der Verteilungs- und Verbreitungsmaschinerien, der Überforderung an Information und der Tatsache, dass alles als Ware schon gleich überall ist oder schon existiert, etwas entgegen zu setzen. Als freischaffende Künstlerin, oder Künstler, hat man oft das Gefühl, sich ständig neu erfinden zu müssen, da die meisten ohne finanzielle Sicherheiten leben. Das alles ist mit Kind nicht so einfach zusammen zu denken, weil jegliche Planbarkeit nur extrem kurzfristig wenn überhaupt möglich ist. Künstlerische Arbeit wird auch gelegentlich als etwas Grenzgängerisches gesehen. Das Übergreifen und Überschreiten, Ungehorsam oder das Scheitern sind Bestandteile künstlerischer Prozesse. Alles Begriffe, die auch bei Kindern oder Jugendlichen eine Rolle spielen können. Künstlerin und Mutter zu sein, habe ich aber nie als Widerspruch gesehen. Mein Leben mit meinem Sohn hat mir da eher geholfen es zu vermeiden, in einer Kunstblase zu leben. Es hat mir noch genug Distanz ermöglicht, um nicht immer alles so wichtig nehmen, was da in dem Feld ständig so selbstverständlich gefordert wird.

Bildpunkt: Das Recht auf Reproduktionen und ihrer Nutzungen wird nun schon jahrelang unter dem Stichwort „Urheber(_innen)- rechtsdebatte“ diskutiert. Was scheinen euch wichtige und produktive Argumente in der Diskussion, welche Positionen haltet ihr für angreifenswert?

R.D.: Ich denke, es ist wichtig, die einzelnen Arbeitsfelder in der Kunst differenziert zu betrachten. Mich selbst interessiert das Zusammenspiel von Ideen, die Handlungsmöglichkeiten ergeben, wo sowohl etwas beigetragen, als auch entnommen werden kann. Das ist ein Ansatz der Creative Commons (CC), die durch eigene CC-Lizenzen auch freien Zugang zu Kulturgütern ermöglichen, die sich kleinere, selbstorganisierte Plattformen sonst oft gar nicht leisten könnten. Es gibt künstlerische Produktionen, die damit arbeiten, von anderen aufgegriffen zu werden, um sie weiter zu verwenden oder sogar weiter zu entwickeln.

A.S.: Die Fragen nach der Urheber_innenschaft und den entsprechenden Verwertungsrechten folgen den Verschiebungen, die mit der Ökonomisierung implizit verbunden sind. Tendenziell steht dahinter das Verlangen, in dem gesamten Prozess von der Idee bis zur Rezeption ein ökonomisch verwertbares Kapital zu erkennen. Der Horizont impliziert aber neben den möglichen Einkünften auch die Spiegelung in den Kosten für jegliche Produktion, die sich sukzessive auf die Bezahlung sämtlicher Ressourcen einstellen wird müssen. In diesem Sinne expandiert der einstige Material – begriff radikal und bindet die mögliche Auseinandersetzung mit jeglichem Material an die Frage der Finanzierbarkeit der Auseinandersetzung mit diesem. D.h. die in diesen Prozess eingeschriebenen Machtstrukturen skizzieren eine Konsequenz für die Möglichkeit jeglichen Umgangs mit Material, wenn man so will: Konsequenzen für die Möglichkeit von Kritik selbst. Was dann bleibt, ist eine Feudalisierung von Kritik.


Ricarda Denzer ist bildende Künstlerin, Senior Lecturer an der Universität für Angewandte Kunst und Vorsitzende der IG Bildende Kunst.

Andreas Spiegl lehrt Medientheorie am Institut für Kunst- und Kulturwissenschaften an der Akademie der bildenden Künste Wien.

Das Gespräch wurde im April 2014 von Sophie Schasiepen und Jens Kastner per E-Mail geführt.