Wer als Kunstschaffende/r aus einem Drittstaat[1] aus beruflichen oder privaten Gründen nach Österreich migrieren und dauerhaft hier bleiben will, dem bzw. der legt das Fremdenrecht Steine in den Weg. Doch bei näherer Betrachtung von europäischem Recht ist eine Änderung angezeigt. Während einige wenige KünstlerInnen die österreichische Staatsbürgerschaft durch Einbürgerung im Interesse der Republik erhalten konnten, drängt das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz[2] die Mehrzahl der KünstlerInnen in einen prekären Aufenthaltsstatus. Weist ein/e sogenannte/r Fremde/r ein regelmäßiges Einkommen durch Ausübung einer überwiegend künstlerischen Tätigkeit nach und belegt, dass er/sie über einen umfassenden Krankenversicherungsschutz sowie einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft verfügt, so kann ihm/ihr die „Aufenthaltsbewilligung Künstler“ für zwölf Monate erteilt werden. Liegen diese Voraussetzungen weiterhin vor, so kann dieser Aufenthaltstitel jeweils für zwölf Monate verlängert werden. Allerdings ist die Bewilligung an die Ausübung der künstlerischen Tätigkeit gebunden und gilt per se nicht als Niederlassung[3] im Sinne des Gesetzes. Dadurch wird KünstlerInnen die Aufenthaltsverfestigung und damit verbundene soziale Rechte vorenthalten. Denn der Erwerb eines dauerhaften Aufenthaltsrechts – des Titels „Daueraufenthalt EU“ – ist laut Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz nur für zur Niederlassung berechtigte Drittstaatsangehörige möglich und schließt somit alle InhaberInnen einer Aufenthaltsbewilligung aus. Doch das war nicht immer so.
Verwaltungsgerichtshof: KünstlerInnen, die vor 2006 niedergelassen waren, darf der Daueraufenthalt nicht verwehrt bleiben
In den letzten zwei Jahrzehnten wurde die Rechtsstellung von drittstaatsangehörigen KünstlerInnen mehrmals restringiert. Die Einführung der „Aufenthaltsbewilligung Künstler“ mit dem Fremdenrechtspaket 2005 stellt dabei eine besondere Zäsur dar, denn damit wurden auch bis dahin niedergelassene KünstlerInnen auf eine zweckgebundene Aufenthaltsbewilligung rückgestuft und somit von der Erlangung eines Daueraufenthaltstitels ausgeschlossen. 2009 lag es am Verwaltungsgerichtshof[4] diese Schlechterstellung teilweise zurückzunehmen. Er erklärte, dass bisher rechtmäßig niedergelassenen Fremden, bei weiterem Bestehen ihrer tatsächlichen Niederlassung, auch die Möglichkeit einzuräumen ist, den rechtlichen Status der Niederlassung beizubehalten. Dadurch wurde zumindest für die vor Jänner 2006 niedergelassenen KünstlerInnen der Erwerb eines Daueraufenthaltstitels (wieder) ermöglicht. Für die Gestaltung des österreichischen Fremdenrechts ist primär die nationale Gesetzgebung unter Einfluss der Sozialpartnerschaft verantwortlich. Die Gesetze und deren Anwendung unterliegen der Kontrolle der nationalen Höchstgerichte des öffentlichen Rechts, des Verwaltungs- und Verfassungsgerichtshofs. Doch die Rechtsordnung wird zunehmend durch das Recht der Europäischen Union und dessen Auslegung, also der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs geformt und determiniert. Mit der Umsetzung der Richtlinie der Europäischen Union für langfristig aufenthaltsberechtigte Drittstaatsangehörige 2003/109/EG[5] wurde im nationalen Recht der Titel „Daueraufenthalt EU“ eingeführt und dessen InhaberInnen der Zugang zu umfassenden Rechten gewährt. Bedingung für die Erteilung sind fünf Jahre durchgehende rechtmäßige Niederlassung und die Erfüllung von Einkommens- und „Integrationsleistungen“. Neben der Aufenthaltssicherheit ist insbesondere der Rechtsanspruch auf Mindestsicherung und der Zugang zur Gemeindewohnung an den Titel „Daueraufenthalt EU“ gebunden.
Europäischer Gerichtshof: Auch KünstlerInnen muss die Möglichkeit zum Daueraufenthalt gegeben werden
Welcher Personenkreis von der Richtlinie 2003/109/EG umfasst ist, wurde in einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs näher ausgeführt. In der Rechtssache Singh gegen die Niederlande[6] hat der EuGH klargestellt, dass allein eine förmliche Begrenzung der Aufenthaltsgenehmigung nach nationalem Recht nicht einen Ausschluss aus der Richtlinie 2003/109/EG rechtfertigt. Insbesondere dann, wenn die befristete Aufenthaltsgenehmigung unbegrenzt verlängert werden kann und somit den/die Drittstaatsangehörige/n nicht daran hindert, in dem betreffenden Mitgliedstaat langfristig ansässig – sprich: niedergelassen – zu sein. Dieses Urteil macht auch in der österreichischen Rechtslage eine Adaption notwendig. Menschen mit bestimmten Aufenthaltsbewilligungen – wie der „Aufenthaltsbewilligung Künstler“ – muss die Möglichkeit gegeben werden, einen „Daueraufenthalt EU“ zu erwerben.[7] Die Judikatur des EuGH schlägt sich nun auch in der nationalen Rechtsprechung nieder. Letztes Jahr wurde einem drittstaatsangehörigen Künstler bei einem Beschwerdeverfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Wien[8] ein „Daueraufenthalt EU“ erteilt. Er berief sich auf die direkte Anwendbarkeit der Richtlinie aufgrund deren mangelhafter Umsetzung im nationalen Recht. Trotz der eindeutigen Rechtslage sieht die österreichische Gesetzgebung allerdings nach wie vor keinen Handlungsbedarf. So ist in der derzeit anhängigen Novelle des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes[9] wieder kein Umstieg von einer Aufenthaltsbewilligung auf den „Daueraufenthalt EU“ vorgesehen.
Österreichische GesetzgeberInnen sehen weiterhin keinen Handlungsbedarf. KünstlerInnen wehren sich auf rechtlicher Ebene.
Betroffene müssen sich also gedulden. Denn die – für die Ausstellung der Aufenthaltstitel zuständigen – Vollziehungsbehörden folgen der Rechtsansicht des Bundesministeriums für Inneres, welches das Urteil durch den Verwaltungsgerichtshof überprüfen lässt. Es bleibt abzuwarten, ob der Verwaltungsgerichtshof das Urteil des Landesverwaltungsgerichts bestätigt, oder (neuerlich) eine Auslegungsfrage an den Europäischen Gerichtshof stellt. Je länger die Gerichtsverfahren dauern, desto länger müssen die Betroffenen auf die Herstellung eines rechtskonformen Zustandes warten. KünstlerInnen bereichern nicht nur durch ihre Tätigkeiten die österreichische Kunst- und Kulturlandschaft, sondern sind Teil der österreichischen Gesellschaft. Sie bilden und beeinflussen diese mit, sie lassen ihre EhepartnerInnen und Kinder nach Österreich nachziehen oder gründen Familien hier. Neben Wohnsitz und Erwerbstätigkeit ist auch der Mittelpunkt ihrer Lebensinteressen in Österreich. Doch dies spiegelt sich in keiner Weise im Aufenthaltsrecht wider. Ein freier Arbeitsmarktzugang für KünstlerInnen und deren Familienangehörige, der Zugang zu sozialen Leistungen und ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht sind Grundvoraussetzungen auf dem Weg zu einer gelungenen „Integration“. Noch immer werden diese Rechte Menschen mit einer Aufenthaltsbewilligung auch nach zehn Jahren Erwerbstätigkeit in Österreich, steuerlichen Abgaben, Leistungen an die Sozialversicherung, Mitgestaltung der Kulturlandschaft und der Gesellschaft vorenthalten. Und das, obwohl nicht nur die Betroffenen selbst, sondern auch die Republik Österreich eindeutig von einer schnelleren „Integration“ von „Fremden“ profitiert. Ein dauerhaftes Aufenthaltsrecht gibt etwa KünstlerInnen einen größeren Anreiz in Österreich zu bleiben, ermöglicht längerfristige Projekte und eine intensivere kulturelle Beteiligung. Solange aber EntscheidungsträgerInnen diese Vorteile nicht anerkennen wollen, ist die Möglichkeit des Erwerbs eines dauerhaften Aufenthaltsrechts für KünstlerInnen in der Hand der Rechtsprechung. Bis zu einem höchstgerichtlichen Urteilsspruch ist der einzige Weg zu einem dauerhaften Aufenthaltsrecht die Einbürgerung nach sechs Jahren rechtmäßigen Aufenthalts. Voraussetzung dafür sind Deutschkenntnisse auf B2-, also Universitäts-Niveau, oder der Nachweis einer zusätzlichen „nachhaltigen persönlichen Integration“ z.B. durch die Ausübung eines dreijährigen ehrenamtlichen Engagements in einer gemeinnützigen Organisation.
Judith Hörlsberger ist Mitarbeiterin des Beratungszentrums für Migranten und Migrantinnen in Wien (www.migrant.at).
[1] Staaten, die nicht Vertragsparteien des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum- EWR sind, außer der Schweiz
[2] BGBl I Nr 100/2005
[3] Die Niederlassung ist der tatsächliche oder zukünftig beabsichtigte Aufenthalt im Bundesgebiet zum Zweck der Begründung eines Mittelpunktes der Lebensinteressen oder der Aufnahme einer nicht bloß vorübergehenden Erwerbstätigkeit. Sie ermöglicht den Erwerb eines Daueraufenthalts und somit erst eine nachhaltige „Integration“.
[4] VwGH 2008/22/0075 vom 14. 5. 2009
[5] Die Richtline 2003/109/EG des Rates vom 25. November 2003 betreffend die Rechtsstellung der langfristig aufenthaltsberechtigten Drittstaatsangehörigen trat am 26.11.2003 in Kraft und war von den Mitgliedstaaten bis zum 23. 1. 2006 umzusetzen.
[6] Rs C-502/10 EuGH vom 18. 10. 2012
[7] Denkbar wäre zum Beispiel die Inkludierung der Aufenthaltsbewilligung in den § 45 NAG.
[8] VGW-151/065/21215/2014 vom 1. 9. 2014
[9] Fremdenrechtsänderungsgesetz 2015: www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/ME/ME_000 92/index.shtml