Juli 2016 im Santa Mónica Kunstzentrum in Barcelona: schummriges Licht einer Ausstellung zu Revolutionen und Revolten, leises Gemurmel, ungewöhnliches Rumoren … Da sind Kinder, die herumpurzeln, jede Menge große und kleine Pölster, ein paar Spielsachen, Erwachsene sitzen im Kreis und reden. Die meisten Sachen, die herumliegen, sind Teil vom Kit de educación libre des Espacio Contrabandos, einer kulturellen Kooperative, die im Ravalviertel einen Raum mit Kinderzone haben.
„Wir wollen schauen, was ‚Sorgearbeit’ in unseren kulturellen Praxen bedeutet“, und zwar Sorge „als materielle und soziale Kondition, die uns alle betrifft, egal ob als Mütter, Väter, Geschwister, Kinder oder Kolleg_innen einer Initiative. Deshalb treffen wir uns hier informell, um Erfahrungen auszutauschen[…].“ So die Einladung zu dem Treffen. Es sollte um Sorge nicht als Konzept gehen, sondern als Erfahrung – in Bezug auf Kinder spezifisch. Das Treffen entstand im Rahmen des Interfícies Projekts mit der Idee, sich mitten in die laufende Ausstellung des baskischen Künstlers Fermin Muttutza zu setzen, als Kontrapunkt sozusagen: den verschiedenen dokumentierten Avant – garden entgegen sitzen als „retaguardia“ – als jene, die hinten werkeln und schaffen.
Im Sitzkreis sind kulturelle Vereine und Personen, die zum Kinderaufziehen im Kunstfeld Strategien entwickelt haben. Nicht unbedingt weil sie zu Sorge/Kinder als Thema arbeiten, sondern als Zusammenschlüsse, die Kinder mit einbeziehen. Das Reden im Kreis nimmt dementsprechend Form an, Leute zoomen mit ihrer Aufmerksamkeit rein und raus, kleine Stimmen quaken dazwischen, es gibt Pausen und Crescendos. Im Gespräch ging es vor allem um materielles und strukturelles, um Kulturpolitiken und Institutionen. „Wie kommt es, dass Kulturarbeiter_innen, die Kinder bekommen, in der Kunstszene plötzlich abjekt werden?“, fragt einer der Initiatoren des Treffens, Javier Rodrigo vom Verein Transductores. „Vor allem Frauen mit Kindern verschwinden schnell von der Bildfläche – Künstlerväter schaffen es eher, präsent zu bleiben.”
Dabei müsse man den Gender-Diskurs der Institutionen mehr herausfordern, so Javier. Manche haben zum Beispiel 18h statt 19h oder 20h als kinderfreundlichere Veranstaltungszeit eingeführt – das ist schon gut, aber wie wär‘s, wenn wir das tägliche Funktionieren des Kulturfelds so umstellen würden, dass Kinder da Platz haben? „Vereinbarkeit“ soll mehr bedeuten als zu einer Veranstaltung gehen zu können.
Immer wieder geht es darum, wie man „das Leben in den Mittelpunkt stellt“ – nicht die Arbeit. Das fordern in Spanien feministische Bewegungen in allen Lebensbereichen ein und das bedeutet eine große Herausforderung im Kulturfeld, wo Produktivismus und Selbstprekarisierung so eingefleischt sind. „Dafür müssen wir die romantische Idee der Sorgearbeit loslassen und über Konflikte und Widersprüche reden“, war sich das Treffen einig. Institutionen haben dabei eine sehr wichtige Rolle, dort wird zu dem Thema gerne geschwiegen, wenn es die eigene Praxis betrifft. Dabei sollte es ja gerade im Kunstbereich möglich sein, zu neuen Experimenten aufzurufen. Vor jedem Rufen kommt ein Murmeln.
Manuela Zechner ist Kulturarbeiterin und Forscherin.
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