Das Gute Leben für alle im Buch

Ausgehend von den „sozialen und ökologischen Verwerfungen jahrzehntelanger neoliberaler Vorherrschaft“ strebt der Sammelband Klimasoziale Politik an, Strategien und Konzepte für eine sozial inklusive und zugleich ökologisch nachhaltige Welt zu entwerfen. Um die ökologisch-soziale Krise in den Griff zu bekommen, müssen sich die politischen Kräfteverhältnisse im globalen Maßstab verschieben. In den 21 Beiträgen des Bandes werden Kritiken formuliert und Situationen durchgespielt, wobei sehr unterschiedliche Schwerpunkte wie etwa Handels- und Steuerpolitik, Wohnen, Ernährung und Mobilität gesetzt werden. Auf der Suche nach praktischen Konzepten des Buen Vivir zogen einige Aktivist*innen in einer Karawane durch sechs Länder Mittelamerikas und besuchten dort 17 Gemeinden, die in unterschiedlicher Art und Weise dem guten Leben verpflichtet sind. Deutlich wird in dem daraus entstandenen Buch vor allem, dass das Buen Vivir auch ein Effekt des Widerstands ist: gegen die Enteignungspolitiken der Mega-Konzerne, gegen die Privatisierung von Land, Wasser und Rohstoffen aller Art. Die in erster Linie von indigenen Gemeinden getragenen Vorstellungen des Buen Vivir bezeichnen dabei u.a. ein „Zusammenleben ohne Elend, ohne Diskriminierung und mit einem Minimum notwendiger Dinge“. Demokratische Selbstverwaltung, sorgsamer Umgang mit Land und Wasser, aber auch Tanz und Gespräche gehören dazu. Auch der linke Ökonom und ehemalige Energie- und Bergbauminister Ecuadors, Alberto Acosta, geht selbstverständlich von den von Indigenen geführten Kämpfen um das Buen Vivir aus. Er formuliert es aber zugleich als Vorschlag für ein Produktions- und Organisationsmodell, das auf globaler Ebene ein Leben in „Harmonie mit der Natur, Gegenseitigkeit, Relationalität, Ergänzung und Solidarität“ schaffen und gewährleisten soll. Indem Acosta betont, das Konzept des guten Lebens für alle stütze sich nicht allein auf indigene Traditionen, sondern auch auf andere Grundlagen, seien diese „nun ökologisch, feministisch, genossenschaftlich, marxistisch, humanistisch“, plädiert er auch für dessen Anschlussfähigkeit an andere Alternativmodelle. Solchen alternativen Utopien inklusive ihrer häufig praktischen Anwendungen geht Alexander Neupert-Doppler nach. In seiner sehr guten Einführung in die Geschichte des Ökosozialismus durchstreift der Sozialphilosoph fünf Jahrzehnte von Debatten und Politiken auf der Suche nach alternativen zur kapitalistischen Produktions- und Konsumtionsweise. Braucht es mehr Selbstverwaltung oder stärkere staatliche Eingriffe? Ist das Parlament überhaupt eine mögliche Bühne für antisystemische Forderungen? Hat Nachhaltigkeit den Wandel zum Sozialismus eher gebremst statt gefördert? Wie stehen Transformation und Revolution zueinander und wie Postwachstum und System Change? Fragen, die deutlich machen, dass heutige Bewegungen für Klimagerechtigkeit einen langen Vorlauf hatten. Auf die Kämpfe um Leben, Arbeit, Güter und Eigentum geht die Philosophin Eva von Redecker in ihrer Philosophie der neuen Protestformen systematisch ein. Die Feminismen aus Lateinamerika spielen mit ihrem „Begehren gegen die Verdinglichung“ darin eine immer wieder hervorgehobene Rolle.

 

Alberto Acosta: Buen Vivir. Vom Recht auf ein gutes Leben. München 2015 (Oekom Verlag).

Armutskonferenz/ ATTAC/ BEIGEWUM (Hg.): Klimasoziale Politik. Eine gerechte und emissionsfreie Gesellschaft gestalten. Wien 2022 (Bahoe Books), 3. Aufl.

Kollektive in Aktion (Hg.): Die Welt sind wir. Buen Vivir und die Verteidigung von Lebensräumen in Mesoamerika. Münster 2019 (Unrast Verlag).

Alexander Neupert-Doppler: Ökosozialismus. Eine Einführung.

 


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und ­unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien. www.jenspetzkastner.de