Das eine schließt das Andere nicht aus

Obwohl sich eine eingehende Beschäftigung mit dem Begriff der Intersektionalität noch immer fernab gesellschaftlicher Sphären unserer Dominanzkultur bewegt, so hat #BlackLivesMatter dennoch einen ersichtlichen Beitrag zur „Erleuchtung“ junger akademischer Kreise in Wien geleistet. Junge Progressive postulieren sich schon fast aus einem Automatismus heraus als „intersektionale Expert*innen“ für „intersektionale Angelegenheiten“ und, ah ja, manche arbeiten auch „intersektional“. Was heraussticht, ist eine prononcierte Wechselbeziehung zwischen performativer Allyship, Selbstprofilierung und einem unpassend geringen Grad der Betroffenheit. Denn wie kann es sein, dass Bücher verfasst und dementsprechend auch Lesungen, Workshops und Seminare über (De)Kolonisierung, globale Ungleichheit, Anti-Rassismusarbeit, feministische Aufklärungsarbeit und/oder FLINT*-Allyship (the list goes on) von Nicht- beziehungsweise marginal oder anders Betroffenen abgehalten werden?

Was hat es mit dem Paradoxon auf sich, Nicht-Betroffene als einzige in den Dienst der intersektionalen sozialen Gerechtigkeit zu stellen, indem den „Anderen“, um die es doch eigentlich geht, der logischen Konsequenz folgend die Expert*innenhaltung abgesprochen wird beziehungsweise sie gar nicht erst als solche anerkannt werden? Sind letztere nicht genau diejenigen, die endlich gehört werden sollten? Und mit „gehört werden“ ist keineswegs „ein Gehör verschaffen“ gemeint, denn bei diesem Ansatz ist ein Abdriften in alteingesessene, paternalistische Strukturen nur zu vorprogrammiert.

Wie bei vielen Auslegungen von (Pseudo)Aktivismus ist auch Intersektionalität nicht davor gefeit, in ihrer Performativität hängen zu bleiben. Es macht schließlich einen Unterschied, ob das Gesagte auch tatsächlich umgesetzt wird. Leider liegt es in der Natur des Begriffs, nicht einfach eine Blaupause zu sein, von der beliebig viele Kopien gemacht werden können. Tatsächlich gehört jede einzelne Situation darauf überprüft, ob sie ihrem selbstverliehenen Anspruch auf Intersektionalität durch Gesagtes – vor allem aber durch Handlungen – gerecht wird. Solch eine Überprüfung erfordert viele Zutaten, vor allem aber ein gutes Maß an (ehrlicher) Selbstreflexion sowie die Fähigkeit der eigenen sozialen Positionierung, ohne die ein Markieren der individuellen, in Raum und Zeit betonierten Zusammenkunft von Diskriminierungssträngen schier unmöglich ist. Ist man* am Ende des Prozesses der eigenen sozialen Verortung angekommen, so sollten mindestens zwei Fragen in jedem Fall noch gestellt werden: Intersektional, super, aber für wen eigentlich? Und: Stehen Betroffene im Einklang mit meiner Conclusio?

Wird der eigene Umgang mit intersektionalen Ansätzen nicht auf den Prüfstand gestellt, so hat das im besten Fall ein hastiges Augenrollen zur Folge, im schlimmsten Fall aber bedeutet es, die unbeabsichtigte Reproduktion und/oder Retraumatisierung von bereits mehrfach marginalisierten Personengruppen.


Daphne Nechyba (she/her) hat in Wien Transkulturelle Kommunikation studiert. Neben ihrem Masterstudium der Internationalen Entwicklung ist sie als freie Übersetzerin und Texterin tätig. Als Person mit erkennbarer Migrationsbiographie ist ihr Anti-Rassismusarbeit sowie die Bekämpfung anderer Diskriminierungsformen in Österreich ein großes Anliegen.