Dabei geblieben

Ein fast realistisches Gespräch über das ­Älterwerden als linke_r Aktivist_in

Ben: Es fällt einem schwer, in Würde alt zu werden. Alle, die gleichaltrig sind, fangen irgendwann an mit den Zwängen, und die Leute, die nachkommen, sind relativ jung. Ich glaube aber, dass es sich im Moment insofern geändert hat, als die radikale Linke nicht mehr davon profitieren kann, dass es Generationskonflikte und Jugend- und Protestbewegungen gibt. Das war in den Sechzigern, Siebzigern und Achtzigern so, aber in den Neunzigern war so ein Knickpunkt, da gab es keine linke Jugend- und Protestkultur mehr, und es wurde auch kein Generationskonflikt mehr ausgetragen. Das ist bis heute so.

Rehzi: Naja, die Frage ist doch, wie bin ich gegenüber dieser Gesellschaft unversöhnlich, ohne dass ich den jugendlichen Rebellionsgestus weiterführe?

Ben: Den würde ich gerne aufrechterhalten! Ich würde gerne mein ganzes Leben lang dieses Lebensgefühl der Achtziger, das ich damals zum Teil viel kritischer gesehen habe als heute, erhalten. Heute weiß ich erst, was für ein außergewöhnliches Lebensgefühl das war: Punk und unversöhnlich dem Staat gegenüber zu sein, nicht mit den Institutionen zu reden, Karriere abzulehnen, der bürgerlichen Kleinfamilie versuchen zu entkommen – das finde ich mittlerweile wieder total super.

Samira: Die Gruppe war das Politische, das war eine soziale Struktur. Mit der hast du alles diskutiert: deine Träume, deinen Stress, deinen Liebeskummer, alles Mögliche. Im Grunde war es ein Freundeskreis. Und wie es halt in jeder Familie so ist, gab es da auch fleißig Streit und Abgrenzung. Aber es gab auch die Versöhnung, und im Notfall stand man doch zusammen und näherte sich wieder an. Den Ansatz, dass das Leben politisch ist, haben wir sehr stark umgesetzt. Alles wurde geteilt. Daraus wuchsen auch revolutionäre Visionen, die wir im Hier und Jetzt im Alltag sowie im Kampf umzusetzen versuchten.

Franzis: Ich glaube, das Politisch-Dabeibleiben hat bei mir ganz zentral damit zu tun, dass ich mein Leben kollektiv im Rahmen einer Kommune organisiere. Ich würde sehr klar sagen, dass das Leben hier gut dafür geeignet ist, widerständig und politisch in Bewegung zu bleiben. Zum einen wegen der Infrastruktur im Haus, die es erlaubt, sich hier mit Gruppen zu treffen, Aktionsmaterialien zu produzieren oder zwischen Tür und Angel Absprachen zu treffen. Zum anderen wegen der alltäglichen Nähe. Das betrifft die Art und Weise, wie wir unsere politische Arbeit organisieren, aber es geht auch darum, dass die gesamte Kommune unsere Aktivitäten mitträgt. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die von uns praktizierte gemeinsame Ökonomie, was für die Einzelnen viel mehr Freiraum und Flexibilität bedeutet und Zukunftsängste nicht so schnell aufkommen lässt.

Knut: Es ist wichtig, dass man sich darauf verlassen kann, dass die alten Polithengste und -stuten nicht ins Nichts fallen, sondern dass die aufgehoben sind – was es nicht gibt. Das ist, glaube ich, ein Punkt des Aufhörens, dass viele Panik kriegen. Es geht nicht ohne Netz, und wenn man sich drauf verlassen könnte, kann ich mir vorstellen, dass es mehr Leute gäbe, die nicht in so langweilige Lebensentwürfe abdriften würden.

Mirko: Das Problem ist doch: die Leute steigen aus, weil sie sich anpassen! Weil es bequemer ist, weil man auch ganz gut leben kann in diesem System. Oder weil sie nach gesellschaftlicher Anerkennung gesucht haben. Oder Macht ausüben wollten. Ich kenne eine ganze Menge Leute, die Karriere gemacht haben in Unternehmen und in staatlichen Institutionen. Das Sein bestimmt das Bewusstsein. Wenn du gesellschaftlich woanders bist, beruflich Erfolg hast, dann bestimmt das dein Bewusstsein, da kannst du noch so kritisch sein gegenüber der Migrationspolitik oder den Geschlechterverhältnissen, du hast dich da angepasst. Du hast es gelernt, Macht auszuüben und deine Interessen durchzusetzen. Und das bleibt nicht ohne Folgen für dich als Person.

Massimo: Vielleicht ist es das konservative Moment des Älterwerdens. Wenn du dann plötzlich zehn Seiten an einer Sache siehst … du kannst, glaube ich, politisch nur handeln, wenn du die Dinge vereinfachst. Ich gehe zwar mittlerweile lieber gut essen als auf die nächste Demo, aber nicht, weil ich denke, das ist ja alles gar nicht so schlimm. Ich krieg immer mehr einen Hals, je mehr ich gucke, wie der Laden läuft. Es gibt kein Gefühl von Versöhnung. Also die Wut ist immer noch da. Worum es mir noch geht, ist selber nicht dumm zu werden und weiter ein bestimmtes kritisches Denken in den Raum zu pumpen, den Widerspruch offenzuhalten.

Clarissa: Viele denken ja, wenn wir mal Rente kriegen, dann machen wir etwas zusammen. Ich finde das schwierig, weil ich denke, es ist nicht so leicht, mit paarundsechzig einfach zu sagen: „So juhu, jetzt ziehen wir alle zusammen!“ Wir sind nicht mehr so, viele Auseinandersetzungen wollen wir doch gar nicht noch einmal erleben. Es ist zwar klar, dass da irgendwann ein Plan her muss, aber ich habe den jetzt auch noch nicht. Mir ist klar, das wird vermutlich irgendwann ein Problem. Und da spielt auch die Frage der Gesundheit nochmal eine andere Rolle. Natürlich würde ich das schon lieber mit Anderen gemeinsam oder kollektiver organisieren. Aber ich kann nicht einfach sagen: es gibt ja diese Hausprojekte, da gehe ich mit rein. Ich weiß doch gar nicht, ob das so einfach für mich wäre, mit vielen jüngeren Menschen, ihren Bedürfnissen, ihren Lebensplanungen und den Arten, wie sie ihren Abend beenden, zurechtzukommen.

Der Text ist eine Montage von Interviewabschnitten aus Rehzi Mahlzahn (Hg.): Dabei Geblieben. Aktivist*innen erzählen vom Älterwerden und Weiterkämpfen. Münster 2015 (Unrast Verlag).


Rehzi Malzahn ist Publizistin und Aktivistin im Kontext ­Strafabolitionismus und Restorative Justice und lebt zwischen Köln und Südfrankreich. Sie interessiert sich außerdem für das Mensch-Tier-Verhältnis und außer-europäische Weltzugänge. Ob sie selber „Dabei Geblieben“ ist, dessen ist sie sich nicht so sicher.