climate justice im Buch

Klimagerechtigkeit ist eine „Chiffre für die Notwendigkeit eines tiefgreifenden Wandels“, schreibt Verena Winiwater in ihrem Plädoyer für eine nachhaltige Zukunft. Unter relativ harmlos klingenden Überschriften wie „Daseinsfürsorge“ kritisiert sie koloniale Ausbeutung und plädiert für eine Politik sozialer Gleichheit, um sich schließlich für einen „Klimaverfassungskonvent“ einzusetzen. Die Klimaaktivismen sollten so auf „demokratisch-rechtsstaatliche Basis“ gestellt und die Politik am „psychozialen Wohlbefinden“ aller ausgerichtet werden. Milo Probst entwirft den „Umweltschutz der 99 Prozent“ nicht als Gemeinschaftsprojekt einer vermeintlichen Einheitsfront gegen die wenigen Superreichen, sondern als einen politischen Horizont, „den alle ansteuern sollten, denen nicht-ausbeuterische Beziehungen zu den Mitmenschen und der Umwelt ein Anliegen sind“. Das Buch lädt auf jeden Fall dazu ein, sich in diese Phalanx einzureihen, indem es ökologisch-anti-kapitalistische Traditionslinien aus der Geschichte der anarchistischen, feministischen und marxistischen Linken freilegt. Darin kommt unter anderem den „praktischen Solidarisierungen“ eine besondere Bedeutung zu, die sich im Spannungsfeld zwischen Arbeitsrechten und Umweltschutz immer wieder ergeben. Ebenfalls historisch und gendersensibel geht auch Elias -König in seiner Streitschrift für Klimagerechtigkeit vor: Selbst die Revolution in Haiti (1804) kommt vor, weil sie gezeigt habe, dass das Undenkbare nicht unmöglich und Rassismus und Kolonialismus keine Naturgesetze sind. Relevant ist das nicht zuletzt deshalb, weil die Klimakrise die „existierenden kolonialen und rassistischen Verhältnisse“ zu vertiefen drohe. Die überproportionale Betroffenheit von Frauen im Hinblick auf die KlimaUngerechtigkeit wiederum habe eine lange Tradition des feministischen Widerstands von den Sufragetten und dem Ökofeminismus der 1970er Jahre bis in die Gegenwart hervorgerufen. Ein sehr bewegungsnaher Reader ist auch das Buch der Gruppe Zucker im Tank. In vielen kurzen Texten kommen zahlreiche Initiativen selbst zu Wort und verdeutlichen Anliegen und Probleme ihrer Kämpfe um Klimagerechtigkeit. Dabei ist ein beeindruckendes Panorama von Bewegungen entstanden, das vor dem Hintergrund der Anti-AKW-Bewegung und der Umweltbewegung in der DDR heutige Wald- und Grubenbesetzungen gegen die Politik der fossilen Energiegewinnung beleuchtet. Klimaaktivismus wird dabei nicht nur als Widerstand begriffen. Einige Aktivist*innen beschreiben ihn etwa auch als temporären Raum, in dem „wir unsere Unzufriedenheit reflektieren und praktisch ausprobieren können, wie Zusammenleben anders funktionieren kann“. Unter den Bedingungen der Klimakatastrophe Kunst wie eh und je zu machen, beschreiben Isabelle Fremeaux und Jay Jordan als „extractivist art“, also als eine Form der Kunstproduktion, die wie der ökonomische Extraktivismus natürliche Ressourcen ausbeutet. Sie wenden sich gegen ein Kunstverständnis, dass auf kaum etwas anderes abgezielt habe als „representing the world rather than transforming it“. Letztlich im Duktus der klassischen Avantgarden plädieren sie dafür, mit der Kunst das ganze Leben zu verändern, denn wie das Leben verstanden und geführt würde, „will decide our future“.

 

Isabelle Fermeaux und Jay Jordan: We are ‘Nature’ Defending Itself. Entangling Art, Activism and Autonomous Zones. London 2020 (Pluto Press).

Elias König: Klimagerechtigkeit: Warum wir eine sozial-ökologische Revolution brauchen. Münster 2022 (Unrast Verlag).

Milo Probst: Für einen Umweltschutz der 99%: Eine historische Spurensuche. Hamburg 2021 (Edition Nautilus).

Verena Winiwarter: Der Weg zur klimagerechten Gesellschaft: Sieben Schritte in eine nachhaltige Zukunft. Wien 2022 (Picus Verlag).

Zucker im Tank (Hg.): Glitzer im Kohlestaub: Vom Kampf um Klimagerechtigkeit und Auto-nomie. Hamburg 2022 (Assoziation A).


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien. www.jenspetzkastner.de