Nach zwei Monaten, in denen wir uns alle distanziert voneinander mit unseren individuellen Prekarisierungen durch Einkommensausfälle, Wohnungslosigkeit oder fehlende Planbarkeiten beschäftigen mussten, traf es sich ausgezeichnet, dass der 1. Mai, an dem die Versammlungsverbote gelockert wurden, heuer wieder auf einen Mayday fiel. So versammelten sich in Wien rund 850 Teilnehmer_innen, ausgerüstet mit Masken und Transparenten, am Praterstern, um “Der Vereinzelung ‘nen Strich durch die Rechnung“ zu machen.
Arme hoch – Reiche runter hieß es auf den mitgebrachten Schildern und Grundrechte statt Angst. Auf vielen Transparenten war #LeaveNoOneBehind oder no one is safe until everyone is safe zu lesen, um auf die herrschende Lagerpolitik der Regierung aufmerksam zu machen. Während die Pandemie-Regelungen Menschenansammlungen im öffentlichen Raum untersagten, wurden geflüchtete Menschen nicht nur gezwungen, weiterhin in Sammelquartieren auf engstem Raum zu wohnen; es wurden sogar bestehende Quartiere zusammengelegt. In Traiskirchen reichten zwei Lagerbewohner_innen eine Maßnahmenbeschwerde gegen die vierwöchige Quarantäne und de facto Haft ein. Auch bei der Messe Wien, in der eine Massenunterkunft für evakuierte Geflüchtete eingerichtet wurde, gibt es laufend Proteste. Gefordert wird daher eine „dezentrale, sichere und menschenwürdige Unterbringung aller“.
Der Mayday endete am Rathausplatz, den ihm die SPÖ für dieses Jahr mit einem „Freundschaft“- Billboard überlassen hat. Anschließend fand am Heldenplatz eine 2-Meter-Abstand Demo für Kunst & Kultur statt. Kulturschaffende unterschiedlicher Sparten (Schriftstellerin Susanne Scholl, Schauspielerin Alina Schaller, Musiker Adam Wehsely-Swiczinsky u.a.) zeichneten ein düsteres Bild der heimischen Kulturszene und forderten: unbürokratische Soforthilfe für alle in Österreich lebenden und arbeitenden Künstler_innen; Abgeltung der durch die Corona-Krise entstandenen Einkommensverluste; Steuerbefreiungen. Ein bedingungsloses Grundeinkommen, nicht nur für Künstler_innen, wäre die logischste Lösung, wurde festgestellt.
Schließlich startete noch eine Fahrraddemonstration. Als sie sich nach einer Runde um den Ring in Kleingruppen aufteilte, wurden diese von der Polizei durch die inneren Bezirke gejagt. Die daraus resultierende Missachtung des gesetzlich vorgeschriebenen Mindestabstands wurde in Kauf genommen, um die Durchsetzungsfähigkeit der Exekutive während der Corona-Krise unter Beweis zu stellen. Es kam zu Verhaftungen, und die Polizei versuchte das abschließende Picknick im Prater großräumig einzukesseln. Trotzdem gingen viele, die sich am 1. Mai zum ersten Mal seit dem 8. März wiedergesehen haben, von diesem Mayday gestärkt mit dem Wissen, in dieser herausfordernden Zeit nicht alleine zu sein, auseinander.
Katharina Fritsch, Lisbeth Kovacic und Nicolas Schlitz sind Wissens- und Kulturarbeiter_innen. Sie waren im PrekärCafé aktiv, das in mehreren Jahren unter anderem den Mayday in Wien mitorganisierte.