Auf dem Laufsteg des Lebens

„Dieses Kleid würde euch hervorragend stehen“, frohlockt die Verkäuferin eines kleinen Wiener Übergrößenladens in unsere Richtung, während sie Ultramarin vom Kleiderständer zieht. Noch bevor wir unsere Betretenheit ausdrücken können, bimmelt die Türe und zwei weitere Kundinnen betreten den Laden. Während ich zwischen Stoffbahnen verschwinde, wird eine der beiden eingekleidet: ein bodenlanger Rock, eine wallende Tunika und ein Schlapphut in weiß-pink Kombi. Kurzum: Die Frau sah so scheiße aus wie sie sich fühlte. Obschon meine Freundin mittels Morsezeichen zu intervenieren versuchte, verließen wir den Laden mit dem fahlen Beigeschmack, dass diese Frau, die den Gesprächen nach zu urteilen bereits verzweifelt durch viele Geschäfte gezogen war, das besagte Outfit kaufte, sich in Folge auf Fotos des heran – nahenden Festes sehen und sich hassen würde.

Während in der Straight-Size-Mode schon lange über Themen wie Nachhaltigkeit und faire Arbeitsbedingungen gesprochen wird, wird oft darauf vergessen, dass es Menschen gibt, die überhaupt keine Wahl haben, über Nachhaltigkeit oder Trend zu entscheiden. Menschen wie diese Frau greifen zu der Mode, die in ihrer Größe verfügbar ist. Sich für Mode nicht zu interessieren, ist legitim. Es sollte aber nicht aus einem Mangel an Entscheidung und Sichtbarkeit (die finanziellen Möglichkeiten mal beiseite gelassen) herrühren und in Folge ein Gefühl produzieren, sich weniger als Mensch zu fühlen. Ich behaupte, dass (große) Straight Size-Modeketten nicht größer produzieren, nicht zwingend, weil sie es nicht könnten, ihnen die finanziellen Mittel oder DesignerInnen fehlten, die sich mit innovativen Schnittmustern auseinandersetzten (immerhin gibt es bis zu 24 neue Kollektionen pro Firma/Jahr). Sie produzieren nicht größer, weil Übergröße ein hochpolitischer, tabuisierter Bereich ist.

Sie unterstützen keine Plus Size-Mode oder -Events, weil sie schlichtweg Angst vor schlechter Publicity haben und dass ihre schlanken KundInnen mit dicken Menschen assoziiert werden könnten. Adipositas zu promoten macht eben keinen schlanken Fuß. Auch manch dicker Mensch ist überzeugt, dass es ihm wohl recht geschehe, wenn er nichts finde, denn man setze ja mit einem zu großen Angebot an großen Größen das falsche Zeichen. Menschen könnten ja animiert werden, noch fetter zu werden – was ein bißchen an die Logik des österreichischen Außenministers Alexander Schallenberg zum abgebrannten Flüchtlingslager in Moria erinnert.

Ungewünschte Körper sollen lieber unsichtbar gemacht oder wenigstens der Makel gesellschaftskonform kaschiert werden. Welcher seelisch geprügelte Fette, der sich zu viele Jahre in unpassende Kleidung gezwängt hat, mag schon in einem prachtvollen Outfit das Parkett betreten, das unter Umständen dazu führen könnte, im Mittelpunkt zu stehen. Stellen Sie sich doch einmal genau diesen Menschen vor, gekleidet in einem prächtigen Outfit, ausgestattet mit bequemen, stylischen Schuhen, der die Straße entlang spaziert, als wäre diese der Laufsteg seines Lebens. Ein Mensch, der es wagt, seinen wohlverdienten Platz einzunehmen.


Veronika Merklein liebt Mode, ist Fat Aktivistin und Kunstlerin und lebt in Wien.

Eine ausführliche Version dieses Textes findet sich hier (auch auf Englisch).