Welche Erfahrungen machen ältere bildende Künstler_innen im beruflichen Kontext? Was brauchen sie, damit das Älterwerden keinen Karriereknick bedeutet? Wie steht es um den Austausch zwischen verschiedenen Generationen von Künstler_innen?
Viele Förderungen und Ausschreibungen haben Altersgrenzen, oft ist mit 35 oder 40 Jahren Schluss. Dem Schlagwort der „Young Emerging Artists“ steht kein positiv besetztes Bild für ältere, erfahrene Künstler_innen gegenüber – außer wenn sie sehr erfolgreich sind. Und wie sich das Älterwerden auf die künstlerische Laufbahn auswirkt, hat nicht zuletzt mit dem Geschlecht zu tun.
Die Online-Umfrage „Senior Artists“ der IG Bildende Kunst wollte nicht nur Perspektiven bildender Künstler_innen auf das Thema Alter erheben, sondern dabei auch intersektionale Aspekte, also Verschränkungen verschiedener Positionen und Erfahrungen sichtbar machen: Wie unterscheiden sich Biografien von Künstler_innen, die früh im Leben mit der Kunst begonnen haben, von den Perspektiven derjenigen, deren Laufbahn erst ab 30, ab 40 oder ab 50 anfing? Welche Erfahrungen machen Künstler_innen, die keine akademische Ausbildung haben? Und was hat das wiederum mit dem Geschlecht, mit Care-Verpflichtungen, mit dem sozialen oder finanziellen Background zu tun?
260 bildende Künstler_innen haben den Fragebogen beantwortet. Rund 40% sind 60 und älter, 27% sind zwischen 50 und 59, 22% sind zwischen 40 und 49, die übrigen unter 40. Der überwiegende Teil (83%) stammt aus Österreich, 15% sind aus einem EU-Staat zugezogen, 2% aus einem sogenannten Drittstaat. 25 % der Befragten definieren sich als männlich, 72% als weiblich, insgesamt rund 3% als nicht-binär, trans und divers, niemand als intergeschlechtlich.
37% der befragten Künstler_innen haben Care-Verantwortung. Im Hinblick darauf, wie sich dies auf die künstlerische Arbeit auswirkt, gibt es deutliche Unterschiede in Bezug auf das Geschlecht: Nur für 13 % unter den Frauen und diejenigen, die sich als divers, nicht-binär und trans identifizieren, stellt die Care-Verantwortung keine Einschränkung für die künstlerische Arbeit dar. Bei den männlichen Teilnehmenden mit Care-Verantwortung ist der Anteil doppelt so groß.
„Früher war ich zu jung und unbekannt. Jetzt bin ich zu alt um gefördert zu werden.“
Auf die Frage, wo die Künstler_innen Ausschlüsse aufgrund von Altersgrenzen erlebt haben, werden Ausschreibungen mit Abstand am häufigsten genannt. Für 57% sind aufgrund des Alters bestimmte Förderungen nicht mehr zugänglich, Preise und Stipendien stehen mit je 54% an dritter Stelle, gefolgt von Residencies (35%). Selbst wo kein Höchstalter angegeben ist, müsse oft gleich zu Beginn der Bewerbung das Geburtsdatum angegeben werden. Nicht-lineare künstlerische Biografien seien im Fördersystem nicht vorgesehen, fasst ein_e Teilnehmer_in zusammen.
Auch ohne explizite Altersgrenzen haben viele Befragte Ausschlüsse erfahren: „Man hat mir klar und deutlich mit 45 gesagt, ich soll mir das Einreichen sparen.“ Mehrere nennen Galerien oder Museen, die ihnen zu verstehen gaben, dass sie jüngere Künstler_innen bevorzugen. Insbesondere Frauen* berichten über nachlassendes Interesse und Diskriminierung.
„Ich habe Ausschlüsse erlebt bei der Bewerbung zum Studium, erstens wegen Kind und zweitens wegen Alter.“
In vielen Antworten zeigt sich ein Zusammenwirken mehrerer Aspekte, die das Vorankommen im Kunstfeld erschweren. Wer Kinder großzieht oder das Studium durch Lohnarbeit finanzieren muss, ist beim Abschluss häufig älter als die Kolleg_innen. Wer durch die Herkunftsfamilie und das soziale Umfeld wenig Berührung mit Kunst und Kultur hat, beginnt nicht selten erst spät mit der Kunst – und ist bei der Ausbildung mit Ausschlüssen konfrontiert. In der Befragung sind Künstler_innen, die 30 oder älter waren, als sie ihre künstlerische Arbeit begonnen haben, zu fast einem Drittel Autodidakt_innen. „Ohne Studium wird man teils nicht erst genommen“, berichten einige, auch sei die Vernetzung schwieriger. Förderungen sind nicht nur oft auf Jüngere zugeschnitten. Mehrere Befragte kritisieren auch fehlende Möglichkeiten, Kinder mit auf Residencies zu nehmen: „Mir wurde erst jetzt bewusst wie Frau* sein und Mutter*schaft doppelt diskriminierend sind. Ich wünsche mir mehr familienfreundliche Residencies.“ Manche wünschen sich Artist-in-Residence-Programme speziell für alte Künstler_innen. Auch wer neben der Kunst einem Brotjob nachgehen muss, ist selten flexibel genug für längere künstlerische Aufenthalte.
„Ein bedingungsloses Grundeinkommen wäre eine gute Basis.“
Wir haben gefragt, was das Älterwerden als Künstler_in erleichtern würde. Mit 69% steht das bedingungslose Grundeinkommen hier an erster Stelle. Fast die Hälfte der Teilnehmer_innen wünscht sich Austausch von Kenntnissen mit Jüngeren. Für 41% ist eine Möglichkeit der Archivierung ihrer Arbeit wichtig, gefolgt von Mentoring für ältere Künstler_innen und Weiterbildungen zu digitaler Technik, sozialen Medien oder Portfolio. Je 21% sind der Ansicht, dass ein Wohnatelier oder altersgemischtes Wohnen das Älterwerden erleichtern würde. „Mehr Ausstellungsmöglichkeiten in guten Räumen,“ fügt ein_e Befragte_r der Liste hinzu. Auch brauche es „das Verständnis in der Gesellschaft, dass künstlerische Produktion nicht linear verläuft.“
„Ausstellungsarbeit (gut) bezahlen!“
Mit 77% stehen gezielte Förderungen für ältere Künstler_innen ganz oben auf der Liste kulturpolitischer Forderungen. Mehrere Kommentare erweitern dies um Atelierprogramme, manche führen als Grund die oft niedrigen Pensionen und die verbreitete Altersarmut bei Künstler_innen an, der es entgegenzusteuern gelte. 70% der Befragten möchten Altersdiversität zum Förderkriterium bei größeren Ausstellungen machen. 68% wünschen sich mehr Preise für Alters- und Lebenswerke. 22% fordern den Ausbau barrierefreier Räume und Angebote. Mehrfach schlagen Teilnehmer_innen anonyme Ausschreibungen und Wettbewerbe vor. Auch sollten die soziale Situation sowie Kinderbetreuungszeiten berücksichtigt werden. Ebenfalls oft genannt: die Vergütung von Ausstellungsbeiträgen oder „realistische Honorar- und Preisgestaltung“ – also Fair Pay. „Altersdiversität ist spannend“, fasst eine_r Teilnehmer_in zusammen. Manche Befragte wünschen sich Quoten, um dies zu erreichen – jedoch „kein Seniorenprogramm“, keine Nischen für ältere Künstler_innen.
„Tut euch zusammen und redet über Geld.“
„Was würdest du jüngeren Künstler_innen raten?“ lautete eine Frage zum Abschluss. Vielen Teilnehmer_innen ist die soziale Absicherung ein Anliegen: „Vergesst nicht, für eure Pension vorzusorgen.“ 57% der befragten Künstler_innen sind in der Pension nicht finanziell abgesichert. „Eine Pension beziehen, um dann in Ruhe Kunst machen zu können, davon sehe ich mich weit entfernt“, so ein_e Teilnehmer_in. Sich frühzeitig um die Dokumentation des eigenen Werks zu kümmern, ist ein weiterer häufiger Rat. Mit zunehmendem Alter wird unter den Befragten der eigene künstlerische Nachlass zum Thema. Nach ihren Strategien zur Vernetzung im Kunstfeld gefragt, geben die älteren Künstler_innen häufig Kollaborationen, Engagement in Vereinen und Künstler_innengruppen an. Viele würden gern ihre Erfahrungen an Jüngere weitergeben und sehen den Austausch zwischen Künstler_innen verschiedener Altersgruppen als produktiv an. Ältere Künstler_innen, besonders jene mit nicht-linearen Biografien, sollten sichtbarer werden und mehr Anerkennung erhalten, teilen mehrere Künstler_innen zum Schluss der Befragung mit, in Form von Berücksichtigungen bei Projektausschreibungen, Förderungen und Preisen, als Expert_innen und Kolleg_innen. „Aber nicht in dem Sinne, dass sie in der Kunstöffentlichkeit dann nur als Senior Artists präsentiert werden, sondern schlicht durch ihre Arbeit.“
1 Die Daten einer solchen Online-Umfrage sind nicht repräsentativ, aber geben einen guten Einblick in die soziale und Arbeitssituation älterer bildender Künstler_innen.
2 Rund 2% haben „keine Angabe“ gewählt. Es war möglich, mehrere Optionen für das Geschlecht anzugeben.
Jannik Franzen ist bildende_r Künstler_, Sozialwissenschafter_ und Trainer_ im Antidiskriminierungsbereich.