Die alternative Tageszeitung war spätestens dann nicht mehr alternativ, als sie regierungsnahe Positionen vertrat und Teile des sie lesenden Milieus eine militärische Intervention Deutschlands befürwortete: Als sich 1998 die rot-grüne deutsche Bundesregierung etablierte, war das auch das Ende der taz als alternative Tageszeitung. Denn alternativ kann nur sein, was sich vom Dominanten und Dominierenden abwendet, was sich in Form und Inhalt vom Gängigen und Gewohnten unterscheidet. Obwohl das sogenannte alternative Milieu der 1970er und 80er Jahre die grüne Regierungsbeteiligung ebenso wenig überlebt hat wie die eigene Perspektivlosigkeit und die allgemeine Verbürgerlichungstendenz, existieren nach wie vor eine ganze Reihe linker Medienprojekte, die sich das Adjektiv mehr als verdient haben. Alle hier ausgewählten Projekte erscheinen seit den 1970er Jahren – oder früher.
Seit 1968 berichtet die Zeitschrift des Informationszentrum 3. Welt in Freiburg iz3W über Kämpfe im globalen Süden, analysiert politische Entwicklung und spart auch theoretische Debatten keineswegs aus. Die Zeitschrift ist ein kaum wegzudenkener Bestandteil der trans- und internationalistischen Szene im deutschsprachigen Raum. Ebenfalls im transnationalistischen Spektrum sind die Lateinamerika Nachrichten zu verorten, die seit 1973 erscheinen und Politik und Kultur in Lateinamerika aus linker Perspektive kommentieren.
Seit 1972 vereint die Zeitschrift graswurzelrevolution Berichterstattung zu sozialen Bewegungen in den Bereichen Antimilitarismus und Klimagerechtigkeit mit Grundsatzfragen eines zeitgemäßen gewaltfreien Anarchismus. Die Zeitschrift ist ein zentraler Knotenpunkt von Bewegungsdebatten im deutschsprachigen Raum und zugleich eine unverzichtbare Quelle für Geschichte und Gegenwart anarchistischer Positionen in globaler Hinsicht. Die Direkte Aktion ist das Organ der anarchosyndikalistischen Freien Arbeiter*innen Union (FAU). Sie erscheint seit 1977, seit 2016 nur noch online, und ist im Wesentlichen globalen wie lokalen Arbeitskämpfen gewidmet. Unermüdliche Versuche, basisgewerkschaftliche Organisierungen zu forcieren und Analysen zu den sich verändernden Kämpfen und Streikbedingungen zu liefern, prägen das Projekt.
Eine der heute wohl einflussreichsten Zeitschriften der radikalen Linken ist analyse & kritik (ak), die 1971 als Arbeiterkampf gegründet und 1992 umbenannt wurde. In der „Zeitung für linke Debatte und Kritik“ finden strömungsübergreifende Diskussionen ebenso statt wie fundierte Analysen zu politischen Entwicklungen in aller Welt geliefert werden. Feministische Identitätspolitiken und neue Klassenkampfpositionen werden hier nicht zu Unvereinbarkeiten erklärt, linke Regierungskonzepte werden ebenso kritisiert wie libertär-sozialistische Bewegungen. Die Geschichte der alternativen Medien kann allein angesichts dieses mikroskopischen Ausschnitts also als durchaus lebendig bezeichnet werden. Dass sich die Ultrarechten seit einigen Jahren der Selbstbeschreibung „alternativ“ bedienen, um ihre ausgrenzenden Ressentiments gegen das angebliche Establishment zu verbreiten, sollte angesichts dieser Geschichte durchaus als Kampfansage begriffen werden. Reclaim alternative Medien!
Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und schreibt seit rund fünfundzwanzig Jahren für alternative Medien. Er unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien. www.jenspetzkastner.de