Um eine antidiskriminatorische Perspektive in Organisationen einnehmen zu können, braucht es einen Diskurs innerhalb der Organisation über gesellschaftspolitische Realitäten wie offener/gewalttägiger oder verdeckter Alltagsrassismus, antimuslimischer Rassismus, Antisemitismus, sowie Diskriminierungsrealitäten durch (Hetero-)Sexismus, Homo- und Transphobie, Ableismus usw. Es braucht auch eine Auseinandersetzung darüber, wie diese sich in der Organisation abbilden und welche Auswirkungen sie auf die Angehörigen der Organisation haben. Organisationen gehen meist davon aus, gleichstellungs- und diversitätsorientiert zu sein. Dafür wurden in den letzten 35 Jahren Stabstellen und Arbeitskreise eingerichtet, Beauftragte nominiert, Leitbilder und Antidiskriminierungsrichtlinien entwickelt, die Diskriminierungen entgegenwirken sollen. Strukturelle Diskriminierung innerhalb einer Organisation zu thematisieren, also Strukturen innerhalb der Organisation, die Diskriminierungen ermöglichen und die Spaltungsmechanismen hervorbringen aktiv zu bearbeiten, ist oft ein Tabuthema. Denn es geht um die Fragen von Privilegien, Ressourcen, Arbeitszusammenhängen und ungleichen Machtverhältnissen. Wichtig ist dabei die Frage, wer von den genannten Herrschaftsstrukturen profitiert. In der Analyse dessen ist es notwendig, die historische Entstehung rassistischer Kategorien aufzuzeigen. Susan Arndt spricht im Artikel Im Spiegel der Geschichte [1] von historisch gewachsenem Rassismus und Antisemitismus. Sie fordert dazu auf, das rassistische und antisemitische Wissensarchiv in Europa zu erkennen, damit Rassismus verlernt werden kann. Sie spricht historisch von einem Radikalisierungsprozess des Rassismus, der in der Gegenwart global agiert und strukturell verankert Die Organisationsfrage aus antirassistischer Perspektive Gabriele Bargehr ist. Durch die Nicht-Benennung und Nicht-Behandlung des strukturellen Rassismus, Post-Kolonialismus und die Normierungsstrategien durch Weiß-sein in Organisationen wird dieser fortwährend reproduziert und stellt einen aktiven Prozess des Verleugnens dar. Denn jede weiß markierte Person profitiert (gewollt oder ungewollt) von weißen Privilegien. Wissen darüber, wie Rassismus und aktuell antimuslimischer Rassismus, als Basis der autoritären Wende in Österreich und in Europa, entstanden ist, wie er wirkt und auf welcher Weise ihm in der Organisation entgegengetreten werden kann, ist zentral in der organisationalen Zusammenarbeit.
Der Schlüsselbegriff „Alltagsrassismus“ von Philomena Essed [2] wird als Konzept gesehen und zeigt auf, wie alltäglicher Rassismus größtenteils durch Routine und selbstverständliche Praxis im alltäglichen Leben entsteht. Diskriminierungen sind vielschichtige und tief greifende Phänomene und werden je nach funktionaler und sozialer Position gänzlich unterschiedlich betrachtet oder gar nicht wahrgenommen. Hierbei geht es um die Wahrnehmung von Macht- und Herrschaftsverhältnissen, ungleichen Zugängen zu Ressourcen, Informationen und ungleichen Karrierechancen. Maureen Maisha Eggers spricht von gesellschaftlich konstruierten Differenzmarkierungen. [3] Diese charakterisieren Unterschiede hegemonial und haben eine ordnende Funktion. Während viele Arbeitgeber_innen und Organisationen meist aufmerksam die Gesetzgebung beachten, im besten Fall Weiterbildungen zu Diversity, Inklusion und interkulturelle Kompetenzen anbieten und Informationen zur Verfügung stellen, die sich mit offensichtlichem und eindeutigem Rassismus und Diskriminierung befassen, ist es wahrscheinlich, dass die subtileren Formen weiterhin unbemerkt in der alltäglichen Zusammenarbeit wirken. Ein wissenskritisch ausgerichteter Diversityansatz macht auf Stereotypisierungen und Diskriminierungen in den jeweiligen Arbeitszusammenhängen aufmerksam. Das Konzept der Intersektionalität, ein zentrales Element im organisationalen Diversitätsdiskurs, berücksichtigt die Verwobenheit verschiedener Diskriminierungsformen und Sichtbarmachung multipler Identitäten in einer Person.
Der Analyseansatz der Intersektionalität basiert auf Audre Lordes Ansatz „There is no hierarchie of opression“, d.h. Unterdrückungsformen und -ebenen werden nicht gegeneinander aufgewogen, sondern miteinander in Relation gesetzt. Diskriminierungen intersektional zu denken wird einer Lebensrealität gerecht, in der jede_r immer mehrfache Zugehörigkeiten empfindet oder von der Gesellschaft in verschiedenen Positionen/Differenzierungsmarkierungen verortet wird (nach Alter, Geschlecht, sexuellen Orientierungen, Behinderung, Herkunft, Religion, legalem und sozialem Status, Bildungsabschluss usw.) und damit auch auf mehrfacher Ebene unterdrückt werden kann.
Zu verstehen, wie Rassismus, Sexismus, Antisemitismus und antimuslimischer Rassismus historisch gewachsen sind, ist eine bewährte Methode, um strukturelle Diskriminierungsformen situativ beim Namen nennen zu können, ohne diese gegeneinander auszuspielen (z.B.: Sexismus versus Rassismus, Antisemitismus versus anitmuslimischer Rassismus). Es geht dabei darum, zu verstehen, was Rassismus und Antisemitismus mit uns allen angerichtet hat. In einem weiteren Schritt sollte daran gearbeitet werden, feste Glaubensgrundsätze aufzugeben (auch den, schon immer antirassistisch gewesen zu sein), bereits Gelebtes selbstkritisch zu überprüfen (auch wenn es noch so gut und antirassistisch gemeint war) und Erlerntes zu verlernen (auch wenn es noch so unschuldig aussieht). In allem was wir wissen, steckt ein Stück rassistische Wissensgeschichte. Ob Medien, Schulbücher, Straßennamen, Lebensmittel oder Gesetze: Rassismus hat sich überall eingenistet. Gerade diese Aufforderung, das Erlernen machtkritischen Wissens (Rassismuskritik, Diskriminierungskritik, Kritik an Geschlechterhierarchien, Kritik an körperlicher Normierung) ist zentral in einer antirassistischen Perspektive.
Gabriele Bargehr ist Organisationsentwicklungsberaterin am Institut Im Kontext.
[1] Quelle: www.migrazine.at, Susan Arndt: Im Spiegel der Geschichte http://www.migrazine.at/artikel/im-spiegel-der-geschichte (7. 4. 2018)
[2] Philomena Essed: Understanding Everyday Racism – an Interdisciplinary Theory. London: Sage Publications 1991.
[3] Maureen Maisha Eggers: Anerkennung und Illegitimierung. Diversität als marktförmige Regulierung von Differenzmarkierungen. In: Anne Broden, Paul Mercheril (Hg.): Rassismus bildet. Bildungswissenschaftliche Beiträge zu Normalisierung und Subjektivierung in der Migrationsgesellschaft. Bielefeld: transcript Verlag 2010.