Offener Brief der IG Bildende Kunst anlässlich antisemitischer Propaganda durch den FPÖ-Klubobmann und der ausweichenden Nicht-Positionierung gegen Antisemitismus von Bundeskanzler Sebastian Kurz.
Update, 25.5.2018: Antwort im Namen von BK Sebastian Kurz
Update, 5.6.2018: Offener Brief (II) der IG BILDENDE KUNST an BK Sebastian Kurz: Antisemitismus ist keine sachliche Kritik! Wir ersuchen nach wie vor um inhaltliche Antwort.
Sehr geehrter Herr Bundeskanzler!
Der FPÖ-Klubobmann Johann Gudenus betreibt antisemitische Unterstellungen, wenn er behauptet, dass es „stichhaltige Gerüchte“ gegenüber George Soros gäbe, wonach dieser „daran beteiligt ist, wenn es darum geht, gezielt Migrantenströme nach Europa zu unterstützten“. Bei der Pressekonferenz nach der Ministerratssitzung vom 24. April 2018 wurden Sie darauf angesprochen. Ihre Antwort? Sie haben zuerst auf Ungarn verwiesen und anschließend dargelegt, dass „es natürlich möglich sein muss, sachlich Kritik zu üben“. Eine solche Vorstellung von „sachlicher Kritik“ nehmen wir mit Irritation zur Kenntnis.
Mit Ihrem Kommentar suggerieren Sie, dass diese Äußerungen von Johann Gudenus sachlich seien.
Die Äußerungen von Herrn Gudenus sind für viele nicht offensichtlich antisemitisch, doch waren sie es eindeutig. Von mehreren Seiten (Ruth Wodak, Sprachwissenschafterin; Othmar Karas, Abgeordneter zum Europäischen Parlament; Martin Engelberg, ÖVP-Mandatar) wurde bereits festgestellt, dass diese Argumentation Stereotype der Weltverschwörung bedienen.
Dadurch, dass Johann Gudenus behauptet, dass die Gerüchte “stichhaltig” sind, also nicht von wem auch immer widerlegt wurden, schiebt der Klubobmann Ihres Koalitionspartners die Beweislast auf George Soros. Er verweist darauf, dass die Gerüchte von George Soros selbst nicht widerlegt wurden.
Wie lassen sich die Gerüchte der jüdischen Weltverschwörung (dass der wurzellose Jude die Welt kontrolliert…) sachlich widerlegen? Genau hier sind wir an der Wurzel des Problems: Verschwörungstheorien (mit antisemitischen Stereotypen) lassen sich nicht widerlegen, weil sie schlicht Behauptungen sind, ohne jegliche sachliche Grundlage oder gar Beweise.
Um die Argumentation von Johann Gudenus zu widerlegen, müsste nun George Soros mündliche sowie schriftliche Kommunikation und Vereinbarungen offenlegen, um nachzuweisen, dass er keine Weltverschwörung im Sinn hat, die den “nationalen Volkskörper durch das internationale Judentum zersetzt”, wie es im antisemtischen Jargon der 1920er und 30er Jahre der Christlich-Sozialen und Deutschnationalen in Österreich üblich war.
An dieser Stelle möchten wir an die „Arbeitsdefinition von Antisemitismus“ der International Holocaust Remembrance Alliance (IHRA) erinnern, die Sie in die Ministerratssitzung vom 21. April 2017 als damaliger als Außenminister eingebracht und deren Annahme mitbeschlossen haben: “Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.”
Herr Bundeskanzler, nach zahlreichen antisemitischen und rassistischen „Einzelfällen“ in der FPÖ, wo anschließend immer wieder beteuert wird, dass Hetze gegen FPÖ betrieben wird, ersuchen wir um eine sachliche Argumentation, warum die Aussagen von Johann Gudenus nicht antisemtisch sein soll.
Weiters ersuchen wir nachdrücklich um Beantwortung folgender Fragen:
■ Wieso führen Sie eine Koalition mit einer Partei, die einen Klubobmann duldet, der antisemitische Aussagen tätigt und Hetze betreibt? Warum sprechen Sie sich nicht sofort und öffentlich gegen eine solche Entgleisung aus?
■ Warum positionieren Sie sich nicht unmissverständlich und konsequent gegen jede Form von Antisemitismus?
■ Was werden Sie gegen eine solche unterschwellige und antisemtische Kommunikationsstrategie unternehmen?
■ Halten Sie sie solche Kommunikationsstrategien und Behauptungen aus den vordersten Reihen Ihres Koalitionspartners tatsächlich für eine sachliche Vorgehensweise?
Die IG Bildende Kunst ist eine Interessenvertretung von bildenden Künstler_innen. Viele unsere Mitglieder beschäftigen sich mit Wahrnehmung und Stereotypen. Uns ist es wichtig Minderheiten ebenso zu vertreten, wie Angehörige der Mehrheitsgesellschaft. Ebenfalls setzten wir uns für Antidiskriminierungsmaßnahmen und gegen Antisemitismus sowie Rassismus ein, weshalb uns dieses Anliegen sehr am Herzen liegt.
Mit freundlichen Grüßen,
Sheri Avraham, Carla Bobadilla, Eva Dertschei, Ezgi Erol, Vasilena Gankovska, Alexander Jöchl, Daniela Koweindl, Bernadette Schönangerer, Christoph Steininger
(Team und Vorstand der IG Bildende Kunst)
Wien, 27.4.2018