Über Kunstwerke und über die Rückgabe des afrikanischen Erbes nach Afrika zu sprechen, bedeutet ein Kapitel zu eröffnen, und zwar ein einzelnes in einer umfangreicheren und gewiss noch komplizierten Geschichte. Hinter der Maske des Schönen lädt die Restitutionsfrage dazu ein, bis ins Herz eines Aneignungs- und Entfremdungssystems, des Kolonialsystems, vorzustoßen, als dessen öffentliche Archive bestimmte europäische Museen heute unwillentlich fungieren. Die Restitution denken impliziert dennoch deutlich mehr als nur eine Erforschung der Vergangenheit: Zuallererst bedeutet es, Brücken zu zukünftigen gerechteren Beziehungen zu bauen. Von Dialog, Vielstimmigkeit und Austausch geleitet, darf die Restitution keineswegs als ein unheilvoller Akt von Identitätszuschreibung oder territorialer Festschreibung von Kulturgütern verstanden werden. Sie lädt im Gegenteil dazu ein, die Bedeutungsgebung der Objekte zu öffnen und „dem Universellen“, mit dem sie in Europa so häufig assoziiert werden, die Möglichkeit zu geben, auch anderswo erfahren zu werden. [1] (…)
Die Jugend Afrikas hat wie die Jugend Frankreichs oder Europas „Rechte in Bezug auf das Kulturerbe“, um die Formulierung des Europarats aus der Faro-Konvention von 2005 aufzugreifen. Ein Recht auf das gesamte Kulturerbe, muss man hinzufügen, aber mindestens und zuerst auf die aus der afrikanischen Vergangenheit vermachten Ressourcen, die so fern von der afrikanischen Jugend verwahrt werden, dass diese oft nichts von deren Reichtum und Potenzial und teils nicht einmal von ihrer Existenz etwas weiß. (…)
In der Präambel zum Auftragsschreiben [des französischen Präsidenten Emmanuel Macron], das den Rahmen der vorliegenden Arbeit absteckt, betont er seinen Willen zu „entschlossenem Handeln zugunsten der Zirkulation der Werke und der Verbreitung des kollektiven Wissens über die Zusammenhänge, in denen diese Werke geschaffen, aber auch entwendet, gelegentlich geplündert, gerettet oder zerstört wurden“. Diese Zirkulation, schreibt er weiter, „wird verschiedene Formen annehmen können, bis hin zu dauerhaften Modifikationen des Bestands nationalen Eigentums sowie Restitutionen“. (…)
Indem der Auftrag sowohl von „zeitweisen“ als auch von „endgültigen Restitutionen“ spricht, ist in ihm gleichwohl eine Mehrdeutigkeit enthalten, die es notwendigerweise möglichst bald aufzulösen galt. Der Ausdruck „zeitweise Restitution“ funktioniert auf den ersten Blick wie ein Oxymoron: Er enthält den Gedanken, dass die betreffenden Objekte nur für eine begrenzte Zeit restituiert werden, dass also ihre Rückgabe keinen endgültigen Charakter haben wird. (…)
Aus diesem Grund haben wir uns entschlossen, im Rahmen unseres Auftrags dem Ausdruck „zeitweise Restitutionen“, wie er im Text des Auftrags auftaucht, folgenden Sinn zu geben: Übergangslösung für die Zeit, bis juristische Formen gefunden sind, um die endgültige und bedingungslose Rückgabe von Objekten aus dem Kulturerbe an den afrikanischen Kontinent durchzuführen. (…)
Wörtlich bedeutet „restituieren“ ein Gut an seinen rechtmäßigen Eigentümer zurückgeben. Der Begriff erinnert daran, dass die Aneignung und Nutzung eines Guts, das man restituiert, auf einer moralisch unbilligen Handlung beruht (Diebstahl, Plünderung, Raub, Hinterlist, erzwungene Einwilligung etc.), die die Legitimität des Eigentums, auf das man sich beruft, infrage stellt und ihm die Grundlage oder zumindest die Sicherheit nimmt. Infolgedessen zielt das Restituieren darauf, den legitimen Eigentümer des Guts wieder ins Recht seines Gebrauchs und seiner Nutzung zu setzen sowie in alle Vorrechte, die mit dem Eigentum verbunden sind (usus, usus fructus, abusus und ius abutendi). Die Geste der Restitution beinhaltet implizit tatsächlich die Anerkennung der Illegitimität des Eigentums, auf das man sich ungeachtet der Dauer bis dahin berufen hat. Der Akt der Restitution versucht folglich, die Dinge wieder an ihren rechten Platz zu bringen. Offen von Restitutionen zu sprechen, heißt, von Gerechtigkeit, Ausgleich, Anerkennung, Restauration und Reparation zu sprechen, aber vor allem: Es heißt, den Weg hin zu neuen kulturellen Beziehungen freizumachen, die sich auf eine neu gedachte relationale Ethik gründen. (…)
Die Beziehung zu den anderen ist häufig durch die (vergangene) Geschichte vermittelt. Die Bedingung der Freiheit besteht darin, nicht von der Geschichte beherrscht zu werden, sondern sie in der (Zeit der) Gegenwart neu zu schreiben. Die Restitutionen stellen die alten Relationsgefüge infrage. Dadurch deuten sie eine neue Ordnung an, in der die Aneignung von Kulturerbe, diese Sitte einer anderen Zeit, einer neuen Art des Weltbezugs Platz macht, die sich auf die Anerkennung unserer gegenseitigen Abhängigkeiten und den fundamental relationalen Charakter unserer Identitäten gründet. Und das bedeutet nichts anderes, als uns darum zu kümmern, diese Welt für alle bewohnbar zu machen.
Felwine Sarr ist Schriftsteller, Musiker und lehrt als Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Gaston Berger Universität in Saint-Louis, Senegal.
Bénédicte Savoy lehrt Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. Ihre Forschungsinteressen sind Kunst und Kulturtransfer in Europa, Museumsgeschichte sowie Kunstraub und Beutekunst.
Dies ist ein sehr kurzer Auszug der deutschen Übersetzung des Rapport sur la restitution du patrimoine culturel africain. Vers une nouvelle ethique relationnelle, den wir mit freundlicher Genehmigung des Verlags Matthes & Seitz abdrucken (Felwine Sarr, Bénédicte Savoy, Zurückgeben, aus dem Französischen von Daniel Fastner © 2019 MSB Matthes & Seitz Berlin Verlagsgesellschaft mbH). Wir haben ihn ausgewählt, weil er die Frage der Schulden in Bezug auf die Kolonialität der Kultur aufwirft. Das Original ist im November 2018 in Frankreich unter dem Titel Restituer le patrimoine africain in Buchform erschienen. Der Gesamtbericht ist einsehbar unter http://restitutionreport2018.com und hat intensive Diskussionen im Museumsbereich provoziert. [Die Red.]
[1] Zur Unterscheidung zwischen „universell“ und „Universalismus“ vgl. Souleymane Bachir Diagne & Jean-Loup Amselle, En quête d’Afrique(s), Paris 2018.