Der Sturz der Bronzestatue des Sklavenhändlers Edward Colston und ihr Versenken im Hafenbecken von Bristol Anfang Juni 2020 ist uns noch in guter Erinnerung. Die Filmaufnahmen aus dem Südwesten Englands wurden weltweit gefeiert und gaben Anregungen für weitere, von Sympathie begleitete Aktionen gegen koloniale Denkmäler. Ein britisches Geschworenengericht hat die als »Colston four« bekannten Black-Lives-Matter-Aktivist*innen im Januar 2022 mit elf zu eins Stimmen vom Vorwurf der illegalen Sachbeschädigung freigesprochen. Es folgte damit den Verteidiger*innen, die die Statue als derart beleidigend bezeichneten, dass ihre 125 Jahre lange Präsenz im öffentlichen Raum selbst einen krimineller Akt dargestellt habe.
Schon 1967/68 wurde ein Denkmalsturz in Hamburg mit viel Sympathie aufgenommen. Die Studierenden, die das Hermann-von–Wissmann-Denkmal damals endgültig demontierten, gingen ebenfalls straffrei aus (Seibert 2008, S. 55). Wissmann, der ab 1881 durch Afrika gereist war und Vorarbeiten zur Gründung der Kolonie Deutsch-Ostafrika und der belgischen Kolonie Kongo lieferte, hatte keinen Zuspruch mehr. Eine genaue Zahl der afrikanischen Todesopfer seines brutalen Einsatzes lässt sich bis heute schwer ausmachen. Historiker*innen sprechen von einer mindestens fünfstelligen Zahl (Spurensuche Harzregion 2022, S. 17).
Mit dem Ende des SDS und seiner internationalistischen Arbeitskreise 1970 sowie dem Niedergang der Sozialrevolte, in der der Antikolonialismus verankert war, verschwand das Thema weitgehend aus dem öffentlichen Diskurs. Erst mit der in den 2000er Jahren international einsetzenden Debatte im Kontext der Postcolonial Studies ist die theoretische und praktische Auseinandersetzung mit dem deutschen Kolonialismus wieder breiter aufgenommen worden.
Gegen das Vergessen hat die Forschungsstelle »Hamburgs (post-)koloniales Erbe« anlässlich des 50. Jahrestags von Wissmanns Denkmalsturz Zeitzeugeninterviews geführt, die auf der Webseite der Uni Hamburg dokumentiert sind (Forschungsstelle 2018). Die bronzene Statue des Kolonialverbrechers ist seit 2004 mehrmals Teil von Kunstaktionen und Ausstellungen gewesen, die sich einer kritischen Auseinandersetzung mit Kolonialismus und der deutschen Geschichtsaufarbeitung verbunden fühlten. Auch mehrere in der Bundesrepublik nach Wissmann benannte Straßen bekamen in dieser Zeit – meist auf Initiative von Anwohner*innen – neue Namensgeber*innen, beispielsweise in Stuttgart, Korntal-Münchingen und Berlin, aber bei weitem nicht überall.
Ein vergessenes Denkmal in Bad Lauterberg
Die Hauptdurchgangsstraße des Kurorts Bad Lauterberg im Harz, wo Wissmanns Mutterhaus steht, ist beispielsweise noch nach dem kolonialen Eroberer benannt. Im angrenzenden Kurpark prangt seit 1908 unübersehbar, überlebensgroß und ohne kritische Kontextualisierung die einzige in Deutschland im öffentlichen Raum verbliebene Wissmann-Statue.
Vergessen ist auch, dass die in den 1980er Jahren sehr aktive, autonome antifaschistische Bewegung sich mindestens punktuell des Themas annahm. Schon 1980 formulierte der Antifaschistische Arbeitskreis Bad Lauterberg erste Kritik am lokalen Wissmann-Kult und forderte die „Umbenennung der Wißmannstraße“. Im Oktober 1982 organisierte der Arbeitskreis vor Ort eine Demonstration gegen das Jahrestreffen des Traditionsverbandes ehemaliger Schutz- und Überseetruppen, der den deutschen Kolonialismus apologetisch verherrlicht. Die Organisator*innen standen dafür in Kontakt mit der Afrikanischen Studentenunion aus Göttingen, konnten etwa 120 Teilnehmer*innen mobilisieren und legten an der Statue einen Kranz für die Opfer des deutschen Kolonialismus nieder.
In den darauffolgenden Jahren folgten weitere Veranstaltungen und Aktionen gegen das Denkmal. Eines Nachts wurde die Tafel des Kolonialtruppenverbands abgeschraubt, später auch ein Sturzversuch gewagt. Aber anders als in Hamburg steht Wissmann in Bad Lauterberg nicht auf einem Sockel, sondern ist direkt im Felsen verankert, was ein umreißen mit menschlicher Kraft verunmöglicht. Das Vorhaben, mit hochprozentiger Schwefelsäure die Stiefelsohlen der Statue aufzulösen – wie dies mit Kupfermünzen möglich ist – scheiterte (Langer 2022).
Eine kritische Aufarbeitung des kolonialen Erbes findet erst wieder seit 2020 durch zivilgesellschaftliche Initiativen aus umliegenden Städten statt. Vor Ort scheint das nicht möglich, zu sehr hängen die Einwohner*innen der Kurstadt an ihrem Wahrzeichen. Im örtlichen Kurhaus darf sogar noch immer der Traditionsverband der Kolonialtruppen zusammenkommen, wie zuletzt im Oktober 2023.
Ein Sturz der Bad Lauterberger Wissmann-Statue würde zwar nicht in der Stadt selbst, aber fast überall in der Welt verstanden werden.
Niels Seibert engagiert sich in undogmatischen Gruppen und Bündnissen. Sein vergriffenes Buch Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964–1983 erscheint in den kommenden Wochen als eBook-Neuauflage im Münsteraner Unrast Verlag.
Literatur
Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe (2018). 50 Jahre Denkmalsturz. Der Sturz des Wissmann-Denkmals an der Universität Hamburg 1967/68. https://kolonialismus.blogs.uni-hamburg.de/50-jahre-denkmalsturz-der-sturz-des-wissmann-denkmals-an-der-universitaet-hamburg-1967-68/
Bernd Langer: Schluss mit der Verherrlichung der deutschen Kolonialverbrechen und der Pflege faschistischen Gedankengutes. In: Unser Harz Nr. 9/2022. Bad Harzburg 2022, S. 166–174.
Niels Seibert: Vergessene Proteste. Internationalismus und Antirassismus 1964–1983. Münster 2008.
Spurensuche Harzregion e.V. (Hg.): Hermann von Wissmann und Bad Lauterberg – eine Spurensuche. Clausthal-Zellerfeld 2022.