Sicher vor Kapital-Aneignung und Hetzkampagnen

Mut statt Verbot im öffentlichen Raum

Sicherheit im öffentlichen Raum? Ja, sicher. So einfach sich das sagen lässt, so sehr muss differenziert werden, was wir unter öffentlichem Raum und unter Sicherheit verstehen.

Öffentlichen Raum sicherstellen

Öffentlicher Raum ist Möglichkeitsraum: Es ist – exemplarisch in größeren Städten – der Raum des Zusammentreffens von Verschiedenen, von zueinander Anderen, von unvorhergesehenen Akteur*innen. Letzteres ganz dezidiert: Mit Hannah Arendt (ihrem Buch Vita Activa) formuliert, ist der öffentliche Raum ein Raum des Handelns, und dem Handeln haftet etwas Nicht-Vorbestimmtes an, ein Moment der Freiheit und des Anfangens von etwas Neuem. Wenn an einem Ort alle Handlungen und deren Subjekte im Vorhinein festgelegt sind, ist er kein öffentlicher Raum (egal, wie städtisch und weitläufig er sein mag). Und öffentlicher Raum als sozialer Raum bedeutet natürlich Konflikt, Konflikt ist für öffentlichen Raum geradezu konstitutiv, ihn zum Verschwinden zu bringen, lässt auch öffentlichen Raum verschwinden.

Arendt zufolge ist im Handeln im öffentlichen Raum Mut ein wichtiger Faktor: Es braucht Mut, private Zonen zu verlassen, bis hin zum Ergreifen des Worts oder Sich-Exponieren an der Öffentlichkeit. Mut zum öffentlichen Handeln, das ist ein Konzept, das Differenzierungen nahelegt, fordert: Das ist hier nicht neoliberal selbstunternehmerisch gemeint, es geht nicht ums „Annehmen von Herausforderungen“ und um die Risikobereitschaft der Durchsetzungswilligen – eher: Wer nicht über Kaufkraft verfügt oder als unerwünscht gilt, braucht umso mehr Mut. Bedenken wir, wieviel Mut ein Kind im öffentlichen Raum braucht, dessen Vater oder Mutter ständig polizeilich kontrolliert wird, weil es sich um eine migrantische Familie handelt. Aber Mut allein reicht nicht. Öffentlicher Raum, auch das lässt sich von Arendt lernen, muss eingerichtet werden (er ist nicht von allein da), und ich füge dem die Bedeutung hinzu: Er muss geschützt, gesichert werden gegen private Aneignungen durch Investitionskapital, das heute auf der Suche nach Betongold-Veranlagungen die Städte zunehmend aneignet (und die Öffentlichkeit enteignet).

Zudem gilt es, den öffentlichen Mut scharf entgegenzusetzen zu der rechten Propaganda, die heute über diverse städtische Räume behauptet: „Da brauchst du viel Mut, diese Straße nachts oder jenen Platz als Frau zu überqueren …“ Es ist ja umgekehrt: Es bedarf des Muts zum Handeln und Sich-Äußern, um öffentliche Räume vor genau solchen Kampagnen, die sich die gewünschten Notstände selber schaffen, und ihren Auswirkungen zu schützen – zu denen u.a. Verunsicherung zählt. Es bedarf öffentlicher Einrichtungen von Solidarität, um Spielräume gegen Law & Order-Politik, Angstmanagement und rassistische Übergriffe abzusichern.

Wobei es falsch wäre, Unsicherheit als einen rein symbolischen Effekt oder gar als bloßes „falsches Bewusstsein“ zu verstehen. Vielmehr: Die neoliberale Politik der „Entsicherung“ wirkt sich schon seit langem verunsichernd aus; Deregulierung und Flexibilisierung in der Arbeitswelt und auf dem Wohnungsmarkt bringen kürzere Arbeitsverhältnisse und befristete Mietverträge mit sich, um nur zwei Beispiele zu nennen für Situationen, in denen Leute Existenznotwendiges – ihren Job, ihre Wohnung – heute sehr leicht verlieren können. Und auch öffentlicher Raum geht verloren: Er wird in der baulich verdichteten Stadt physisch weniger – nicht einfach so, sondern durch politisch gewollte ökonomische Prozesse (Kapitalisierung). Für die Kombination aus neoliberaler Stadt der Verkürzungen und Verknappungen für die Vielen und des Totsparens öffentlicher Haushalte einerseits und rechtspopulistischer bzw. nationalautoritärer Stadt der ständig geschürten Ängste vor Minderheiten verwenden Kulturarbeits-Kolleginnen und ich die Metapher der Scare City (die Stadt der scarcity und des scaring) – der es eine solidarische, sich um Sicherheit für alle radikaldemokratisch sorgende Care City entgegenzusetzen gilt. (Beck/Haybach/Heindl/Totschnig: Care not Scare City, in Dorothea Trappel, Hg., Der abgestellte Bahnhof. Wien 2018: Falter Verlag).

Law & Order in der Praxis am Praterstern

Erstmalig gibt es seit April 2018 in Wien ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum: am Praterstern und Umgebung. Ein Ergebnis wird diese (un)sicherheitspolitische Maßnahme ganz sicher haben: die „self-fulfilling prophecy“ zunehmender Straftaten am Praterstern in Zusammenhang mit dem Alkoholverbot. Über Jahre hinweg wurde der Praterstern, der zentrale Wiener Bahnhofs-Knotenpunkt – eine Verkehrsinsel im Autoverkehr – als eine No-Go-Area konstruiert. Aber nicht etwa weil da zu viele Autos wären oder zu wenig Platz für die 150.000 Menschen, die da täglich ankommen oder abfahren, sondern u.a. zuletzt wegen einer Szene von Obdachlosen: laut Polizei 20 bis 60 Leute, die sich (Alkohol konsumierend) am Praterstern aufhalten. Vor allem von Gratismedien hörten wir ständig, dass „die Menschen Angst haben“ vor diesem Ort. Vorweg: Es spricht nichts dagegen, dass die Stadtpolitik Sorgen der Bürger* innen, ob sie konstruiert wurden oder aus Alltagserfahrungen entstanden sind, ernst nimmt. Aber nicht in Form von Verboten, Verdrängung und Diskriminierung. Aber genau das ist das Alkoholverbot. Nicht nur zeugt es von Unverständnis bestehender gesellschaftlicher Strukturen: Sorgen der Leute sind ein Symptom; wenn sie richtig verstanden, nicht bloß zum Anstoß für Hetze gegen Minderheiten genommen werden, dann zeigen sie auf, dass es immer mehr Menschen sozio- ökonomisch schlecht geht. Allerdings lautet die verdrehte Logik der Gemeinde Wien: Statt Sozialpolitik zu stärken, wird mit Diskriminierung und mit Ausweitung polizeilicher Strukturen reagiert.

Das Alkoholverbot im öffentlichen Raum diskriminiert. Es betrifft nicht die Oktoberfest-Trinkrunden, nicht die in Lokalen Konsumierenden, sondern Arme, Obdachlose und Suchtkranke. Kurzum, es ist ein Verbot nicht von Alkohol, sondern von genau diesen stigmatisierten Menschen – verklausuliert im Polizeijargon: „Menschen ohne Beförderungsabsicht“. Ihre Diskriminierung durch das Verbot hat auch eine rassistische Note: Zum einen sind in der steigenden Zahl armutsgefährdeter Menschen auch viele Migrant*innen, zum anderen ist der Praterstern zum Brennpunkt der eigentlichen Frage geworden: wie es die Österreicher*innen mit Zureisenden halten. Vier Jahre nach den fast singulären Erfahrungen von Humanität und Solidarität im „Sommer der Migration 2015“ ist perfider Weise wieder ein Bahnhof der Ort, an dem sich öffentliches Handeln rund um Migration bündelt, nun aber rechte Anti- Migrationspolitik in polizeilicher Form. Die sozialdemokratische Antwort auf den politischen Druck von rechts ist eine „Aus den Augen aus dem Sinn“-Politik: Menschen, die gesellschaftlich marginalisiert sind, werden von dem von ihnen gewählten, sozial reichhaltigen Ort, an dem sie immerhin sichtbar sind, verdrängt und müssen sich einen anderen öffentlichen Ort suchen. Der Floridsdorfer Bezirksvorsteher weiß das und reagierte auf die kurzsichtige Maßnahme bereits mit dem nächsten gleichermaßen kurzsichtigen Verbotsvorschlag für den Floridsdorfer Bahnhof. (Und auch in der Praterstraße wurden öffentliche Sitzbänke, die den Unerwünschten dort als Rastplätze dienen könnten, abmontiert.) Weder Obdachlosigkeit noch Fluchtursachen noch Suchtkrankheiten werden durch Verbote aus der Welt geschafft.

Hier wird mit Unsicherheit Politik gemacht: Das Alkoholverbot ist eine rechtspopulistische Law & Order-Maßnahme, die durch Strafandrohungen weitere Verunsicherung produziert (nicht zuletzt für die polizeilich unter Dauerstress gesetzten Menschen selbst). Aber schon aus der berüchtigten Law & Order- Amtszeit von Bürgermeister Rudy Giuliani in New York wissen wir, wie gut sich Security-, Verdrängungs- und Verbotspolitik verträgt mit Privatisierung und mit Profiten, die aus dem öffentlichen Raum geschöpft werden. Damals, in den 1990ern, wurden ganze Parks in New York privatisiert. Es spricht ja Bände, dass die Kaiserwiese vor dem Wurstlprater- Zugang beim Riesenrad nicht Teil des Verbotsgebiets ist: Die Gäste des umsatzstarken Oktoberfests dürfen unbehelligt trinken. Das bringt mich zu des Pudels Kern: Arme werden gemaßregelt, Profitstrategien dereguliert. Das Verbot freier Nutzung des Stadtraums für die Armen geht erstens einher mit dem Ausverkauf öffentlichen Raums durch Deregulierung im großen Maßstab – und zweitens mit dem großflächigen Abbau des Sozialstaats. Wenn Menschen obdachlos sind, keine Wertschätzung erfahren, dann fehlt es an Wohnungs- und Sozialpolitik. Wenn es etwa in Österreich immer weniger Bahnhofsmissionen gibt und stattdessen Bahnhöfe zu Konsum- und Gastronomielokal-Meilen werden, hängt das mit der Profitmaximierung der privatwirtschaftlich agierenden ÖBB-Aktiengesellschaft zusammen. Je profitabler der Stadtraum, desto weniger Platz für arme Menschen. Zeitgleich zur Eröffnung der Meierei, des teuersten Speiselokals Österreichs, und zum Planungsbeginn des Luxusimmobilien-Projekts am Heumarkt bzw. Eislaufverein wurden Obdachlose im Stadtpark vertrieben. Aber auch Nicht-Obdachlose sollten gewarnt sein: Als nächstes könnte der Donaukanal dran sein und zur Alkoholverbotszone werden. Die Essverbote in den U-Bahnen, mit denen seit Ende 2018 zusätzlich versucht wird, auf Boulverardmedienplattformen an die Rechtsparteien verlorenes Terrain zurückzugewinnen, gehen in eine ähnliche Richtung von racial und social profiling: Nichts gegen Ermunterungen zur Rücksicht aufeinander in öffentlichen Verkehrsmitteln – aber wer sind schwerpunktmäßig diejenigen Leute, die ihr Essen und ihre Getränke in der U-Bahn zu sich nehmen (nicht in Cappuccino-Bars oder Haubenrestaurants), und es nun bei Strafandrohung nicht mehr dürfen?

Öffentlicher Raum ist nur dann öffentlicher Raum, wenn er für alle offen ist. Lebenswert ist eine Stadt, wenn in ihr auch Menschen „mit Problemen“ Platz haben (nicht nur am Rand!) und Unterstützung finden. Das Alkoholverbot am Praterstern steht direkt neben der ungehinderten Kommerzialisierung von Bahnhöfen, aber z.B. auch neben der Quasi-Privatisierung des Donaukanals, dem profitablen Verwerten von öffentlichem Grund und Boden sowie dem ungehinderten Profit machen mit Wohnraum.


Gabu Heindl, Architektin und Stadtplanerin mit Schwerpunkt öffentliche Bauten und öffentlicher Raum. Arbeitet aktuell u.a. an einer Studie für die Arbeiterkammer mit dem Ziel einer Zukunftsperspektive für eine gerechtere solidarische Stadtplanung (mit öffentlichem Raum als zentrales Forschungsthema), sowie an dem selbstverwalteten und gemeinschaftlichen Betriebs- und Wohnprojekt SchloR als Teil des anti-spekulativen Solidarverbunds habiTAT.