Man kann sich etwas zu Schulden kommen lassen und Schulden haben. Auch wenn hier das gleiche Wort verwendet wird, so liegen dem Satz ganz unterschiedliche gesellschaftliche Phänomene zugrunde. Im Folgenden soll es allein um das ökonomische Phänomen der Schulden gehen, die Schulden, die mit Geld beglichen werden können. Und damit ist man bereits mitten drin, denn Schulden bezeichnen wesentlich eine soziale Beziehung, eine zwischen Schuldnerinnen und Gläubigerinnen. Die Beziehung endet erst, wenn die Schuld beglichen wird, mit Geld. Das ist ein wesentlicher Unterschied zum Geld. Wechselt eine Ware die Hände und wird unmittelbar mit Geld bezahlt, ist die Beziehung zwischen Käuferin und Verkäuferin bereits wieder aufgelöst. Anders bei einer Schuldbeziehung. Sie besteht, solange das Kreditverhältnis besteht. Zudem setzt eine Schuldnerinnen-Gläubigerinnen-Beziehung immer Geld voraus, d.h. ein Medium, das laut Kontrakt die Kreditbeziehung beendet.
Wie aber entsteht eine Kreditbeziehung? Entweder man kauft eine Ware und verspricht, zu einem späteren Zeitpunkt zu bezahlen. Oder der Kreditbeziehung geht kein Warenkauf voraus, sondern besteht allein darin, dass A eine bestimmte Geldsumme bei B leiht. Aber der Kapitalismus zeichnet sich nur oberflächlich dadurch aus, dass Ware und Geld die Hände wechseln. Vielmehr wird kapitalistisch produziert, mit dem Zweck aus Geld mehr Geld zu machen. Wie passen hier die Schulden rein? Schuldbeziehungen können danach unterschieden werden, wer jeweils Schuldnerin und wer Gläubigerin ist. Damit einher gehen all die ökonomischen Verhältnisse, die die Bedingungen dafür sind, dass eine Schuld beglichen werden kann.
Geld kann in Form eines Kredits an Unternehmen, an den Staat oder an Privatpersonen vergeben werden. Zunächst zur Seite der Schuldner: Unternehmen nehmen Kredit auf, um ihrem üblichen Geschäft nachzugehen, aus Geld mehr Geld zu machen. Damit ist auch schon gesagt, woraus Zins und Tilgung finanziert werden. Aus dem Profit, den der Produktionsprozess ermöglicht. Der Kredit ist hierbei nichts Außergewöhnliches, dem kapitalistischen Produktionsprozess Fremdes oder Äußerliches. Dieser bedarf eines Geldvorschusses, d.h. Kreditfinanzierung. Kredit ist auch ein Indikator für gut laufende Geschäfte. Sie können mit Krediten ausgeweitet und Kredite dank guter Geschäfte zurückgezahlt werden.
Der größte Kreditnehmer ist jedoch der Staat. Er verschuldet sich nicht nur aus anderen Gründen als kapitalistische Unternehmen, sondern finanziert sie auch anders. Der Staat ist kein kapitalistisches Unternehmen. Er konsumiert unproduktiv, d.h. aus dem investierten Geld soll nicht mehr Geld werden. Der Staat baut Straßen und Schulen, bezahlt Lehrkräfte und sorgt für Ruhe und Ordnung dank eines juristisch-repressiven Komplexes aus Polizei und Justiz. Er organisiert das, was Karl Marx die allgemeinen Produktionsbedingen des Kapitals nannte. Was dazugehört und was nicht, darüber wird nicht nur lauthals gestritten, sondern finden auch handfeste soziale Kämpfe statt. Warum aber wird dem Staat Kredit gewährt, wenn er doch keinen Gewinn produziert? Weil er Steuerstaat ist. Er hat nicht nur das Monopol physischer Gewaltsamkeit (Weber), sondern auch das alleinige Recht, mittels Zwang Steuern einzuziehen, zu Steuerausbeutung. Etwas, was der Tauschlogik des Kapitalismus widerspricht, denn Steuern sind immer eine einseitige Geldbewegung hin zum Staat, ohne konkrete Gegenleistung. Besteuerung bedarf deshalb immer der Legitimation und ist immer umkämpft. Nicht nur deren Höhe, sondern auch wer wie belastet wird und schließlich auch dahingehend, dass darüber gestritten wird, für was das Geld ausgegeben werden soll – und für was nicht. Wie der Kredit an Unternehmen eine profitorientierte und funktionierende Wirtschaft unterstellt, so die Staatsschuld einen funktionierenden Steuerstaat. Hierbei sind Staaten jedoch nicht gleich, sondern gruppieren sich entlang einer sogenannten Hierarchie der Währungen: Während die USA kreditwürdig sind, können andere Staaten sich nicht einmal in ihrer eigenen Währung verschulden.
Bleiben die Schulden der Privaten, die nichts haben, als ihre Arbeitskraft gegen Lohn zu verkaufen, um ihr Leben zu bestreiten. Damit ist auch benannt, wie sie ihre Schulden bezahlen. Aus dem kargen Lohn – oder gar nicht. Dieser ist auch der Grund, warum Private Schulden aufnehmen. Sie müssen ihr Leben bestreiten, ohne über ein ausreichendes Einkommen zu verfügen. Schulden sind hier Ausdruck und Form der Verarmung, während sie für Unternehmen ein Mittel zur Steigerung der Verwertung sind.
Was aber ist nun mit der anderen Seite des Schuldenverhältnisses? Gläubigerinnen sind in der Regel diejenigen, die über Geld verfügen oder einen Zugang zu Geld haben – die Banken. Banken vergeben Kredite oder kaufen Schuldpapiere, etwa Anleihen von Unternehmen oder von Staaten, um u.a. ihr Geldkapital zu verwerten oder in Sicherheit zu bringen. Hier zeigt sich auch deutlich: Jeder Schuld, jeder Verbindlichkeit stehen Vermögen gegenüber.
Es ist aber nicht so, dass die Banken einfach das Geld verleihen, das sie von Bankkundinnen einsammeln. Nein. Sie haben einen privilegierten Zugang zu einem viel größeren Geldtopf, den der Zentralbank. Geldtopf ist jedoch das falsche Bild, denn die Zentralbank kann nicht einfach nur Geld an die Geschäftsbanken geben, das sie in ihrem Topf hat, sondern das, was sie „produziert“.
Der Reihe nach: Das moderne Geld- und Kreditsystem ist auf besondere Weise mit den Staatsschulden verwoben: Staatsschulden bieten in Form von Wertpapieren eine sichere Geldanlage für das Finanzkapital – sind also eine Finanzierungsalternative zur Steuerausbeutung, die den Privaten und der Privatwirtschaft liquide Mittel entzieht. Als „sicherer Hafen“ sind Staatsanleihen zugleich eine tragende Säule der Weltfinanzmärkte. Oder wie das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung zusammenfasst: „Moderne Finanzsysteme sind auf Staatsanleihen angewiesen.“ Als Wertpapier sind Staatsanleihen zudem elementares Moment des modernen Geldsystems. Staatsanleihen sind die Sicherheiten, mit denen Geschäftsbanken bei den Zentralbanken frisches Geld bekommen. Die Zentralbank gibt hier für Reserven/Zentralbankgeld gegen Zins (Leitzins). Dem ökonomischen Inhalt nach betrachtet, wird aus einem (verbrieften) Zahlungsversprechen temporär wirkliches Geld. Diese Kreditbeziehung ist aber formal wie inhaltlich von einem normalen Verhältnis zwischen Gläubigerin und Schuldnerin zu unterscheiden, denn die Zentralbank kann dieses Geld einfach „drucken“, sie ist auf keine Einlagen von Privatkunden angewiesen. Die Zentralbank fungiert als „Lender of last resort“. Mit der Zentralbank sind die Geschäftsbanken auch nicht mehr von den Einlagen ihrer Kunden (Depositen) oder dem Geld- bzw. Kapitalmarkt abhängig, also von anderen Banken, sondern können sich bei der Zentralbank mit Liquidität versorgen. Das Zentralbankgeld kommt im Rahmen eines zweistufigen Bankensystems in die Zirkulation, ist aber kein Kredit.
Schulden sind demnach als eine Kreditbeziehung zu entschlüsseln, jedoch danach zu unterscheiden, wer Gläubigerin, wer Schuldnerin ist. Dabei sind Schulden dem Kapitalismus nichts Fremdes oder gar Zerstörerisches, wenn sie Krisen auch verschärfen können. Umgekehrt sind Schulden auf Grundlage einer Produktionsweise, die wesentlich auf Profit aus ist, Antrieb und Katalysator der Verwertungsdynamiken. Ähnliches gilt auch für die Staatsschulden. Sie sind nicht nur Stabilitätsfaktor des Finanzsystems, sondern konstitutiv für das gegenwärtige Geldsystem, das zweistufige Bankensystem aus Geschäftsbanken und Zentralbank.
Ingo Stützle ist Politikwissenschaftler, geschäftsführender Redakteur der Zeitschrift Prokla und lebt in Berlin.