Räume für die Kunst

Notizen zum Symposium Freie Szene – Orte schaffen. Räume und Infrastrukturen für Kunst und Kultur in Wien

Am 3. und 4. September 2020 fand das internationale Symposium Freie Szene – Orte schaffen. Räume und Infrastrukturen für Kunst und Kultur in Wien, im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste Wien statt. Initiiert wurde dieses von der Amtsführenden Stadträtin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Wien, Veronica Kaup-Hasler gemeinsam mit den Interessengemeinschaften IG Kultur Wien, Dachverband der Österreichischen Filmschaffende, mica – music austria, Mitderstadtreden – Initiative der freien Musikszene Wien, IG Bildende Kunst, IG Freie Theaterarbeit und ÖH Akbild. Das Symposium ist das Ergebnis der intensiven Beschäftigung der Akteur_innen der freien Szene mit dem Thema Raumnutzung, Raum betreiben, Öffnung und Erschließung neuer Räume. Wichtig in der Konzeption war nicht nur, den Status Quo lokal hervorzuheben, sondern auch Good Practice Beispiele aus anderen Großstädten kennen zu lernen, sowie den Austausch zwischen den unterschiedlichen Sparten, vertreten durch die Interessensgemeinschaften und Initiativen, zu intensivieren. Die Veranstaltung wurde klarerweise durch die aktuelle Corona-Situation beeinflusst, sodass das ursprünglich angedachte Programm nun mit sogenannten Corona-Essays eröffnet wurde, welche noch mehr auf die Aktualität und Dringlichkeit der Raumproblematik im Bereich der freien Szene hinwiesen. Das Thema „Raum“ sollte sparten- und ressortübergreifend aus verschiedenen Blickwinkeln betrachtet werden. Welche Räume für Kunst und Kultur zur Verfügung stehen, hängt auch davon ab, welche Räume überhaupt in der Stadt bereits zugänglich sind oder gemacht werden. Rasant steigende Mieten, Verdrängung durch Immobilienspekulationen und die zunehmende Gentrifizierung vieler Wiener Bezirke haben in den vergangenen Jahren die ohnehin prekäre Lage verschärft. Gleichzeitig stellten viele Interessengemeinschaften – darunter auch die IG Bildende Kunst in einer Online-Umfrage von 2019 – fest, dass immer mehr Künstler_innen keine angemessenen Arbeitsräume finden. Es fehlt an geförderten und leistbaren Ateliers, an Proberäumen, Produktionshäusern für Film und Theater, an hybriden Orten, wo unterschiedliche Kunstformen zusammenkommen können. Für bildende Künstler_innen sind günstige Arbeitsräume, idealerweise mit Lagermöglichkeit, unerlässlich. Auch Orte für Vernetzung und Präsentationen sind für die freien Kunstschaffenden notwendig, um eine breitere Öffentlichkeit erreichen zu können.

Leerstand, Zwischennutzung und Commons
Zentral für die Debatte rund um das Thema Raum für Kunst und Kultur sind diese drei Begriffe, die während des Symposiums durch verschiedene Beiträge besprochen wurden. Den ersten Tag eröffnete mit einem Vortrag zur Zwischennutzung Theresa Schütz vom hidden institute, die eine Untersuchung in Hinblick auf Wien und das Creative Cluster Margareten präsentierte. Auf Zwischennutzung sind viele Künstler_innen angewiesen, weil sie dadurch an günstige Arbeitsräume kommen, welche meistens selbstorganisiert sind. Zwischennutzung als Konzept ist ein beliebtes Instrument zur Minimierung des städtischen Leerstands sowie der Belebung urbaner Räume. In diesem Prozess findet ein Zusammenspiel verschiedener Akteur_innen statt – Raumnutzer_ innen, Eigentümer_innen, Vermittelnde (Agenturen und Beratungsservices) sowie Stadt Wien. Wichtig ist dabei, eine langfristige Nutzung zu sichern, indem städtische Immobilien für Projekte gewonnen werden können. Somit sind die Raumnutzer_ innen nicht auf private Eigentümer_innen angewiesen, sondern sprechen direkt mit der Stadtverwaltung. Zwischennutzung und Leerstand können nicht separat von einer Debatte über Gentrifizierung und Verdrängung gedacht werden. Im Workshop zum Thema Leerstand markierte _willi Hejda die Problematik in Wien und gab zugleich einige Ideen, wie Allianzen mit Nachbarschaften und Communities aufgebaut werden können, um diesen Prozessen entgegen zu wirken. Beispiele von Urban Commons aus Berlin präsentierte am zweiten Tag Martin Schwegmann, Atelierbeauftragter des bbk* (Berufsverband bildender Künstler* innen Berlin). Die Aufgabe des Atelierbeauftragten besteht darin, die bestehenden Arbeitsräume für bildende Künstler_innen zu sichern, den Bedarf nach mehr Raum zu erheben und als Schnittstelle zwischen Künstler_innen, Verwaltung und Immobilien zu agieren – eine Rolle, die in der Abschlussrunde des Symposiums auch spartenübergreifend als interessant hervorgehoben wurde.

Beispiele guter Praxis: spartenübergreifend, gefördert und mit professioneller Struktur
Berlin steht mit derzeit etwa 850 geförderten Ateliers und Atelierwohnungen (verwaltet vom bbk* durch das Atelierbüro) weit unter dem Bedarf an leistbaren langfristig genutzten Räumen da. Es wird strategisch daran gearbeitet, unterschiedliche Modelle der Raumverwaltung umzusetzen, wie die Schaffung von Bündnissen für bezahlbare Ateliers, Genossenschaftsmodelle oder sparten-übergreifende Nutzung bei größeren Standorten. Eine mögliche Strategie für die Sicherung von Räumen wären Urban Commons, wobei vorhandene Räume und Ressourcen geteilt werden können. Unter anderem wurden am Beispiel von Haus der Statistik in Berlin als Ort für Kultur, Soziales, Bildung und integriertes Wohnen, die verschiedenen Aspekte solcher Modellprojekte vorgestellt. Auch in Graz startete ein mittlerweile etabliertes Projekt, das Atelierhaus Schaumbad, mit einer Zwischennutzung. 2008 hat sich aufgrund der Schließung der Atelierförderprogramme der Stadt Graz und des Landes Steiermark eine Gruppe von Kunstschaffenden gebildet, um nach neuen Arbeitsräumen zu suchen. Bis 2011 wurde das Atelierhaus Schaumbad in den Räumen eines ehemaligen „Bäder-Paradieses“ als Zwischennutzung betrieben. Mittlerweile befindet es sich in einer ehemaligen Fabrik und beherbergt Atelierräume, Werkstätten, Ausstellungsflächen und Studios. Was als Eigeninitiative und Selbstorganisation begann, ist heute als Vereinsstruktur mit eigener Geschäftsleitung aufgebaut. Ein Fazit aus dieser Good Practice: Die längerfristige Erhaltung solcher Initiativen ist nur möglich mit einem Aufbau von professionellen Strukturen, damit auch Zeit für die eigene künstlerische Arbeit bleibt. Eine Finanzierung ist ohne Förderung oder anderweitige Beteiligung der Stadtverwaltung kaum möglich.

Forderungen: Räume für die freie Szene – leistbar, langfristig und Zugang ohne Ausschlüsse
Das Symposium wurde von Botschafter*innen, entsandt von jeder Sparte, begleitet, die die wichtigsten Erkenntnisse, Forderungen und Ideen in einer Abschlussrunde gemeinsam mit IG-Vertreter_ innen präsentierten. In einer Diskussion mit Kulturstadträtin Veronica Kaup-Hasler und Stimmen aus dem Publikum wurde mehrmals betont, wie wichtig die Erhaltung bestehender Räume und Initiativen ist, und wie wichtig der Aufbau von neuen Räumen und Strukturen und die solidarische Um/Verteilung von (Raum)Ressourcen sind, so Fariba Mosche für die IG Kultur Wien. Jul Tirler (für die IG Bildende Kunst) verwies nochmals auf den Mangel an angemessenen Atelierräumen, die Notwendigkeit von langfristig nutzbaren Räumen, die allen Altersgruppen zugutekommen, sowie die existenzbedrohende Lage für freie Kunstschaffende, die sich durch die Corona-bedingten Einschränkungen verschärft hat, und plädierte für mehr Bewusstsein für Ausschlussmechanismen beim Zugang zu leistbaren Räumen. Für Veronica Kaup-Hasler ist das Symposium ein weiterer Schritt eines „ongoing Dialogs“, in dem die Bedürfnisse klar definiert wurden. In diesem Prozess sollen verschiedene Ressorts und Fachbereiche zusammenarbeiten und Kunst- und Kulturinitiativen ihren Platz auch in der Planung von neuen Bauprojekten finden. Die IG Bildende Kunst als Vertretung der bildenden Künstler_innen wird sich weiter dafür einsetzen, dass geförderte Ateliers in Wien für alle Altersgruppen etabliert und angemessene Arbeitsräume erschlossen werden, und kämpft gemeinsam mit den anderen Interessengemeinschaften und Initiativen für die Erhaltung bestehender und Schaffung neuer Räume für die freie Szene.


Vasilena Gankovska ist bildende Künstlerin und Vorstandsmitglied der IG Bildende Kunst.

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