Die Abkehr von den Erzählweisen in der Kunst, von den Metanarrativen, vor denen Jean-Francois Lyotard1 floh, ist immer eine Herausforderung, die uns dazu bringt, unseren eigenen Diskurs zu desartikulieren, um zu versuchen, aus dem Vielfältigen und dem Relationalen ein kollektives Gedächtnis zu rekonstruieren. Doch was geschieht, wenn wir uns vom einzelnen Verb lösen und uns in einem mehrsprachigen Raum wiederfinden? Wenn vom Relationalen aus neue, einzigartige und emanzipatorische Sprachen von Gesellschaften hervorgebracht werden, einschließlich solcher, die von kapitalistischen, kolonialen oder imperialistischen Mächten unterdrückt wurden? Sie werden in der Vielfalt und Heterogenität der Sprache selbst erkannt, die in ihrem relationalen Zustand als veränderlich und plural verstanden wird. Daher können wir uns nicht mehr mit einer einzigen universellen Sprache befassen, denn die gemeinsam genutzten Räume verwandeln die sprachlichen Strukturen, bringen neue hervor und verändern uns und wir erkennen uns daher in Édouard Glissants „All-Welt“ wieder.2
Die Ausstellung Preludio. Intención poética (MACBA, Barcelona) schlägt eine Übung zur Dekonstruktion der Museumsdramaturgie sowie der vorgesehenen architektonischen Wege vor, ausgehend vom Konzept des offenen Verbs bei Jacques Derrida, bei dem die konnotierte Sprache, deren Bedeutung bereits durch die sozial-politischen Strukturen der Macht vorgegeben ist, durch die poetische Geste der Werke selbst aufgehoben wird.
Unter Bezugnahme auf den zweiten Teil der Trilogie der Poetik von Édouard Glissant, 1969 unter dem Titel L‘Intention poétique erschienen, lösen sich die Werke allmählich von ihren bedeutungsfixierten Lesarten, um sich selbst aus einem Beziehungsraum heraus zu verstehen, nicht nur mit den anderen Werken, sondern auch mit denen, die sich um sie herum befinden und sie herausfordern. Indem sie von allem befreit werden, was sie definiert, zwingen sie uns, das Ungesagte, das Gegenseitige, die Abwesenheit als Sprache und Wort auszusprechen, sie nehmen sich den Raum, der ihnen entspricht, und erzeugen eine Vielheit an Diskursen, die alle gültig sind.
Indem die Werke von den Worten, die sie definieren, befreit werden, werden sie wieder in den Raum der Poetik und der Freiheit selbst gestellt. Es ist genau dieser Raum der poetischen Befreiung, in dem sie sich von der normativen Kanonisierung entfernen, von den kolonialen Modellen, in die sie eingebettet sind, oder vielmehr von den Lesarten und Interpretationen, die aus ihnen gemacht wurden. Von dort, wo sie im Rahmen der Standards der herrschenden, kapitalistischen und kolonialen Gesellschaften positioniert wurden. Die Kritik der Epistemologie selbst, die Glissant anspricht, kündigt die Sprache als diesen sozialen Körper an. Wo die Sprache und ihre Poetik sich vom Erkannten loslösen, um zu einem Raum multipler Diskurse zu werden, in dem alle gültig sind. Das wiederum impliziert eine Nicht-Hierarchisierung von Diskursen und Sprache und stellt uns auf dieselbe Ebene des Zusammenlebens, auf der alle Vorstellungen und damit auch alle Geschichten anerkannt werden. Auf diese Weise entfalten die Werke bei jeder Lektüre diese Vielfalt an Diskursen, ohne dass der eine über den anderen gestellt werden muss. Die Sprache gleicht sie durch ihre poetische Ausgangsbedingung an.
Die Ausstellung reagiert auf ein starkes Bedürfnis, die Werke auf ihre eigenen Gesten, auf ihre eigene Absicht zurückzuführen, die sie als das generierende und emanzipierende Prinzip der Subjekte projiziert. Den Diskurs von der Verkündigung her und nicht vom Imperativ her heranzugehen, ermöglicht neue Orte innerhalb der Ausstellung, und die Wege entsprechen dem individuellen Willen des Subjekts, dem es gelingt, sich in Räumen zu verorten, die bisher nicht bewohnt waren. Die Geschichten vervielfältigen und vereinzeln sich, was es uns ermöglicht, das Subjekt der Ausstellung in gleichberechtigte Positionen zu bringen, da jede einzelne eine einzigartige Poetik besitzt, die in einem relationalen Ganzen anerkannt wird.
Die Ausstellung Preludio. Intención poética entspricht, wie wir gesehen haben, dem Bedürfnis, die Werke und das Subjekt, das sie betrachtet, das sie ausstellt, auf dieselbe Ebene und in denselben Erfahrungsraum zu stellen, in dem die poetische Absicht beider, d.h. die Geste selbst, sie in ein relationales Ganzes projiziert, in dem sich Kunst und Gesellschaft begegnen. Da wir kollektive Wesen sind, ebenso wie die Werke auch, können wir uns nur aus unserem Verhältnis zum/ zur anderen erklären, wobei wir immer von einem Anderssein von Gleichem zu Gleichem sprechen. Diese poetische Übung der Ausstellung behauptet und appelliert an das Wort, an die Sprache, nicht an den Signifikanten, sondern an das, was noch geschrieben werden muss.
Aus dem Spanischen übersetzt von Jens Kastner.
Die Ausstellung Intención Poética ist seit dem 12. Dezember 2022 im MACBA in Barcelona zu sehen.
Patricia Sorroche ist Assistenzkuratorin der Ausstellung Intención Poética und betreut die Sammlung des MACBA. Sie lebt in Barcelona.