Modethema im Buch

Die Mode habe eine „Art Schwellenexistenz zwischen Allgegenwärtigem Gebrauchsgegenstand im Alltag, kommerziellem Produkt und künstlerischem Entwurf“, schreibt Sonja Eismann. Nicht zuletzt deshalb sei sie „zentral für unser Verständnis von moderner Gesellschaft und Kultur“. Der von Eismann mit einem historisch-soziologischen Essay eingeleitete Band aus der absolute-Reihe versammelte kurze klassische Texte (Veblen, Simmel, Bourdieu, McRobbie u.v.a) und ermöglicht so einen schnellen wie intensiven Einstieg in den ganzen Diskurs. Neben ihrer Warenförmigkeit ist Mode also auch „ein Seismograf, der Befindlichkeiten und Sehnsüchte registriert“ (Cathérine Hug) und insofern auch mit Kunstpraxis verknüpft. Solchen Verbindungen geht der Ausstellungskatalog Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst anhand zahlreicher Beispiele aus der Kunstgeschichte nach. Kunst reflektiert dabei in unterschiedlichster Weise, inwiefern Mode vom Ancien Régime bis in die Gegenwart als Ausdruck von „Identitätskonstruktionen und Weltanschauungen“ (Janine Jakobs) fungiert hat. Tansy E. Hoskins schreibt aus antikapitalistischer Perspektive über Mode, weil der Kapitalismus selbst es sei, der „Sweatshops, Kinderarbeit, Umweltzerstörung und Entfremdung möglich macht“. Von den Besitzverhältnissen über manipulative Körperbilder, Rassismus, Ausbeutung und Mode als Mittel, „Macht zu signalisieren und zu reproduzieren“, handelt die Autorin alle möglichen Aspekte des Themas in einer mit Beispielen von Recherchereisen gespickten Erzählung ab. Schließlich diskutiert sie reformerische und revolutionäre Perspektiven gegen die Verknüpfung von Geld und Design und konstatiert schlicht, mit „einer selbstorganisierten, gesellschaftlichen Produktion hätten unsichere Arbeitsverhältnisse Modethema im Buch Jens Kastner ein Ende“. Ein sehr gutes Buch! Ähnlich motiviert formulieren auch Elke Gaugele und Monica Titton das Anliegen ihres instruktiven Sammelbandes „to showcase practices of postcolonial and transnational resistance and forms of postcolonial critique along with academic analyses and concepts“. Dass Mode integraler Bestandteil der kolonialen Prägung der sozialen Welt ist, wird in vielen Beiträgen zwischen weißem Blick und Schwarzer Selbstermächtigung, Selbstexotisierung und Kultureller Aneignung diskutiert. Weniger theorieaffin, aber durchaus unterhaltsam streift Katja Eichinger in ihren gesammelten Aufsätzen durch die Phänomenwelt aufgespritzter Lippen und hipper Vollbärte, Habermas im Biergarten, „Nachhaltigkeit und Produktionstransparenz“ als Anforderungen für die Modeindustrie angesichts der neuen Umweltbewegungen und inwiefern Dior den Feminismus begehrenswert machte. Texte aus dreihundert Jahren Philosophie der Mode präsentiert die von Barbara Vinken herausgegebene Sammlung. Dass die Herausgeberin jeden der 45 Beiträge eingeleitet hat, macht dieses Buch zu einem sehr handhabbaren und guten Nachschlagewerk. Hat Tansy E. Hoskins Mode schlicht als „Kleidungsstile und Erscheinungsbilder, denen Gruppen von Menschen folgen“ definiert, fasst Vinken Mode als „Theater der Obsessionen, in dem Bedrohungen, Ängste und deren Abwehr, Verlockungen, aber auch individuelle und kollektive Traumata zur Anschauung kommen“.


Jens Kastner ist Soziologe und Kunsthistoriker und unterrichtet an der Akademie der bildenden Künste Wien.


Katja Eichinger, Mode und andere Neurosen. Blumenbar Verlag, Berlin 2020.

Sonja Eismann (Hg.): absolute Fashion. orange press, Freiburg 2012.

Elke Gaugele/ Monica Titton (Hg.): Fashion and Postcolonial Critique. (Publication Series of the Academy of Fine Arts Vienna, Band 22). Sternberg Press, Berlin 2019.

Tansy E. Hoskins: Das antikapitalistische Buch der Mode. Rotpunkt Verlag, Zürich 2014.

Kunsthaus Zürich (Hg.): Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst. Ausst.-Kat., Kerber Verlag, Bielefeld 2018.

Barbara Vinken (Hg.): Die Blumen der Mode. Klassische und neue Texte zur Philosophie der Mode. Klett Kotta, Stuttgart 2016.