„Mit diesem Wissen fängt die Arbeit erst an!“

Zwei Gespräche über Non-Binary Universities

Wer nicht der Norm entspricht, entweder männlich oder weiblich zu sein, erfährt auch an der Hochschule Benachteiligung. Hier setzte 2017-18 das Projekt Non-Binary Universities der Akademie der bildenden Künste Wien an.

[Nicht-binäre Personen sind weder (nur) weiblich noch (nur) männlich. Inter* sind Menschen, deren Geschlechtsmerkmale von der medizinischen Norm „weiblicher“ oder „männlicher“ Körper abweichen.]
[Die Identität von Trans*Personen entspricht nicht oder nur teilweise dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht.]

Andrea Braidt und Ingrid Schacherl, was ist das Projekt Non-Binary Universities?

AB: Das Projekt entstand, um Diskriminierung von nicht-binären Personen an Unis abzuschaffen. Dabei war es mir als Inter*Frau ein Anliegen, nicht nur für die Akademie etwas zu verändern, sondern auch anderen Hochschulen ein Beispiel zu geben. Das Projekt erhielt 2016 den Diversitas-Preis des Ministeriums und beteiligte Studierende, die Initiative NaGeH, Personalver treter_innen, Mitarbeiter_innen des künstlerisch-wissenschaftlichen Personals und der Verwaltung. Vorschläge zur Ergreifung von Maßnahmen wurden erarbeitet, die wir im Rektorat umsetzen: geschlechtsneutrale Toiletten, One-Stop-Shops für Studierende und Mitarbeiter_innen, die eine Transition gemacht haben oder inter* sind, eine Broschüre zur Forschung und Lehre und ein Vademecum für Hochschulen und Universitäten.

ISCH: Es gibt viele Nachfragen von anderen Universitäten. In der Genderplattform hat sich eine AG gegründet, die Hochschulen bei der Umsetzung berät und unterstützt.

Mitarbeiter_innen der Akademie können selbst gewählte Namen führen, andere Änderungen von Daten sind nur mit amtlichen Dokumenten möglich.

AB: Künstler_innen-Namen konnten auch Studierende früher schon verwenden. Der Studierendenausweis als amtlicher Lichtbildausweis muss den amtlichen Namen enthalten. Geplant ist ein zusätzlicher, akademieinterner Ausweis, der den Wunschnamen enthalten kann. Man wird sehen, ob das nächste Rektorat das umsetzt. Studierende, die „divers“ im Personenstand haben, können selbstverständlich als divers inskribieren und werden in allen Dokumenten so geführt.

Viele nicht-binäre Personen haben keinen Zugang zur amtlichen Namens- und Personenstandsänderung.

Wir haben immer dafür gekämpft, dass dieser Zugang für alle erleichtert wird. Die Universität muss jedoch das Geschlecht aufgrund des Personenstandes der Studienevidenz melden. Laut einem Rechtsgutachten könnte das Geschlecht bei der Inskription nach Selbstbezeichnung gemeldet werden, doch das ist nicht ausjudiziert.

Wo gibt es geschlechtsneutrale Toiletten an der Akademie?

AB: Soweit baulich möglich, gibt es am Schillerplatz nach der Renovierung geschlechtsneutrale Toiletten, und binäre Toiletten werden inklusiv beschriftet. Wir beschreiben im Vademecum, welche Gesetze zu ändern wären, sodass keine binären Toiletten mehr nötig sind. Im Ausweichquartier in der Augasse sind alle Toiletten ohne Pissoir im Bereich der Akademie, das heißt in den Innenbereichen, geschlechtsneutral beschriftet. Im Institut für das künstlerische Lehramt war das schon vorher so. Uns ist wichtig, dass die Umsetzung im Dialog mit Abteilungen und Instituten geschieht, und dass Widerstände produktiv gemacht werden.

Wie verändern sich Lehrpläne und Inhalte durch das Projekt?

AB: Lehrpläne liegen in der Zuständigkeit des Senats, und leider wurden bis heute Gender Studies nicht in jedem Studium als Pflichtfach umgesetzt, geschweige denn non-binary Themen. Hoffentlich bewirken Projekt und Broschüre hier etwas.

Elis Eder, Noah Rieser und Jonathan Höhl, ihr wart für NaGeH und die ÖH im Team von Non-Binary Universities. Welche Anliegen habt ihr eingebracht?

JH: NaGeH ist eine Initiative der ÖH-Bundesvertretung für die Rechte von inter*, trans* und nicht-binären Menschen. Ich wollte konkrete Änderungsvorschläge zu Toiletten, Onlinesystemen und Datenverarbeitung einbringen, die wir schon mit Hochschulen verhandelt hatten.

EE: Elektronische Visitenkarten lauten auf „Frau“ oder „Herr“, Emailadressen werden mit dem Anfangsbuchstaben des Pass-Vornamens generiert. Wir haben Ansprechpersonen gesucht, um das System zu verändern.

JH: Es war aber, als müssten wir im Projekt der Akademie von Null beginnen. Deshalb bin ich nach einigen Sitzungen ausgestiegen.

NR: Es gab nur wenige trans*, inter* oder nicht-binäre Personen im Team. Ich bin beim Verein intergeschlechtlicher Menschen Österreich aktiv und fand es wichtig, eine Inter*Perspektive einzubringen. Selbst in einem Projekt zu den Anliegen von nicht-binären Menschen werden wir oft übersehen. Es braucht Selbstvertretung von Inter*, um unsere Positionen hereinzuholen.

Wie nicht-binär ist die Akademie der bildenden Künste?

JH: In meiner Klasse steht queere Kunst im Programm, aber oft sind schwule Positionen im Vordergrund. Sogar dort ist Trans* die Ausnahme. Anderssein wird als Selling Point unserer Kunst gesehen, das fühlt sich exotisierend an. Auch verhalten sich immer wieder Lehrende oder Mitstudierende unsensibel gegenüber nicht-binären und trans* Studierenden. Es ist nicht so, dass die Akademie selbstverständlich trans-freundlich wäre.

NR: Das Projekt ist aber ein Schritt in die richtige Richtung. Es ist wichtig zu analysieren, wo die Institution trans*, inter* und nicht-binäre Menschen nicht mitdenkt und ausschließt. Aber mit diesem Wissen fängt die Arbeit erst an!

Was hat das Projekt aus Eurer Sicht bewirkt?

EE: Wir haben mit NaGeH die Broschüre trans. inter*. nicht-binär. Lehr- und Lernräume an Hochschulen gestalten erarbeitet. Der Leitfaden der Akademie für geschlechtergerechte Sprache wurde erweitert: Wie lässt sich mündlich und schriftlich kommunizieren, ohne dem Gegenüber ein Geschlecht zuzuschreiben?

JH: Ich habe noch wenig Veränderungen bemerkt. Es braucht Sensibilisierung für Lehrende und Studierende, die Verwaltung, die Portiere. Die All-Gender-Toiletten im Hauptgebäude sind bisher nur in dem Trakt, in dem das Rektorat ist.

NR: Menschen, die diese Toilette nutzen würden, wissen nicht, dass es sie überhaupt gibt. Es wäre wichtig, die Maßnahmen zu evaluieren. Notwendig ist ein Folgeprojekt zur Umsetzung mit einer Stelle, die mit einer nicht-binären, inter* oder trans* Person besetzt ist.

Was steht außerdem noch aus?

NR: Viel zu wenige Leute wissen, dass es intergeschlechtliche Menschen überhaupt gibt. Wir wollen Solidarität mit unseren Forderungen, an erster Stelle nach einem Verbot uneingewilligter medizinischer Eingriffe an inter* Körpern, an Kleinkindern und Babies. Inter* muss thematisch Eingang finden in die Hochschule. Die Akademie sollte sich verantwortlich fühlen für die Inter*Personen, die Teil von ihr sind.

EE: Im Projekt haben oft cis [1] Menschen über nicht-binäre, inter* und trans* Personen gesprochen. Ich wünsche mir, dass das neue Rektorat der Akademie unsere Empfehlungen weiter umsetzt und Ressourcen bereitstellt, damit kompetente Ansprechpersonen die Umsetzung begleiten.

Andrea Braidt ist Vizerektorin für Kunst und Forschung an der Akademie der bildenden Künste Wien. Ingrid Schacherl leitet die Koordinationsstelle Frauenförderung, Geschlechterforschung und Diversität an der Akademie. Elis Eder macht queeren und trans Aktivismus und Beratung und ist Elter von einem Kind. Jonathan Höhl studiert Bildende Kunst und war bei Smash the Gender Binary und NaGeH aktiv. Noah Rieser arbeitet bei TransInterQueer e.V. und VIMÖ.


Die Gespräche führte Jannik Franzen.


[1] Cis als Gegenteil von trans bezeichnet Menschen, deren Identität mit dem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht übereinstimmt.