Unsere Autorin musste wegen Krankheit kurzfristig absagen, sodass Jens mich fragte, ob ich etwas schreiben wolle. Ich wollte nicht nein sagen, besonders nicht ihm gegenüber: Wie oft haben wir darüber gesprochen, dass Frauen* viel häufiger Anfragen ablehnen als Männer*. Noch schlimmer: Dass Frauen* sich nicht legitimiert sehen, als nicht über die notwendige Expertise verfügend, selbst wenn sie genau zu den Themen arbeiten, zu denen wir sie anfragen.
Ich bin aber eben nicht nur „Frau“ und stehe nicht nur im Verhältnis zu „Männern“. Was habe ich zu Intersektionalität zu sagen? Die letzten vier Tage habe ich damit verbracht, im Hinterkopf allerlei Erlebnisse als mögliche Ausgangspunkte für diesen Text durchzuspielen. Immer schienen sie falsch. Meist ging es um mein Weißsein bzw. Rassismus, immer schien die Situation dem Begriff der „Intersektionalität“ nicht angemessen. Dabei erlebe ich, erleben in diesem Fall tatsächlich wir alle, Intersektionalität ja andauernd. Die Effekte und Konsequenzen sind nur grundlegend verschieden.
Mir entgeht als weißer cis-Frau, schlank, derzeit recht normativ feminine Erscheinung, nicht-behindert, mit bürgerlicher Bildung, unterem Mittelklasse-Einkommen, deutschem Pass und norddeutschem Akzent schlicht oft, in welchem Verhältnis ich mich gerade befinde, weil mir in Deutschland und Österreich eine relativ unmarkierte Position zugesprochen wird. Das Piefke-Sein bereitet da noch am meisten an mich herangetragenes Unwohlsein. Und dass mir das so vorkommt, hat sicherlich viel mit internalisiertem, naturalisiertem Sexismus zu tun. Wenn ich mir dessen bewusst werde, dass ich mich in einer Situation befinde, in der ich strukturell bevorteilt bin, dann erscheint mir diese Bewusstwerdung als von mir produziert, dann entscheide ich, diese Verhältnisse wahrzunehmen (im Alltag geht das oft mit einer Menge unbestätigter Annahmen einher, auf deren Grundlage ich die Situation einschätze). In meinem Alltag in Südafrika hingegen begegnen mir die Überschneidungen von race, class, gender, ableism mit viel stärkerer Vehemenz. Meine Bevorteilung schreit mich in fast jeder Interaktion geradezu an, gleichzeitig bin ich mit offensichtlicherem Sexismus und Ablehnung konfrontiert.
Doch es bleibt dabei, wenn ich versuche, den mir so selbstverständlichen Begriff der Intersektionalität mit meinem persönlichen Erleben zu verbinden, stehe ich an. Naheliegender ist der Begriff der Privilegien, auch wenn ich den oft als wenig produktiv empfinde. Privilegien erscheinen so leicht als Dagobert Duck-hafte Goldstücke, die einer als Ding anhaften. Die es allerdings, und deswegen ist der Begriff ja trotzdem so wichtig, abzugeben und zu teilen gilt. Ich empfinde den Begriff des Habitus als näher am Leben, als Begriff, der die oft einem selbst so zuwider werdende Verleiblichung, aber auch die Veränderlichkeit gesellschaftlicher Strukturen zu fassen weiß. All diese Konzepte schließen sich natürlich nicht aus, sondern ergänzen sich. Lange Rede, kurzer Sinn, ich glaube (a) dass mir dieser Text bald peinlich sein wird (surprise, woman*), (b) dass Intersektionaliät nicht dafür gedacht ist, dass ich meine Erlebniswelt beschreiben kann, und das ist auch gut so.
Sophie Schasiepen ist Redakteurin beim Bildpunkt.