Kunst und Kind und alles hinbekommen

Künstler_innen mit Kinderbetreuungspflichten erzählen. Ein Resümee aus fünf Interviews.

Lore Heuermann: Mehr Solidarität!

Lore Heuermann musste sich als Alleinerzieherin Freiräume für ihre künstlerische Tätigkeit unter besonders prekären Verhältnissen schaffen. Neben der alleinigen Versorgung von drei Kindern ab den 1960er Jahren, schufen patriarchale Gesellschaftsstrukturen wesentliche Hindernisse. So wurde ihr nach der Scheidung nicht die Obsorge zugestanden – das Gesetz dazu erst Ende der 1970er Jahre geändert. Um zu überleben versucht sie allerlei, auch Tauschhandel mit ihren künstlerischen Arbeiten ist eine häufige Strategie. Zum Arbeiten kommt sie erst nachts, wenn die Kinder im Bett liegen. 1972 hat sie eine große Einzelausstellung im MAK (Wien) – in einer Zeit, in der Künstlerinnen bei Ausstellungen in Galerien kaum vertreten sind und Galeristen die Meinung vertreten: „einmal im Jahr eine Frau ausstellen reicht“. Bei den seltenen Auslandsaufenthalten springen Studentinnen ein, um auf die Kinder aufzupassen. Erst als der Nachwuchs nach der Volksschule ins Internat kommt, findet Lore Heuermann wieder mehr Zeit für Kunst und Studienreisen. Trotz aller Schwierigkeiten – bereut hat sie es nie. „Die Verantwortung für die Kinder hat mich gezwungen, raus zu gehen und zu kämpfen. Sie hat mich autonom und selbständig gemacht.“ Als Gegenstrategie für wenig feministische Arbeitsbedingungen wünscht sie sich von Künstlerinnen mehr Solidarität untereinander und die Bildung von Netzwerken. „Das machen Männer oft besser, die empfehlen sich alle weiter, wurscht wie mies jemand ist.“

Veronika Dirnhofer: Kindergruppe an der Akademie gegründet

Auch für Veronika Dirnhofer war klar: „Genauso wie ich Kinder haben wollte, wollte ich auch Kunst machen.“ Ende der 1990er Jahre war sie nicht nur im 1. Arbeitskreis für Gleichbehandlungsfragen an der Akademie der bildenden Künste Wien, sie hat mit anderen Frauen dort auch die Kindergruppe Kakadu gegründet. Damals sei an der Kunstuniversität das Verhältnis von Frauen und Männern noch nicht so ausgeglichen gewesen wie jetzt. „Lehrende waren hauptsächlich Künstler – und Kinder, die waren draußen, aber sicher nicht in der Akademie.“ Die Kindergruppe gibt es jedenfalls bis heute. Dennoch hatte sie als zweifache Mutter und Künstlerin mit einigen Vorurteilen im Kunstbetrieb zu kämpfen. „Du hast dich für etwas anderes entschieden, mit dir ist nicht mehr so schnell zu rechnen!“ wurde ihr vermittelt, als sie mit 30 ihre erste Tochter bekam. Die Panik auf das Abstellgleis gestellt zu werden ist groß. Nach dem Mutterschutz beginnt sie sofort wieder zu arbeiten, ihre künstlerischen Freiräume sichert sie sich durch Fremdbetreuung. Oftmals mit schlechtem Gewissen. Auf dem Land gab es keine Kinderkrippen für unter 3jährige, sie behilft sich mit Leihomas. Bei der Fremdbetreuung sieht Veronika Dirnhofer noch immer viel Bedarf an gesellschaftlichem Umdenken und darüber, dass Nachmittagsbetreuung normal und in Ordnung ist.

Georg Frauenschuh: Gleichberechtigte Betreuungspflichten von Anfang an

„Bei mir war die Vaterschaft zeitgleich mit meinem Diplom“, erzählt Georg Frauenschuh über die Elternschaft zweier Kinder mit Gerlind Zeilner, ebenfalls Künstlerin. „Wir haben uns gut aufgeteilt, sobald das Stillen dies erlaubt hat“. Jede_r hatte strikt einen halben Tag zur Verfügung. Für beide war klar, dass sie künstlerisch weiter arbeiten wollten. Trotz ähnlicher Erfahrungen sei er im Gegensatz zu seiner Lebensgefährtin jedoch noch nie mit der Frage konfrontiert worden, ob er „trotz des Kindes weiterhin zum Arbeiten kommt.“ Seine Arbeitsweise hat sich aber durchaus verändert. Strukturierter und geplanter geht er seitdem an seine Arbeit heran oder lagert bestimmte Bereiche aus. Seit einigen Jahren unterrichtet Georg Frauenschuh auch an der Kunstuniversität in Linz. Geplant war sie nicht, aber gerade durch seine Familie gelänge es ihm, den für sich notwendigen Abstand zur Kunst einzunehmen. Mittels Artist-in-Residence- Programmen war er mitsamt Kindern und Zeilner schon zweimal in China – für jeweils drei Monate. Dennoch möchte er nicht an einem Programm teilnehmen, dass speziell für Künstler_innenfamilien geschaffen wird. Zu wenig divers komme es ihm vor. Allerdings wäre eine zusätzliche Unterstützung hilfreich, „um scheinbar unüberbrückbare Hürden für Künstler_innen mit Kindern nehmen zu können.“

Borjana Ventzislavova: bei der Mobilitätsförderung mehr die Familie einplanen

Für Borjana Ventzislavova sind Reisen ein wichtiger Bestandteil ihrer Arbeit. Anregen möchte auch sie, bei der Mobilitätsförderung mehr die Familie einzuplanen. „Ich könnte gar nicht an einem Artist-in-Residence-Programm teilnehmen, wenn ich nicht die Unterstützung von meinem Partner hätte und meine Mutter für die längeren Phasen aus Bulgarien kommen und mithelfen würde.“ Anfangs in Wien hat Borjana Ventzislavova sich immer gewundert, warum so wenige Künstler_innen Kinder haben. Jetzt sind es die Kolleg_innen, die erstaunt fragen, wie sie es schafft, länger ohne ihr Kind wegzufahren. „Solange ich weiß, dass mein Kind gut versorgt ist und die Liebe bekommt, die es braucht, kann ich gut damit leben, es auch ein paar Wochen nicht zu sehen und mich intensiv mit meiner Arbeit auseinanderzusetzen“, erklärt Borjana Ventzislavova. In der Regel arbeitet sie alleine vor Ort und wird von ihrer Familie hin und wieder besucht. Beides unter einen Hut zu bringen sei nicht leicht, aber ihre Arbeit mache sie nun einmal sehr glücklich. Verständnis dafür bringt ihr Partner Mladen Penev auf. Als freiberuflicher Grafiker ist es ihm möglich, flexibler auf betreuungsintensive Zeiten für sein Kind zu reagieren. „Wenn Borjana für sechs Monate weg ist, finde ich es manchmal ein bisschen lang. Aber ich verstehe, dass sie als Künstlerin diese Zeit braucht, und ich finde es auch wichtig, ihr diese Zeit zu geben.“ Borjana Ventzislavova hat sich nicht bewusst entschieden nur ein Kind zu haben; ob sie noch ein zweites Kind haben möchte, überlegt sie sich aber sehr gut: „Nicht umsonst haben die meisten Künstlerinnen nur ein Kind.“

Carla Bobadilla: Vorbilder suchen, der Prekarität entkommen

In der österreichischen Kunstszene sei es total „uncool“ Kinder zu haben, bemerkt die gebürtige Chilenin Carla Bobadilla. Sie ist eine der wenigen Künstler_innen, die ihre Kinder auch offiziell in ihrer Biographie angibt. „Viele Leute, u.a. Galerist_innen, aber auch Kolleg_innen, gehen davon aus, dass du nichts hinbekommst, wenn du Kinder hast.“ Doch das Gegenteil ist der Fall. Sie nutzt jeden freien Moment – auch, wenn es sie viele Nerven gekostet hat, alles zu organisieren und das verdiente Geld in die Kinderbetreuung zu stecken – für ihre Arbeit. Und sie ist stolz darauf, beides gut hinzubekommen. „Ich bin ein kämpferischer Mensch und gewohnt in prekären Verhältnisse zu überleben“, ist sie überzeugt. Die Frage, wie künstlerische Tätigkeit und Kinderwunsch unter prekären Arbeitsverhältnissen vereinbar sind, hat Carla Bobadilla dennoch intensiv beschäftigt. Bewusst hat sie sich auch „Vorbilder gesucht und geschaut, wie andere Mütter im Kunstbereich sich gut positionieren.“ Nach ihrem Uniabschluss ist sie erst mit 25 Jahren von Valparaíso nach Wien gezogen. Sich als Künstlerin gut zu vernetzen und den Anfang zu schaffen hat einige Zeit in Anspruch genommen. Mit Anfang 30 hat sie ihre erste Tochter bekommen und kurz nach der Geburt angefangen, mit Kindern und Jugendlichen Workshops zu machen. „Das kam mir vorher überhaupt nicht in den Sinn und jetzt finde ich, dass das Unterrichten ein großes politisches Potenzial hat“, bekennt Carla Bodabilla. Ihr Beruf mache sie sehr glücklich und gerade durch ihre Kinder sei sie „viel mutiger und freier im Denken geworden“.


Saskya Rudigier arbeitet mit Text, Bild, Abos und Zahlen. Zuletzt organisierte sie das Kunst- und Kulturwochenende Leise Art Festival: unerhört unverstärkt

Die Interviews hat Saskya Rudigier im Frühsommer 2016 geführt, sie sind hier nachzulesen:

 


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