Künstlerische Positionen: Zur ästhetischen Ökonomie der Schulden

Drei künstlerische Positionen begleiten jede Ausgabe des Bildpunkt und sind als eigenständige Kommentare und ­Reflexionen zum jeweiligen Thema des Heftes zu verstehen.

Cassie Thorntons künstlerische Arbeiten, von denen wir einige in der Bildstrecke zeigen, basieren fast alle auf einer Auseinandersetzung mit Schulden: ihren eigenen Schulden, die sie größtenteils durch ihr Kunststudium angehäuft hat, denen ihrer Familie, von Freund_innen und Kolleg_innen, den Schulden US-amerikanischer Studierender im Allgemeinen. Ein grundlegender Ansatz ist es dabei, die Immaterialität von Schulden zu überwinden und sie greifbar zu machen. Etwa durch debt vizualisations, bei denen Teilnehmer_innen sich ihre Schulden bildlich vorstellen und transformieren, um einen ermächtigenden Zugang zu ihnen zu fördern. Thorntons Arbeiten kombinieren eine Kritik an den sozioökonomischen Bedingungen unserer Gegenwart mit Versuchen der Kollektivierung von Erfahrungen, nicht zuletzt solcher, die durch finanzielle und soziale Schulden hervorgerufen werden. Als Teil dieser sozialen Praxis hat sie auch diverse Initiativen ins Leben gerufen, so das FED – Feminist Economic Department, das Debt2Space Program oder Feminist Economic Yoga.

Auf der Rückseite ist ein Foto des Museums für Argentinische Auslandsschulden zu sehen. Das Museum wurde 2005 gegründet und ist an die Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Buenos Aires angegliedert. Sein Ziel ist es, die sozioökonomische Belastung aufzuzeigen, die die exzessive Verschuldung des Landes verursacht. Das Museum ist als Erweiterung der Universität gedacht und versucht, die studentische Gemeinschaft einzubinden, die hier, ohne Gebühren zu zahlen, studieren kann. Ein Dokumentarfilm, die Ausstellungstafeln und Broschüren sind in präziser und einfacher Sprache gehalten, es werden Ausstellungsführungen angeboten. Das Museum hat regionale, nationale und internationale Anerkennung erhalten: 2010 wurden die Comics von der Stadt Buenos Aires zu Objekten kulturellen Interesses erklärt, 2011 wurde der Film Marcianos: cronología de la Deuda Externa von der damaligen Präsidentin Cristina Fernández de Kirchner präsentiert und lief im Kino, 2013 wurde das Museum nach Berlin, Rom und Paris eingeladen.

Auf dem Mittelposter sind Notizen von Ayreen Anastas und Rene Gabri zu sehen, welche die deutsche Beteiligung an den Ottomanisch-Türkischen Gewalttaten gegen Armenier_innen thematisieren. Diese setzte sich in der Kollaboration mit den „Jungtürken“ im Genozid von mehr als 1,5 Millionen Armenie­r_innen Anfang 1915 fort, ebenso wie im folgenden Verschweigen unvorstellbarer Verbrechen. Deutschland beteiligte sich durch Rassentheorien, Ausbildung des Militärs, logistische Unterstützung, Waffenlieferungen und den Bau der Bagdadbahn, die für Deportationen genutzt wurde. Die Politik der Verleugnung auf Seiten der Türkei betrifft auch die systematische Tötung von Assyrer_innen, Griech_innen, Jesid_innen, Kurd_innen und anderen Communities, die zum Vorbild für Nazi-Deutschland wurden. Die Praxis der Verfälschung und Rationalisierung, die zur Vermeidung eines Schuldeingeständnisses und Reparationsforderungen in Deutschland begann, wurde zu einem hilfreichen Instrument für den türkischen Staat, der sich auf Gewalt gegenüber Minderheiten unter seinen gegenwärtigen und ehemaligen „Subjekten“ gründet. Die Künstler_innen sehen in der Fehldarstellung der aktuellen Invasion und der ethnischen Säuberung gegen Armenier_innen in Arzach/Bergkarabach durch aserbaid­schanische und türkische Truppen die Fortsetzung einer Politik der Verleugnung und Rechtfertigung genozidaler Gewalt.